Krebspatientin soll wegen Osterausflug Strafe zahlen
München - Das Paar freute sich auf einen schönen Osterausflug in die Ammergauer Berge. Michael B. und seine Freundin Angelika hatten sich vorab ausführlich informiert auf der Homepage des Innenministeriums, dachten, sie würden alles richtig machen und gerieten dann prompt in Ettal in eine Polizeikontrolle, die für das Paar mit einem Schock und 300 Euro Bußgeld endete.
Angelika R. erholt sich gerade von einer Krebserkrankung. Das Immunsystem der 38-Jährigen, die bei der Stadt München als Gärtnerin arbeitet, ist durch die Therapie geschwächt. Sie gilt als besonders gefährdet. "Wir vermeiden es, andere Menschen zu treffen", sagt Michael B., "für meine Partnerin bin ich seit Wochen die einzige Kontaktperson."
Der 43-jährige Immobilienmanager und seine Freundin leben nicht zusammen. Er hat eine Wohnung in Geretsried, sie etwa sechs Kilometer entfernt in Wolfratshausen. Was das Leben des Paares angesichts der Kontaktbeschränkungen zusätzlich belastet. Mal frische Luft schnappen, raus kommen, etwas anders sehen - für Angelika R. ist das in ihrer Lage besonders wichtig. "Das gibt neuen Mut, hebt die Stimmung", sagt sie.
Besuch eines Lebenspartners und Sport an der frischen Luft erlaubt
Deshalb planten beide für Ostern einen Ausflug ins Graswangtal in den Ammergauer Bergen. Das Paar wollte die üblichen Hotspots meiden. "Selbstverständlich sind für uns Brennpunkte wie der Starnberger See, der Tegernsee oder die Münchner Hausberge tabu", betont Michael B. Im Graswangtal kennen sich beide aus. "Es gibt dort einfache Wanderrouten, die mit Sicherheit praktisch völlig menschenleer sind", sagt der 43-Jährige.
Um ganz sicher zu sein, informierte sich das Paar auf der Homepage des Innenministeriums. Dort steht explizit, dass der Besuch eines Lebenspartners erlaubt ist, ebenso wie die "Begleitung von unterstützungsbedürftigen Personen", wie es auf der Webseite nachzulesen ist.

"Uns ist bewusst, dass das Verlassen der Wohnung nur aus triftigem Grund erlaubt ist", sagt Michael B. Dazu gehört neben Arbeit, Arztbesuchen und notwendigen Einkäufen auch ausdrücklich Bewegung in Form von Sport oder Spaziergängen an der frischen Luft.
"Ausdrücklich erlaubt ist der Kontakt mit dem Lebensgefährten, der wie in unserem Fall in einem anderen Hausstand wohnt", sagt Michael B. Am Karfreitag stiegen sie in ihren Skoda Octavia und fuhren los in Richtung Berge. In Ettal geriet das Paar in eine Kontrolle. Eine Polizeistreife stand auf der Hauptstraße und winkte Autos raus. Was dann passierte, schildert Michael B. so:
Mindestabstand sei von Polizisten nicht eingehalten worden
Die Polizisten seien bis auf etwa 30 Zentimeter an sie herangerückt. Die Beamten hätten kein Interesse daran gezeigt, den zur Vermeidung einer Infektion erforderlichen Abstand einzuhalten, "sondern haben stattdessen die Köpfe durch das offene Fenster ins Auto gestreckt", sagt Michael B. Er bat die Beamten deshalb, Abstand zu halten, und machte sie zudem auf die Erkrankung seiner Freundin aufmerksam.
Der eine Polizist habe geantwortet, wie das Paar erzählt, es sei ihm egal, ob die Frau Krebs habe oder nicht. Den Gesprächsabstand würde einzig und allein er bestimmen und kein anderer.
Angelika R. brach in Tränen aus, "aus Angst um ihre Gesundheit und ihr Leben", wie Michael B. sagt. Was den Polizisten nicht daran hinderte, das Paar zu einer Stellungnahme zum Sachverhalt nebst Unterschrift aufzufordern. Angelika R. konnte in der folgenden nächsten halben Stunde vor Tränen kaum sprechen, so sehr nahm sie die Situation mit. Michael B. bat erneut um etwas mehr Abstand. "Ich wies auf die Gefahr durch Tröpfcheninfektion hin", sagt der Manager. Darauf soll der Polizist geantwortet haben: "Wollen Sie etwa behaupten, dass ich Sie anspucke?" Der 43-Jährige solle vorsichtig sein, was er da sage.
"Wir haben jeweils eine Geldbuße von 150 Euro auferlegt bekommen"
Damit war die Sache für das Paar aber nicht ausgestanden. Im Gegenteil. Die Streife beließ es nicht bei einer kostenlosen Verwarnung. Die Ausflügler sollten bezahlen. "Wir haben jeweils eine Geldbuße von 150 Euro auferlegt bekommen", sagt Michael B. Begründung: "Nichteinhalten des Mindestabstands zu einer nicht im eigenen Hausstand lebenden Person."
Das Paar protestierte und berief sich dabei auf die Informationen des Innenministers Joachim Herrmann. Auf der Internetseite seines Ministeriums steht: "Bleiben Sport und Spazieren gehen an der frischen Luft erlaubt?" – "Ja. Sport, Spazieren gehen und Bewegung an der frischen Luft sind gestattet. Allerdings ausschließlich alleine, mit Angehörigen des eigenen Hausstandes oder dem Lebenspartner und ohne jede sonstige Gruppenbildung."

Die Sichtweise des Ministers, immerhin sein oberster Dienstherr, soll den Beamten nicht sonderlich beeindruckt haben. Er habe geantwortet, so Michael B., die Informationen, die das Ministerium an die Bevölkerung herausgebe, seien nicht korrekt. Die Polizei habe interne Anweisungen, die ebenfalls vom Ministerium stammten, aber im Widerspruch zu den Veröffentlichungen etwa auf der Seite des Ministeriums stünden. Die Polizei handle gemäß "interner Anweisungen".
Rosenheimer Polizeipräsident setzt sich für das Paar aus München ein
Die an der Kontrolle beteiligte Polizistin habe gesagt, dass sie schon grundsätzlich mit einigen der beschlossenen Maßnahmen nicht einverstanden sei und diese daher auch nicht umsetzen möge. Sie sei, so erinnert Michael B., "mit anderen Werten aufgewachsen".
Der 43-Jährige hat sich beim Polizeipräsidium Oberbayern Süd in Rosenheim beschwert und gestern eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht. Ein Sprecher des Präsidiums sagte, man nehme derartige Beschwerden aus der Bevölkerung sehr ernst. Michael Sitzberger, Leiter des Präsidialbüros betonte: "Wir werden der Sache auf den Grund gehen." Die Beamten, die die Kontrolle in Ettal durchgeführt haben, werden sich erklären müssen.

Nach der Anfrage der AZ schaltete sich am Mittwoch der Rosenheimer Polizeipräsident Robert Kopp ein. Er rief bei Michael B. an, um persönlich mitzuteilen, dass kein Bußgeld gezahlt werden müsse.
Die gemeinsame Fahrt von Lebenspartnern in einem Fahrzeug mit einem anschließenden Spaziergang sei auch bei der derzeitigen Ausgangsbeschränkung gestattet, auch wenn diese Personen nicht über einen gemeinsamen Hausstand verfügen.
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