Krailling-Angeklagter: Er streitet alles ab

Erstmals hat der Angeklagte im Doppelmordprozess sein Schweigen gebrochen. "Ich war nicht in Krailling." Stattdessen will Thomas S. Sex mit seiner Frau gehabt haben.
von  Torsten Huber
Die Aussage wurde mit Spannung erwartet: Erstmals im Prozess um den Mord an den Kraillinger Schwestern Chiara und Sharon hat der Angeklagte Stellung genommen. Ein Geständnis gab es nicht. Im Gegenteil. Bilder aus dem Prozess.
Die Aussage wurde mit Spannung erwartet: Erstmals im Prozess um den Mord an den Kraillinger Schwestern Chiara und Sharon hat der Angeklagte Stellung genommen. Ein Geständnis gab es nicht. Im Gegenteil. Bilder aus dem Prozess. © dpa

Zum ersten Mal hat der Angeklagte im Doppelmordprozess sein Schweigen gebrochen. "Ich war nicht in Krailling." Stattdessen will Thomas S. Sex mit seiner Frau gehabt haben.

München - Um 13.04 Uhr betritt Thomas S. (51) den Münchner Schwurgerichtssaal. Starr blickt er in die Kameras, lässt das Blitzlichtgewitter über sich ergehen. Als die Fotografen und Kameraleute den Saal verlassen haben, setzt der mutmaßliche Doppelmörder von Krailling, der seine Nichten Chiara (†8) und Sharon (†11) aus Habgier ermordet haben soll, seine Brille auf, greift zu einem Stapel Papier. Grimmig mustert er die Zuschauer.

Die Spannung ist greifbar. Was wird er wohl aussagen? Er gesteht nicht. Im Gegenteil. Thomas S. versucht, die Mord-Vorwürfe zu entkräften: „Ich war nicht in Krailling, sonst hätte ich meine Frau während des Geschlechtsverkehrs verlassen müssen – und das hätte sie gemerkt.“ Damit will der Postbote sagen, dass er in der Tatnacht zum 24. März 2011 Sex hatte – und seine Nichten nicht getötet hat.

Und die Zeugen, die aussagten, dass er Verletzungen an Nase und Hand gehabt habe? „Das ist Unsinn“, so Thomas S., „ich hatte zu dem Zeitpunkt keine Verletzungen". Und der Angeklagte betont: „Der Erkennungsdienst hat bei meiner Festnahme auch keine Verletzungen festgestellt. Sonst wären sie dokumentiert gewesen.“ Die Ermittler hätten, redet er sich fast in Rage, nicht genug Fotos vom Tatort gemacht.

Ein ungläubiges Raunen geht durch den Zuschauerraum, in dem Familienangehörige sitzen. einige haben Tränen in den Augen. Thomas S. sagt, dass es zwei Täter gewesen sein müssen: „Chiara soll im ersten Stock getötet worden sein. Woher kommen dann die Kampfspuren im zweiten Stock, wo Sharon gefunden wurde? Das schließt mich als Täter aus. Ich kann nicht Sharon im ersten Stock und gleichzeitig Chiara im zweiten Stock getötet haben", so seine These.

Das Ergebnis der Ermittlungen, dass Chiara noch gelebt hat, nachdem er auf sie eingestochen hat, sei Unsinn. „In Stadelheim hat jemand Selbstmord begangen. Er hat sich die Halsader durchgeschnitten. Der war innerhalb einer Minute tot.“ Weiter sagt Thomas S.: „Es hat geheißen, ich hätte mit den Kindern in der Wohnung gekämpft. Das würde heißen, ich hätte mit meinen 100 Kilo keine Chance gegen ein elfjähriges Kind." Für ihn ein weiteres Indiz für seine Unschuld.

