Krailling: Hat der Täter einen Komplizen?
AZ-Online liefert Antworten und erklärt die Ungereimtheiten dieses scheußlichen Falls
Krailling - Der erschütternde Mord an Sharon († 11) und Chiara († 8) in Krailling soll vom Onkel der Mädchen verübt worden sein. ThomasS. (50), ein Briefträger aus Peißenberg, sitzt in Untersuchungshaft. Viele Fragen bleiben. Die AZ liefert Antworten.
Warum schweigt Thomas S. im Verhör?
Nach seiner Festnahme hat der mutmaßliche Täter noch wenige Fragen (widersprüchlich) beantwortet, seitdem schweigt er beharrlich. Inzwischen hat er einen Anwalt aus dem Münchner Umland hinzugezogen.
Warum legt er kein Geständnis ab?
Der Münchner Strafverteidiger Joachim Schwarzenau sagt dazu: „Ich hätte ihm auch empfohlen zu schweigen.“ Ein Geständnis würde keinen Vorteil bringen. Sollte die Beweislage später so erdrückend sein, kann ein Täter – in Absprache mit seinem Anwalt – immer noch ein Geständnis ablegen. Sonst läuft er Gefahr, dass das Gericht die besondere Schwere der Schuld im Urteil verhängt. Das heißt: Nach 15 Jahren Haft wird dann nicht automatisch der Rest der lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt.
Hat jemand Thomas S. geholfen?
Es kursieren Gerüchte, Ursula S. hätte ihrem Mann bei einer ersten Befragung ein falsches Alibi gegeben. Auch wird über einen möglichen zweiten Täter spekuliert. „Wir schließen nichts aus“, sagt ein Polizeisprecher dazu. Oberstaatsanwalt Ken Heidenreich dagegen erklärt: „Es gibt zurzeit nur einen Tatverdächtigen.“ Rechtlich droht Ursula S., falls sie ihrem Mann ein falsches Alibi verschafft hat, keine Strafe. „Das wäre versuchte Strafvereitelung zugunsten eines Angehörigen, die ist nicht strafbar“, sagt der Münchner Strafverteidiger Thomas Pfister. Vor Gericht dürfte Ursula S. als Ehefrau die Aussage verweigern. Aber: „Sagt sie dennoch aus, darf sie nicht lügen. Das wäre Falschaussage“, so Pfister.
Woher stammt die DNA-Spur, die zum Verhafteten führte?
Im erweiterten Umfeld von Anette S., der Mutter der getöteten Kinder, heißt es in Krailling: Chiara († 8) sei im Bett der Mutter aufgefunden worden, die größere Sharon († 11) vor der Wohnungstür. Von verzweifelter Gegenwehr ist da die Rede. Aus Justizkreisen sickerte durch, dass es eine Blutspur vom Täter gegeben haben soll.
Warum hat das mit der DNA-Analyse so lang gedauert?
Die DNA-Proben von Blutsverwandten der Opfer werden in solchen Fällen üblicherweise als erstes und am genauesten untersucht. Thomas S. ist als Ehemann der Tante der getöteten Kinder kein Blutsverwandter. Er ist erst am 28. März zum ersten Mal vernommen worden, also am Montag nach der Tat, die in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag verübt worden war. Erst am vergangenen Freitagnachmittag, neun Tage nach der Tat, meldete das Polizeilabor den Treffer. Zwei Stunden später nahm das Spezialeinsatzkommando Thomas S. in Peißenberg fest.
Warum hat der Verdächtige die Speichelprobe abgegeben?
92 Proben haben die Ermittler genommen. Die Speichelabgabe ist – juristisch gesehen – freiwillig. Aber wer sich ihr verweigert, macht sich verdächtig. Zudem war anfangs noch nicht sicher, ob am Tatort überhaupt belastendes DNA-Material des Täters gefunden wurde. Entweder nahm der Verdächtige das Risiko der Speichelprobe in Kauf – oder es war ihm ohnehin schon egal, ob er erwischt wird. Christian Lüdke, Psychotherapeut und kriminal-psychologischer Ausbilder von Polizisten: „In seiner Wahrnehmung hatte der Täter nichts mehr zu verlieren. Es war ihm egal, ob er gefasst wird oder nicht.“
Warum diese Brutalität?
Die Kinder wurden wohl mit einem Messer und einer Hantelstange ermordet. Spezialisten nennen das „Übertöten.“ „Das ist typisch bei Beziehungstaten“, sagt Kriminalpsychologe Lüdke. Vernichtungswille und riesiger Hass sind da die Motive, oft ist es ein rauschhaftes „Ausrasten“ des Täters. Generell spricht das Übertöten auch für „unerfahrene Täter“. Thomas S. ist zuvor nie straffällig geworden.
Was ist mit den Tatwaffen?
