Kranke Flüchtlingskinder: Ärzte schlagen Alarm
München - Krieg, Gewalt, Flucht und Entbehrung – die Kinder von Asylsuchenden haben oft Schreckliches miterlebt. Eine aktuelle TU-Studie mit 102 syrischen Kindern in der Bayernkaserne verdeutlicht die Folgen: Ein hoher Prozentsatz ist körperlich krank, etwa zehn Prozent müssen sofort behandelt werden.
Außerdem leiden 22,3 Prozent unter einer Posttraumatischen Belastungs- und 16 Prozent unter einer Anpassungsstörung.
Zum Weltkindertag am Sonntag schlagen Mediziner nun Alarm: Die Versorgungslage von jungen Flüchtlingen in München stehe kurz vor dem Kollaps.
„Im Prinzip haben die Kinder von Flüchtlingen dieselben Krankheiten wie unsere Kinder. Die Symptome sind nur ausgeprägter“, sagt Mathias Wendeborn von der Hilfsorganisation „Refudocs“, die in der Erstaufnahmeeinrichtung tätig ist. Doch die Mediziner diagnostizieren auch schwere Erkrankungen wie Malaria, TBC oder Krebs.
Im Schwabinger Klinium seien im August 172 Flüchtlingskinder vorgestellt worden, von denen 102 unter anderem deshalb stationär behandelt werden mussten, sagt Stefan Burdach, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin. „Für September erwarten wir eine Steigerung von 20 Prozent.“
Das sei eine enorme Herausforderung, die nur aufgrund des hohen Engagements von Ärzten und Pflegekräften gemeistert werde.
Bloß: Wie lange noch? „Unter den Flüchtlingen, vor allem unter den Syrern, sind viele Krankenschwestern – und die benötigen wir dringend“, sagt Burdach. „Deshalb würde ich mir wünschen, dass die politischen Entscheidungsträger in dieser Hinsicht dieselbe Flexibilität an den Tag legen, wie wir in den Kliniken.“
Schließlich würden von der „Rekrutierung medizinischen Personals aus Flüchtlingsunterkünften auch deutsche Kinder“ profitieren.
Zudem fordern die Mediziner mehr psychologische Hilfen für minderjährige Asylsuchende. „Praktisch alle Flüchtlinge, die kommen, haben Traumatisches erlebt“, sagt Peter Henningsen, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am TU-Klinikum rechts der Isar. „Nicht alle haben deshalb eine Posttraumatische Belastungsstörung – aber viele.“
Schon ein Geräusch oder Geruch könne bei diesen Menschen die Schreckensbilder wieder heraufbeschwören. Jugendliche und Erwachsene reagierten dann häufig erregt oder leicht reizbar. Bei Kindern sei eine Traumatisierung deutlich schwieriger zu erkennen. Hinzu komme die Sprachbarriere, die eine Diagnostik oft nur mit Dolmetscher möglich mache.
Die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die im Münchner Heckscher-Klinikum stationär behandelt werden, ist von 30 im Jahr 2012 auf 81 im Jahr 2014 gestiegen. „Und heuer waren es Ende August schon 79“, sagt der Ärztliche Direktor Franz Joseph Freisleder. Einige hätten versucht sich umzubringen, andere litten unter Angstzuständen oder seien plötzlich extrem aggressiv.
Besonders häufig kämen diese jungen Patienten aus Einrichtungen, wo sie schon integriert schienen. „Es dauert, bis eine Störung ausbricht“, warnt der Experte.
Volker Mall, Leiter des Lehrstuhls für Sozialpädiatrie an der TUM, sagt deshalb stellvertretend für alle Kollegen: „Wir müssen die psychischen Krankheiten von Flüchtlingskindern von Anfang an in den Blick nehmen.“
Deshalb werde derzeit mit Unterstützung des Sozialministeriums an einem Drei-Stufen-Konzept gearbeitet, das vorsieht, schon in den Erstaufnahmeeinrichtungen nicht nur die körperliche, sondern auch die seelische Verfassung der Kleinsten zu untersuchen.
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