Interview

"Kostenfalle": Was die Wärmewende den Menschen in München wirklich bringt

Die Umweltreferentin Christine Kugler erklärt im AZ-Interview, wie sie das Heizungsgesetz in München umsetzt, welche Kosten und Baustellen auf die Münchner zukommen und warum es sich nicht lohnt, eine Gasheizung jetzt noch schnell auszutauschen.
von  Christina Hertel
Christine Kugler ist die Klimareferentin der Stadt. Sie hat mit ihrem Team den Wärmeplan für München entwickelt.
Christine Kugler ist die Klimareferentin der Stadt. Sie hat mit ihrem Team den Wärmeplan für München entwickelt. © Hannes Magerstädt

München - Gegen das Heizungsgesetz sind vergangenes Jahr Tausende Menschen auf die Straße gegangen. Dann hat sich die Bundesregierung doch noch geeinigt und neue Regeln fürs Heizen beschlossen. Für die Umsetzung sind die Kommunen verantwortlich. Sie müssen unter anderem einen Wärmeplan erstellen. Aber was heißt das für die Münchnerinnen und Münchner? Wie lange können sie noch weiter mit Öl und Gas heizen? Welche Kosten und Baustellen drohen ihnen? All das erklärt Umweltreferentin Christine Kugler (parteilos). Ihr Referat hat in den vergangenen eineinhalb Jahren den Wärmeplan für München erstellt. Im April entscheidet darüber der Stadtrat. Doch schon jetzt gibt es Streit.

AZ: Frau Kugler, angenommen, ich wohne im Westend zur Miete und heize mit Gas. Was ändert sich für mich in den nächsten fünf Jahren?
CHRISTINE KUGLER: Wenn die Gasheizung funktioniert, ändert sich erst einmal nichts. Erst, wenn sie nicht mehr repariert werden kann, muss der Eigentümer handeln. Ab Mitte 2026 gilt die gesetzliche Vorgabe, dass die Wärmeversorgung zu 65 Prozent aus erneuerbaren Energien gedeckt sein muss. Diese Vorgabe kann der Eigentümer auch erfüllen, wenn er das Haus an die Fernwärme anschließt. Das Westend gehört zu den Gebieten, wo geplant ist, noch mehr Häuser an das Fernwärmenetz anzuschließen. Denn da gibt es schon Leitungen in den Straßen, aber erst 60 Prozent der Häuser im gesamten Fernwärmegebiet sind an die Fernwärme angeschlossen.

Diese Grafik zeigt, wo in der Stadt die Fernwärme ausbauen will.
Diese Grafik zeigt, wo in der Stadt die Fernwärme ausbauen will. © LHM

Das heißt: Ich habe dann eine Riesenbaustelle im Haus und muss ausziehen?
Nein, für den Ausbau der Gasheizung und den Einbau einer Übergabestation für die Fernwärme muss man nicht ausziehen.

Zweiter Annahmefall: Ich lebe in Trudering in einem alten Einfamilienhaus mit Ölheizung im Keller. Muss ich die demnächst raus reißen?
Vor 2045 nur, wenn sie irreparabel kaputt geht. Was dann in Frage kommt, hängt auch davon ab, wo sich das Haus genau befindet. Auf unserer Wärmekarte, die wir bald online veröffentlichen, können Sie auf Ihre Adresse klicken. Dann ploppt auf, ob eine Luftwärmepumpe oder Erdwärmekollektoren oder ein Fernwärmeanschluss die passende Lösung ist.

Wärmepumpen, Fernwärme, Grundwasserpumpen: Diese Alternativen gibt es in München

Von was hängt es ab, was sich am besten eignet?
Wärmepumpen eignen sich eher in Gebieten mit Ein- und Zweifamilienhäusern. In der Innenstadt fehlt dafür oft der Platz – hier ist die Fernwärme die optimale Lösung. Für eine Grundwasserwärmepumpe braucht man schließlich Brunnen. Aber auch sonst gibt es Einschränkungen: Grundwasserwärmepumpen sind zwar sehr effizient, aber sie kommen beispielsweise in Wasserschutzgebieten nicht in Frage. Luftwärmepumpen empfehlen wir als beste Wärmelösung da, wo effizientere Alternativen wie Fernwärme oder Grundwasserwärmepumpen nicht in Frage kommen. Wir können für 96 Prozent der Baublöcke in München eine Aussage treffen, was sich am besten eignet und weisen gleichzeitig oft auch auf technische Alternativen hin. Gleichzeitig zwingt der Wärmeplan niemanden zu irgendetwas. Er ist eine Serviceleistung der Stadt.

