Krailling: So lebt der Verdächtige im Knast

Karge Kost und eine Stunde Hofgang pro Tag: Thomas S. liegt noch auf der Krankenstation. So sieht der Alltag des mutmaßlichen Mörders im Gefängnis aus.
John Schneider |
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Bis auf weiteres das neue Zuhause von Thomas S.: die Justizvollzugsanstalt Stadelheim aus der Vogelperspektive.
Daniel von Loeper 4 Bis auf weiteres das neue Zuhause von Thomas S.: die Justizvollzugsanstalt Stadelheim aus der Vogelperspektive.
Gemütlich geht anders: So sieht eine Gefängniszelle in der JVA Stadelheim aus.
Daniel von Loeper 4 Gemütlich geht anders: So sieht eine Gefängniszelle in der JVA Stadelheim aus.
Stadelheim, 11 Uhr: Ein Häftling gibt im weißen Kittel das Essen an Mithäftlinge aus.
Daniel von Loeper 4 Stadelheim, 11 Uhr: Ein Häftling gibt im weißen Kittel das Essen an Mithäftlinge aus.
„Guten Morgen, Herr S.“: Zum Frühstück wird eine Plastikkanne Kräutertee in die Zelle gereicht.
Daniel von Loeper 4 „Guten Morgen, Herr S.“: Zum Frühstück wird eine Plastikkanne Kräutertee in die Zelle gereicht.

Karge Kost und eine Stunde Hofgang pro Tag: Thomas S. liegt noch auf der Krankenstation. So sieht der Alltag des mutmaßlichen Mörders aus.

STADELHEIM Eine eigene Zelle hat er noch nicht. Thomas S. (50), mutmaßlicher Mörder seiner Nichten Chiara und Sharon, kam am Samstag nach der ärztlichen Zugangsuntersuchung erst einmal auf die Krankenstation der JVA Stadelheim. Wegen der Verletzung, die er sich bei der Tat zugezogen haben soll? Oder aus psychischen Gründen? Das konnte auch Anstaltsleiter Michael Stumpf gestern nicht beantworten: „Es ist aber oft so, dass sich Untersuchungshäftlinge unmittelbar nach der Verhaftung nicht wohl fühlen und erst einmal auf die Krankenstation verlegt werden.“
In welche Zelle er nach seiner Gesundung kommt, ist ebenfalls noch nicht raus. Als Untersuchungshäftling hat er einen Anspruch auf eine Einzelzelle. Die ist in Stadelheim nicht einfach zu finden, da die JVA derzeit zu 120 Prozent ausgelastet ist.

Außerdem müssen die Ärzte ihr Einverständnis geben: „Thomas S. muss für eine Einzelzelle psychisch stabil sein.“ Um Selbstmordgedanken vorzubeugen. Es komme auch vor, dass Häftlinge von sich aus eine Gemeinschaftszelle vorziehen, damit sie jemanden zum Reden haben.

Dass Kindermörder und -schänder in der Knasthierarchie ganz unten stehen, weiß auch Stumpf. Dass der Postbote heftigst beschimpft und beleidigt wird, wenn ihn Mitgefangene als mutmaßlichen Kindermörder identifizieren, damit rechnet auch der Leiter der JVA. Körperliche Attacken fürchtet er aber nicht: „Unser Personal ist geschult, hat eine Antenne für bedrohliche Situationen.“ In seiner – allerdings noch recht kurzen – Amtszeit (seit 2009) sei das noch nicht vorgekommen. Im Fall Thomas S. ist aber klar: „Wir müssen genau hinschauen.“

Der Alltag des Kraillinger Hauptverdächtigen wird in den ersten Tagen von den polizeilichen Vernehmungen strukturiert. Ist die Mordkommission mit ihm durch, sieht ein Tag im Leben des Untersuchungshäftlings so aus:

7 Uhr: Wecken. Dann Frühstück. Üppig fällt das nicht aus. Brot, Margarine, Marmelade, Tee, das ist alles.

Vormittags: Eine Stunde Aufenthalt im Freien. Die einzige im Tagesverlauf. Danach gibt es Gelegenheit, seine Zelle zu putzen oder sich zu duschen. Auch hier wird kontrolliert, um Übergriffe zu verhindern.

11 Uhr: Mittagessen. Am gestrigen Montag gab’s ein Nudelgericht mit Käsesauce, heute werden Königsberger Klopse serviert. Dazu bekommt der Häftling Kartoffeln und Salat.

Nachmittags: Umschluss. Damit ist in der JVA die Zeit gemeint, in der sich die Gefangenen gegenseitig in der Zelle besuchen können, Besuche von außerhalb empfangen oder im Kirchenchor singen.

16.30 Uhr: Das kalte Abendessen. Kann man essen, wann man will. Gestern gab’s zum Brot Schnitt- oder Streichkäse.

Abends:  Zur freien Gestaltung – in der Zelle. Die meisten Insassen legen sich aber vor 22 Uhr schlafen. Wer mag, kann natürlich länger aufbleiben. Und wer Geld hat, kann sich sogar einen Fernseher bestellen. Der hochverschuldete Thomas S. schaut da wohl in die Röhre.

 


 

Auf dem ehemaligen Gut Stadelheim in Giesing entstand ab 1894 das neue Münchner Zentralgefängnis. Bei der Niederschlagung der Münchner Räterepublik Anfang Mai 1919 kam es hier zu zahlreichen Tötungen durch die siegreiche Soldateska. Insgesamt wurden in Stadelheim mindestens 1049 Gefangene hingerichtet, wovon nur 14 auf die Zeit zwischen 1895 und 1927 entfallen (darunter die Gustav Landauers und Eugen Levinés 1919).

Der Großteil der Hinrichtungen wurde in der NS-Zeit ausgeführt. Unter den mindestens 1035 Getöteten dieser Zeit fanden sich unter anderem die Mitglieder der Weißen Rose († 1943). Eine Gedenkstätte wurde 1974 errichtet und kann von Gruppen nach Anmeldung besucht werden. Am 65. Jahrestag der Hinrichtung (22. Februar 2008) von Hans und Sophie Scholl und Christoph Probst wurde die Gedenkstätte erstmals für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht Der Jugend- und Frauenstrafvollzug findet seit 2009 in einem Neubau, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Hauptgelände statt. Dort stehen Haftplätze für 150 Frauen und 50 Jugendliche zur Verfügung. Bis 2009 waren Frauen in der JVA Neudeck untergebracht.

 

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