Krailling: Der Indizienprozess geht zu Ende

München – Die achtjährige Chiara und ihre elfjährige Schwester Sharon haben verzweifelt um ihr Leben gekämpft. Ihre Verletzungen und der blutige Abdruck einer kleinen Hand an der Wand zeugen von ihrem Martyrium. Der eigene Onkel soll seine beiden Nichten in Krailling bei München aus Habgier ermordet haben – vor dem Landgericht München weist er die Schuld von sich. Nach einer dreimonatigen Beweisaufnahme geht der Prozess dem Ende zu: Voraussichtlich am Montag soll plädiert werden, am Dienstag wird das Landgericht München II wahrscheinlich sein Urteil sprechen.
Selbst erfahrene Ermittler packte das Entsetzen: Der Onkel, selbst Familienvater, soll sich in der Nacht zum 24. März 2011 in die Wohnung seiner Schwägerin geschlichen und die Kinder mit einem Seil, einer Hantelstange und einem Messer ermordet haben. Um einen Erbstreit zugunsten seiner Frau zu entscheiden, wollte der nach einem Hausbau verschuldete Postbote laut Anklage auch die Mutter töten - mit einem Elektrogerät in der Badewanne. Nur weil sie später heimkam, entging sie nach Überzeugung der Anklage der Tat. Die Frau fand die Leichen ihrer Kinder schaurig hindrapiert.
„Manchmal möchte man nur noch schreien“, sagt ein junger Polizist, der mit einer Kollegin als erster am Tatort war. Der frühere Münchner Mordermittler Josef Wilfling spricht in seinem Buch „Unheil“ von einem Verbrechen, das „wohl als eines der unfassbarsten und schockierendsten in die Kriminalgeschichte unseres Landes eingehen wird“.
Der 51-jährige Angeklagte jedoch blieb nach außen ungerührt – bis auf sein Grinsen. Manche empfanden es als herablassend, spöttisch, höhnisch. Andere interpretierten es als Distanzierung – als ginge ihn das alles nichts an. Der Angeklagte sei es aber, um den es hier gehe, betonten Staatsanwalt Florian Gliwitzky und die Anwälte von Mutter und Vater der toten Kinder, die Nebenkläger sind.
„Überlegen Sie, ob Sie Verantwortung übernehmen wollen“, rief der Anwalt des Vaters, Andreas von Máriássy, in der letzten Sitzung Ende März dem Angeklagten zu. „Ihre Chance.“ An diesem 13. Prozesstag hätte das Urteil fallen sollen. Aber der Postbote wollte überraschend aussagen. Freilich kam kein Geständnis: Er wies die Tat von sich, erhob Vorwürfe gegen Ermittler, warf Zeugen Falschaussage vor – und erzählte eine nicht immer logische Geschichte: Seine DNA-Spuren in der Wohnung der Schwägerin stammten von einem Nasenbluten bei einem Besuch. Das Seil, mit dem Chiara gewürgt wurde, habe er bei diesem Besuch Sharon zum Wegwerfen gegeben. Eine Fahrradlampe mit seinem Fingerabdruck habe er ihr geschenkt.
„Er hat Tat- und Geschehensvarianten geschildert, die letztlich für alle Verfahrensbeobachter völlig unplausibel waren“, sagt Oberstaatsanwältin Andrea Titz. „Letztendlich hat seine Einlassung in keiner Weise dazu geführt, dass die Ermittlungsergebnisse erschüttert worden wären.“ Sie sehe durch den Prozess die Überzeugung der Staatsanwaltschaft bestätigt, dass der Angeklagte der Täter sei. Es gibt kaum Zweifel, dass Staatsanwaltschaft und Nebenklage lebenslange Haft fordern werden. Sie dürften wohl auch beantragen, die besondere Schwere der Schuld festzustellen. Damit können Verurteilte nicht nach 15 Jahren vorzeitig frei kommen.
Mehrfach saßen im Gericht die Großmutter der Mädchen, andere Verwandte und Freunde. Nicht in Erscheinung trat in dem Prozess die Mutter, die beide Kinder verlor. Sie wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen, der Angeklagte wurde während dieser Zeit in einen anderen Raum gebracht. Den Zustand der Frau beschreibt ihre Mutter – die Großmutter der Mädchen – mit wenigen Worten: „Es geht ihr sehr, sehr schlecht.“