Die Ermittler wollen zu den Waffen nichts sagen, um kein Täterwissen preiszugeben. Die Mutter soll in Vernehmungen angeblich erklärt haben, sie könne die Hantelstange ihrem Haushalt (in dem sie mit ihren Töchtern allein gewohnt hat) genauso wenig zuordnen wie das Messer, das am Tatort gefunden worden ist. Dieser Punkt kann entscheidend sein: Wenn der Täter die Waffen mitgebracht hat, ist die Tötungsabsicht klar. Experte Lüdke meint dazu: „Der Täter muss das vorher geplant haben – vielleicht über Wochen. So eine Aggression baut sich langsam auf. Der Mann wird diese Morde in seiner Fantasie lange durchgespielt haben.“
Wie muss sich die Frau des Verhafteten nun fühlen?
Psychologe Lüdke: „Möglicherweise hatte sie Befürchtungen, er könnte mal durchdrehen, und sagt sich: Hätte ich mich doch schon eher getrennt! Sie wird sich tausend Fragen stellen und trotzdem nicht verstehen können, was passiert ist. Und auch das ist ein schlimmer innerer Konflikt für sie: Sie wird froh sein – trotz all des Schreckens um ihre Nichten – dass der Mann nicht ihre eigenen Kinder getötet hat.“
Was sagen Kollegen des mutmaßlichen Täters?
Der Postbote Thomas S. war nach Feldafing versetzt worden, weil er offenbar mit seinen Kollegen nicht zurecht gekommen war und es Ärger gegeben hatte. Jetzt reagieren die Kollegen in Feldafing mit Schweigen. Zum einen, weil sie entsetzt sind – aber auch mit Verweis auf das „laufende Verfahren“. Auch der Chef der Post Feldafing wollte sich nicht zu dem Vorfall äußern. Auch bei der Post in Peißenberg, wo Thomas S. gewohnt hat, will niemand etwas zu dem schrecklichen Verbrechen sagen.
Warum gab es Streit in der Familie?
Anette S., die Mutter der getöteten Kinder, und Ursula S., die Ehefrau des Verhafteten, sind Schwestern – und gemeinschaftliche Erben. Wegen mindestens einer Wohnung – es ging dabei um eine Einzimmerwohnung in Krailling – soll es zum Streit zwischen Thomas S. und seiner Schwägerin gekommen sein. Denn Thomas S. war verschuldet. Er habe darauf gehofft, dass die Wohnung in Krailling verkauft wird und er damit seine Schulden bezahlen kann, berichtet Bauunternehmer Johann S. in Peißenberg. Die Wohnung sei ein „Streitthema“ gewesen.
Was ist mit der Belohnung?
Bei der Polizei waren mehr als 140 Hinweise aus der Bevölkerung in und um Krailling und dem näheren Umfeld der Familie der Opfer eingegangen. Nach der Festnahme spricht die Polizei von einem „Spur-Treffer“. Die Belohnung, die von Privatleuten von 5000 Euro auf 13 500 Euro aufgestockt worden ist, sei nach wie vor ausgesetzt, sagt eine Sprecherin vom Polizeipräsidium München. Denn noch sind die Hintergründe der Tat längst nicht geklärt. Die Beamten hoffen weiter auf „Hinweise, die der Überführung des Täters“ dienen.
Wie lang dauert es bis zur Anklageerhebung, bis zum Prozess?
In der Regel vergeht bis zur Anklageerhebung zirka ein Dreivierteljahr. Beweise müssen gesammelt, Zeugen befragt, Gerichtsgutachten ausgewertet werden. Gutachter müssen ihre Stellungnahme abgeben und die Frage der Schuldfähigkeit klären. Dann muss der Prozessverlauf zwischen den Beteiligten terminiert werden. „Bis der Prozess schließlich eröffnet werden kann, ist dann gut ein Jahr vergangen“, sagt Anwalt Schwarzenau.
Kann der Beschuldigte ohne Geständnis verurteilt werden?
„Eine DNA-Spur reicht alleine nicht aus“, glaubt Anwalt Schwarzenau. Ohne Geständnis müssen die Ermittler noch einige Indizien zusammentragen. Wie im Mordfall Dirk Poschinger-Camphausen (†35), in dem der Täter auch ohne Geständnis verurteilt wurde. Die Polizei hatte viele Indizien – neben den DNA-Spuren vom Täter, die man an der Leiche gefunden hatte. Auch die Tatwaffe gehörte dem Täter. Anwalt Thomas Pfister sieht die Sache eindeutiger als sein Kollege. „Eine DNA von einer Blutspur am Tatort eines Mordes ist eines der härtesten Indizien, die man haben kann“, sagt er. „Dazu kommt ja auch noch die Beziehung zur Familie des Opfers und damit das Motiv: Geld und Hass.“
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