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Krude Tipps statt mehr Gehalt: Textil-Riese Primark verhöhnt Beschäftigte in München – und lenkt jetzt ein

Beschäftigte im Einzelhandel fordern bessere Bezahlung – doch der Textil-Riese Primark empfiehlt stattdessen, besser mit dem eigenen Geld umzugehen. Der reagiert jetzt auf die Kritik.
von  Maximilian Neumair
Primark ist eine deutschlandweite Handelskette für Kleidungsstücke. Sie ist bekannt für ihre günstigen und oft wechselnden Kollektionen. Und für ihre Skandale, wie etwa jüngst die an die eigenen Mitarbeiter gegebenen Spartipps.
Primark ist eine deutschlandweite Handelskette für Kleidungsstücke. Sie ist bekannt für ihre günstigen und oft wechselnden Kollektionen. Und für ihre Skandale, wie etwa jüngst die an die eigenen Mitarbeiter gegebenen Spartipps. © Monika Skolimowska/dpa

München - Die Reallöhne schrumpfen wegen der Inflation. Gerade niedrige Einkommensgruppen bekommen das deutlich zu spüren. Das Ketten-Modegeschäft Primark findet dafür eine ganz eigene Lösung: eine "Haushaltsplanung in einer angespannten Wirtschaftslage" für Beschäftigte.

Dabei handelt es sich um einen bundesweiten Aushang im Mitarbeiterbereich der Primark-Filialen, auf dem sechs Tipps gegeben werden, wie Beschäftigte besser mit ihrem Einkommen auskommen können. Davon berichten mehrere Betriebsräte seit Mittwoch.

"Schweinerei": Primark gibt Beschäftigten Spartipps statt Gehaltserhöhung

Unter Punkt drei heißt es etwa: "Die größten Kürzungen in deinem Budget solltest du dort vornehmen, wo es um deine Wünsche geht, nicht um deine Bedürfnisse." Punkt fünf lautet: "Spare, wo du kannst."

"Statt bei dieser aktuellen hohen Inflation unseren Lohn zu erhöhen, unterstellt uns das Unternehmen, dass wir mit unserem verdienten Geld nicht umgehen können. Einfach eine Schweinerei!", schreibt ein Primark-Mitarbeiter der AZ-Redaktion. So sieht das auch Hubert Thiermeyer, Landesfachbereichsleiter für Einzelhandel von Verdi Bayern. "Das ist mehr als zynisch!", sagt er der AZ.

Die Gewerkschaft Verdi verhandelt gerade über neue Tarifverträge

Gerade befindet sich Verdi in Verhandlungen mit dem Arbeitgeber-Verband zu neuen Tarifverträgen. Zwar ist Primark nicht Teil des Verbands, aber es besteht ein Anerkennungstarifvertrag. Das heißt, die Tarifabschlüsse im Einzelhandel werden automatisch übernommen. Der Zeitpunkt für solche Tipps erscheint da denkbar höhnisch.

Auch Bernd Ohlmann, Pressesprecher des Handelsverbands Bayern, ist über den Zettel im Gespräch mit der AZ verwundert: "Das sind ja Binsenweisheiten." Er betont zwar, dass grundsätzlich jedes Unternehmen machen könne, was es für richtig hält, aber er so eine Vorgehensweise ungewöhnlich findet.

"Gerade in München eine besondere Situation": Prekäre Situation für die Primark-Mitarbeiter

Das ist es auch für Verdi-Vertreter Thiermeyer. Zwar habe er gefühlt schon alles erlebt, aber den Beschäftigten in der derzeitigen Wirtschaftslage Spartipps zu geben, erreiche eine neue "Qualität". "Die Geschäftsführung kann sich nicht ansatzweise vorstellen, was die Beschäftigten gerade für Lebenskünstler sind, dass sie mit dem auskommen, was sie an Gehalt haben. Gerade in München ist das noch mal eine besondere Situation", sagt Thiermeyer.

Vor allem diejenigen, die am wenigsten haben, können kaum sparen. In Haushalten mit Nettoeinkommen von unter 1.500 Euro können 71 Prozent der Menschen weniger sparen als noch 2020, wie eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft im Oktober 2022 feststellte. Auch Menschen mit mehr als 1.500 Euro gaben an, etwa 65 Prozent weniger zur Seite legen zu können.

Beschäftigten im Einzelhandel in München bleiben gerade 150 bis 300 Euro im Monat

Thiermeyer ergänzt: Das frei verfügbare Einkommen von Beschäftigten im Handel in München liege bei 150 bis 300 Euro. Damit meint er den Betrag, der nach laufenden Zahlungen wie Miete, Lebensmittel und dergleichen jeden Monat vom Nettogehalt noch übrigbleibt.

"Wenn sich wegen der Inflation ihre Ausgaben jetzt um sieben, acht, zwölf, fünfzehn Prozent erhöht haben, dann sind das nicht einfach zehn Prozent vom frei verfügbaren Einkommen weniger, sondern dann ist das zum Teil vollständig weg", sagt der Gewerkschafter. "Diese Menschen sparen seit Jahren und die müssen seit Jahren sparen. Und zwar wirklich im existenziellen Bereich!"

Primark steht für billige Preise – und offensichtliche schlechte Arbeitsbedingungen

Ein weiterer Hinweis in dem Aushang lautet: "Erkundige dich, ob deine Regierung finanzielle Unterstützung für Menschen in finanziellen Notlagen bereitstellt." Für Thiermeyer ist das "die Frechheit schlechthin". Es könne nicht angehen, dass die Gesellschaft schlechte Löhne auch noch subventionieren soll.

Primark reagiert – und entfernt den Mitarbeiter-Aushang wieder

Jetzt reagiert Primark auf die Kritik und sagt, der Aushang sei "im Rahmen unseres unternehmensweiten, globalen Wellbeing Programms" gemacht worden. Dieser stehe "in keinem Zusammenhang mit den laufenden Tarifverhandlungen im Einzelhandel". Man sei bei den Verhandlungen "nicht aktiv als Partei beteiligt".

Trotzdem hat sich Primark dazu entschieden, den Aushang aus den deutschen Geschäften zu entfernen. "Wir erkennen den ungünstigen Zeitpunkt des Aushangs in der aktuellen Situation an", so die Sprecherin des Unternehmens. Es sei nicht ihre Absicht, "unsensibel oder gar zynisch zu erscheinen". Trotzdem hält sie fest: Der Aushang stehe "in Verbindung mit einem holistischen Wellbeing Programm", die direkte Verknüpfung mit den laufenden Tarifverhandlungen sei "nicht gerechtfertigt".

Der Modehändler gilt als Vertreter vom Prinzip Fast-Fashion: Immer neue Kleidung zu billigen Preisen – und miesen Arbeitsbedingungen. In der Produktion und eben auch im Handel.

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