Klingt trotzdem nach teuren Baustellen für Eigentümer.
Teuer ist relativ. Noch liegen die Investitionskosten einer Wärmepumpe höher, als wenn ich einen Gaskessel oder Ölkessel ersetze, Aber: Die Wärmepumpe wird großzügig bezuschusst. Angenommen der Gebäudeeigentümer hat ein Jahreseinkommen unter 40.000 Euro und überlegt sich, die Ölheizung schon jetzt zum Beispiel gegen eine Wärmepumpe zu tauschen. Dann würde er vom Bund 70 Prozent Förderung bekommen. Minimum bekommt man gerade 50 Prozent Förderung, auch mit einem höheren Einkommen. Das gilt für alle Heizanlagen, die das Haus mit erneuerbaren Energien versorgen, zum Beispiel auch für den Anschluss an ein Wärmenetz.

Fernwärme mitten in der Stadt – Mit dem Projekt "Geothermie Schäftlarnstraße" kann die SWM 80.000 Münchner mit warmem Wasser versorgen.
Fernwärme mitten in der Stadt – Mit dem Projekt "Geothermie Schäftlarnstraße" kann die SWM 80.000 Münchner mit warmem Wasser versorgen. © pa

Wie hoch ist der finanzielle Vorteil am Ende genau?
Auch mit der Förderung sind die Anschaffungskosten einer Wärmepumpe etwas teurer. Aber langfristig lohnt es sich trotzdem nicht, den Gaskessel zu erneuern. Ab 2029 muss bei neuen Gasheizungen peu à peu immer mehr Biomethan beigemischt werden. Das ist eine echte Kostenfalle. Außerdem muss man aufgrund der Entwicklungen beim Europäischen Emissionshandel mit steigenden Preisen für CO2 bei fossilen Energien rechnen. Studien gehen davon aus, dass der Gaspreis damit fast doppelt so teuer sein wird wie der Wärmepreis bei einer strombetriebenen Wärmepumpe. Eine alte Gasheizung jetzt noch schnell gegen eine neue auszutauschen, lohnt sich also auf keinen Fall.

Energiewende: Warum fossile Energieträger immer teurer werden

Solche Gesetze können sich ändern.
Das ist theoretisch möglich aber eher unwahrscheinlich. Denn Klimaschutz hat mit Blick auf die kommenden Generationen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Verfassungsrang.

Mit einem Fernwärme-Anschluss hat man keine andere Möglichkeit mehr, als die Preise der Stadtwerke zu akzeptieren. Wird die Stadt faire Preis durchsetzen? Gerade gehören die Stadtwerke schließlich zu den teuren Anbietern.
Die Preise der Stadtwerke bewegen sich im Mittelfeld. Aber es gibt wenig Möglichkeiten für die Politik, Einfluss zu nehmen, weil die Art und Weise, wie die Fernwärmepreise berechnet werden, geregelt ist und derzeit unter anderem von den Preisen für fossile Energien abhängt.

Um die Münchner mit Fernwärme zu versorgen, planen die Stadtwerke bis zu 50 Kilometer neue Leitungen zu verlegen. Also droht München noch mehr Baustelle und Verkehrschaos?
Das Fernwärmenetz wird um 600 Kilometer erweitert – von 1000 auf 1600 Kilometer. Aber natürlich werden Baustellen entstehen. Die Kunst wird sein, die Baustellen gut zu koordinieren. Wir dürfen keine Straßen mehrmals hintereinander aufreißen – einmal für Fernwärme, einmal Telekommunikation, dann noch mal für Baumpflanzungen. Wenn die Baustellen geschickt geplant werden, werden sich die Zumutungen in Grenzen halten.

