"Krachparade" in München: "Langweiler raus aus den lebendigen Vierteln"

München - Die Initiative "Mehr Lärm für München" ruft am Samstag zur Großdemo. Bei dem Zug, der vom Odeonsplatz (15 Uhr) Richtung Theresienwiese zieht (Ende 22 Uhr), werden diesmal 10.000 junge Menschen erwartet. Denn bei der elften Parade dieser Art in München sind erstmals über 30 Musikkollektive, Bands und auch Mieterinitiativen dabei. Und eine Musik- und Tanzdemonstration, Motto "Freiraum saven – weiter raven".
Worum geht es? Die AZ hat mit Krachparade-Sprecherin Julia Richter gesprochen. Die Biologin (37) gehört zum sechsköpfigen Organisationsteam der Initiative "Lärm für München".

AZ: Frau Richter, Ihre Initiative bezeichnet sich als "Lobby für den Lärm", und plakatiert Sprüche wie "Tanzen ist auch Sport". Worum geht es Ihnen?
JULIA RICHTER: Es gibt in München zu wenig Freiräume für junge Menschen, die auch mal laut sein, Musik machen, tanzen und sich kreativ ausleben möchten. Wir wollen, dass die Stadt Freiräume für Subkultur schafft, wo junge Menschen ganz offiziell laut sein dürfen.
Das sind Forderungen aus den Pandemiejahren, als Clubs und Bars geschlossen waren. Jetzt ist alles offen, reicht das nicht?
Nein, wir wollen uns auch unter freiem Himmel treffen und laut sein dürfen. Die Atmosphäre ist da anders, weil jeder Passant dazukommen kann, egal wie alt, welches Geschlecht, welche Hautfarbe oder was er im Geldbeutel hat. Uns ist auch wichtig, dass das Veranstaltungen ohne Eintrittsgelder und Konsumzwang sind. Das geht nicht in Clubs.
Ziel der "Krachparade": "Wünschen uns Orte, die vier Mal im Jahr laut bespielt werden dürfen"
Wie soll das aussehen?
Wir wünschen uns, dass die Stadt 20 Orte in München festlegt, die vier Mal im Jahr legal per Sondergenehmigung laut bespielt werden dürfen, auch nachts, mit Raves, mit Konzerten, Theatern, Poetry Slams. Das wären 80 Partys im Jahr.
Wo, zum Beispiel?
Zentral auf der Theresienwiese, am Königsplatz oder vor dem Friedensengel, oder abseits am Tatzelwurm unter der A9 oder an der Regattastrecke.
Die Stadträte fast aller Parteien befürworten solche Ideen und haben ein Konzept für Draußen-Partys beauftragt.
Wir haben dem Nachtbürgermeister dafür auch eine Liste mit Orten für Pilotprojekte geschickt. Aber es dauert alles sehr lang und es kann keine Dauerlösung sein, dass Ravepartys illegal veranstaltet werden müssen und dann von der Polizei aufgelöst werden.
"Mehr Lärm für München": "Man sieht, wie groß der Wunsch junger Leute nach solchen Festen ist"
Wo zuletzt?
Vorletztes Wochenende sind zwei Raves mit 100 bis 200 Leuten aufgelöst worden, einer im Ebersberger Forst, den zweiten Ort möchte ich nicht nennen.
Wie oft im Jahr passiert das?
Die Community schätzt, dass pro Jahr an die 100 Raves in und um München aufgelöst werden, vor allem im Sommer, das sind zwei Drittel der Partys, die stattfinden. An der Zahl sieht man, wie groß der Wunsch junger Leute nach solchen Festen ist.
In der Krachparade verknüpfen Sie auch das Thema teure Mieten und Mieterverdrängung mit dem Bedürfnis nach Lärm. Wie geht das zusammen?
Je mehr in einem Viertel luxussaniert wird und neue Menschen hinziehen, die sich teure Mieten leisten können, umso mehr wird sich dort über Lärm aus Gastro und Nachtleben beschwert – wie aktuell beim Salon Irkutsk in der Maxvorstadt, die Kneipe muss jetzt abends früher schließen. Sowas ist existenzbedrohend für Bars und Clubs in der Stadt. Das macht das urbane Leben kaputt.
Krach-Demo in München: "Es ist belegt, dass oft Zuzügler sich dann beschweren, wenn es urban zugeht"
Kein Verständnis dafür, dass Anwohner nachts ihre Ruhe haben möchten?
Doch, natürlich. Aber Ruhebedürftige und Langweiler sollten nicht in die lebendigen Krachviertel ziehen, sondern in stille Wohnviertel, die München ja auch bietet. Es ist belegt, dass es nicht alteingesessene Anwohner sind, die sich über geselligen Lärm beschweren, sondern oft Zuzügler, die schick und teuer in Trendvierteln wohnen wollen – sich dann aber beschweren, wenn es urban zugeht.

Mieter verdrängen heißt Lärm-Nörgler anziehen?
So sehen wir das, ja.
Was wäre Ihre Lösung?
Die Stadt sollte Viertel definieren, die an einem Wochenende im Monat offiziell Krachviertel sein dürfen, ohne Nachtruhe. Erstens dürfte man da laut sein, zweitens würde das Sanierungsspekulanten abschrecken, weil so ein Umfeld für ihre Klientel nicht mehr so interessant wäre. Altschwabing, das Gärtnerplatzviertel oder die Türkenstraße wären Beispiele. Es sollte Viertel geben für beide Bedürfnisse, Ruhe und Lärmlust. Dafür gehen wir jetzt auf die Straße.