Allerdings nur für ihn. Zum Tatwerkzeug, eine Hantel und ein Seil, die er laut Anklage mitgebracht hat, erklärt er: „Meine beiden Hantelstangen wurden nach meiner Festnahme bei uns daheim gefunden." Und die angeblichen finanziellen Probleme? Die habe die Polizei an den Haaren herbeigezogen: „Wir hatten 58.800 Euro zur Verfügung. Die Raten und der Lebensunterhalt machten 36.300 Euro aus. Bei einem Plus von 22.000 kann man über die Runden kommen.“

Bevor der Angeklagte um eine Pause bittet, sagt er: „Ich habe meine Nichten nicht getötet. So etwas macht man nicht. Man tötet keine Menschen. Ich lebe gut 50 Jahre und habe in meinem ganzen Leben noch niemandem ernsthaft Leid zugefügt.“

Die Staatsanwaltschaft sieht keinen Grund, an der Mordanklage zu zweifeln. „Er hat Hypothesen aufgestellt, die sich aus unserer Sicht so nicht halten lassen“, sagte Oberstaatsanwältin Andrea Titz. Seine Darstellung sei zwar in sich verständlich. Aber: „Aus unserer Sicht ist das in keinster Weise glaubwürdig. Wir gehen weiter von seiner Täterschaft aus.“

Nach der Pause nimmt Thomas S. Stellung, warum seine Noch-Ehefrau Ursula das Alibi für ihn widerrufen hat: „Ich nehme an, das sind die Nebenwirkungen ihrer Medikamente." Seine Noch-Ehefrau, die bereits die Scheidung eingereicht hat, leidet an Brustkrebs. Ursula S. soll bei der Polizei ausgesagt haben, dass der Angeklagte sie habe umbringen wollen. Dies wertet der Anklagte als Unsinn: „Ich baue ein Haus in Peißenberg – und sitze dann da allein mit vier Kindern ..."

Das Alibi von seiner Noch-Ehefrau – er versteht nicht, warum sie es widerrufen hat: „Sie hätte bemerkt, wenn ich mich nachts aus dem Bett geschlichen hätte. Sie wird auch wach, wenn ich nur auf die Toilette gehe. Sie kuschelt immer, wäre dann aus dem Bett gefallen, wenn meine Seite leer gewesen wäre."

Und die Behauptung seiner Frau, dass er von ihrem Konto 60.000 Euro gestohlen hat? „Sie selbst hat das Geld abgehoben, das bestätigt eine Quittung." Seine Frau sei es gewesen, die immer geldgierig gewesen ist. Sie soll auch gleich nach dem Tod der Nichten davon gesprochen haben, dass sie ihre Schwester dazu bewegen will, die eineinhalb Wohnungen zu verkaufen. „Ich habe ihr gesagt, dass die Schwägerin jetzt andere Probleme hat“, so Thomas S.

Nachdem Thomas S. fertig ist, nimmt ihn das Gericht in die Zange. Die Kernfrage des Richters: Wie kommen all seine Blut- und DNA-Spuren in die Tatort-Wohnung seiner Schwägerin? „Ich war zwischen dem 13. und 17. März (eine Woche vor der Tat, die Red.) bei meiner Schwägerin", so der Angeklagte. Die Frage des Richters, wie Blutspuren auf das Fensterbrett im zweiten Stock gekommen seien, versucht er so zu erklären: „Ich habe durchs Fenster geschaut, weil ich die Margarethenkirche sehen wollte."

Der Richter reagiert sauer: „Sie begeben sich auf dünnes Eis. Wir müssen Ihnen nicht alles glauben!" Auf die Frage, warum im ganzen Haus Blutspuren von ihm sind und er versucht habe, sie wegzuwischen? „So verlässt man eben eine fremde Wohnung“, belehrt der Angeklagte. Er habe einen Eimer und Lappen benutzt. „So bin ich halt erzogen worden.“

Der Vorsitzende Richter Ralph Alt: „Wenn ein Bluttropfen auf den Boden fällt, nimmt man ein Tuch und tupft das Blut ab. Aber man wischt nicht gleich die ganze Wohnung." Da fällt dem Angeklagten nichts mehr ein. Wie seine DNA an die getöteten Kinder gekommen sei, fragt der Richter. Dazu hat Thomas S. eine Verschwörungstheorie: „Mir wurde in Stadelheim eine Ampulle mit Blut abgenommen. Die ist verschwunden.“ Der Richter aufbrausend: „Wollen Sie sagen, dass die Blutampulle aus Stadelheim verschwunden ist – und am Tatort verbreitet wurde?“ – „Keine Ahnung.“ Auch keine Erklärung hat er, wie sein Blut auch auf den Lichtschalter im Bad gekommen ist.

Thomas S. verstrickt sich zunehmend in Ungereimtheiten und Widersprüche. Zum völligen Eklat kommt es, als er auf eine Frage des Richters antwortet: „Da müssen Sie schon Sharon fragen.“ Das Kind, das Thomas S. getötet haben soll.


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