Christine Kugler im Gespräch mit AZ-Rathausreporterin Christina Hertel.
Christine Kugler im Gespräch mit AZ-Rathausreporterin Christina Hertel. © Hannes Magerstädt

Baustellen durch Fernwärme: Darauf müssen sich die Münchner einstellen

Momentan besteht die Münchner Fernwärme vor allem aus Kohle und Gas. Das ist doch auch nicht klimaneutral.
Im Moment noch nicht, das stimmt. Aber wir werden von der CO2-Last bald deutlich runter kommen, weil der Kohleblock in Unterföhring auf Gas umgestellt wird. Vor allem bringt aber Tiefengeothermie etwas. Die SWM planen, schon 2035 zu 80 Prozent regenerative Wärme bereitzustellen und 2040 zu 100 Prozent.

Voraussetzung dafür ist, dass die SWM Geothermie massiv ausbauen.
Richtig. Momentan existieren 15 Bohrungen. Das Ziel sind 65.

Wie realistisch ist das? Heuer wollen die Stadtwerke beginnen, die Geothermie-Anlage am Michaelibad zu bauen. 2033 soll sie fertig sein. Wenn es in dem Tempo weitergeht, wird es 2074, bis alle Anlagen fertig sind.
Beim Michaelibad liegt die Baustelle mitten in der Stadt auf einem Freibadgelände, das ist natürlich schwierig. Da gab es Verzögerungen. Aber ich erwarte, dass man durch diese Lernkurve die anderen Projekte schneller und parallel angeht.

Kraft-Wärme-Kopplungs-Prozess (KWK) als unweltverträgliche, notwendige Brückentechnologie – Wärmewende kann nur schrittweise umgesetzt werden
Kraft-Wärme-Kopplungs-Prozess (KWK) als unweltverträgliche, notwendige Brückentechnologie – Wärmewende kann nur schrittweise umgesetzt werden © SWM

Wo sind weitere Anlagen geplant?
Zum Beispiel am Virginia Depot. Auch in anderen Gebieten werden Standorte geprüft.

Aber wenn letztlich kein Handwerker da ist, der das Ganze umsetzt, klappt es auch nicht.
Was wir vom Handwerk zum Wärmeplan hören, ist sehr positiv. Sie sagen: So etwas brauchen wir für unsere Arbeit, weil wir so unsere Kunden viel besser beraten können.

Den Fernwärmeausbau umzusetzen, kostet die Stadt 9,5 Milliarden Euro. Doch schon jetzt versinkt die Stadt in den Schulden. Wie soll sie das bezahlen?
Die Investition tragen die Stadtwerke alleine. Sie hoffen, dass sie 40 Prozent der Kosten als Förderung vom Bund wieder zurückbekommen. Langfristig dürfte sich die Investition rechnen.

Stadtwerke München: Investition in Windparks in Norwegen

War es unklug von den Stadtwerken, dass sie lange lieber in Solarparks in Spanien und in Windräder in Norwegen investiert haben als in erneuerbare Energien hier vor Ort?
Nein. Weil die Energiewende im Strombereich mindestens genauso wichtig ist wie die Wärmewende. Die Stadtwerke machen sich schon länger Gedanken über die Fernwärme der Zukunft und jetzt liegt der Plan ausgearbeitet auf dem Tisch.

OB Dieter Reiter und seine SPD haben vor kurzem Regeln für die Wärmewende aufgestellt. Zum Beispiel sind sie gegen kürzere Fristen beim Heizungstausch – angeblich anders als Ihr Referat. Vor was hat der OB die Münchner bewahrt?
Die Behauptung, dass wir das Heizungsgesetz schneller umsetzen wollen, ist falsch. Wir haben in einem Entwurf der Beschlussvorlage informiert, welche Instrumente es gibt. Die Frage, ob und wann die Stadt diese Instrumente nutzen möchte, war und ist kein Entscheidungspunkt im Wärmeplanbeschluss. Wichtig ist es jetzt, die Menschen bei diesem komplexen Thema zu unterstützen und zu begleiten. Unsere Kommunikationskampagne ist in den Startlöchern. Wir sprechen mit den Menschen, wir machen aufsuchende Energieberatung, wir werden eine Telefonhotline einrichten, unter der sich Menschen bei Fragen melden können. Und ich werde jetzt auch noch mal mit den Fraktionen sprechen, um eventuell noch vorhandene Bedenken auszuräumen.

Wie optimistisch sind Sie, dass der Stadtrat zustimmt?
Ich bin sehr optimistisch, dass dieses Projekt durchgeht. Denn der Wärmeplan ist eine Serviceleistung für Bürger, Wohnungswirtschaft und Handwerk.

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