"Krankenmorde" der Nazis: Wie viel ein Leben wert ist

München - Sie sind gezwungen, sich anzusehen: Im ersten Teil der neuen Sonderausstellung des NS-Dokumentationszentrums hängen zwei große Bildertafeln an gegenüberliegenden Wänden. Die eine Seite zeigt Fotos der Opfer, die während des Nationalsozialismus zwangssterilisiert und getötet wurden, weil sie krank oder behindert waren und als „unwertes Leben“ eingestuft wurden. An der gegenüberliegenden Wand hängen Fotos der Täter: Ärzte, die vollkommen willkürlich über das Schicksal ihrer Patienten bestimmt haben.
Bis zu 400 000 psychisch kranke Männer, Frauen, Kinder und Jugendliche wurden in der Folge des sogenannten „Euthanasie-Programms“ der Nationalsozialisten zwangssterilisiert, mehr als 200 000 systematisch ermordet. Ihnen will die Ausstellung „Erfasst, verfolgt, vernichtet. Kranke und behinderte Menschen im Nationalsozialismus“ gedenken. Konzipiert wurde sie von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Für den Verband ist es zum Teil auch die Aufarbeitung der eigenen Geschichte.
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Viele Ärzte verdrängen den Umgang mit Patienten im 3. Reich Der ehemalige DGPPN-Präsident Frank Schneider sagt: „Die deutschen Ärzte haben sich lange nicht darum geschert, wie mit Patienten im Dritten Reich umgegangen wurde. Es wurde verdrängt und verschwiegen.“ Die Ausstellung stellt für ihn keine geringere Frage als die nach dem Wert des Lebens.
Auf gesonderten Ausstellungstafeln wird das Kapitel „Erbgesundheitspolitik“ auch in München und Bayern dokumentiert, etwa in der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar, in der zwischen 1939 und 1945 mehr als 1800 Patienten durch gezielten Nahrungsentzug, Vernachlässigung oder überdosierte Medikamente starben. Irmgard Burger, die am Bodensee aufwuchs und nach der Bombardierung ihrer Wohnung 1943 eingewiesen wurde, überlebte den gezielten Nahrungsentzug nicht.
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Wilhelmine Haußner blieb nach einer Gehirnentzündung in ihrer Entwicklung zurück, wurde nach Haar deportiert und ermordet. Die Eltern der gebürtigen Münchnerin Ruth Levinger emigrierten nach Palästina, mussten Ruth aber wegen des fehlenden Gesundheitszeugnisses zurücklassen. Sie starb mit mindestens 192 anderen jüdischen Patienten 1940 in der Tötungsanstalt Hartheim.
Die Sonderausstellung ist ab Dienstag (bis 26. Juni) im NS- Dokuzentrum (Brienner Str. 34) zu sehen. Geöffnet: Dienstag bis Sonntag 10 bis 19 Uhr, die Einzelkarte kostet 5 Euro