Konstantin Wecker: „Mir ist alles Militärische suspekt“

Exklusiv in der AZ: Der Münchner Musiker kritisiert Oberbürgermeister Christian Ude und sagt, warum er alle Bürger zum Protest gegen das Gelöbnis der Bundeswehr am kommenden Donnerstag auf dem Marienplatz aufruft. Ein Gespräch über Krise, Kriege und warum Kunst subversiv sein muss
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Konstantin Wecker voll in seinem Element - auf der Bühne, hier bei einem Auftritt im Circus Krone.
Bayerischer Rundfunk//Wilschewski 4 Konstantin Wecker voll in seinem Element - auf der Bühne, hier bei einem Auftritt im Circus Krone.
Unter dem Motto „Gelöbnix“ und „Kriegseinsätze stoppen “ wollen Friedensgruppen auch in München gegen öffentliche Gelöbnisse demonstrieren – wie hier in Berlin.
dpa 4 Unter dem Motto „Gelöbnix“ und „Kriegseinsätze stoppen “ wollen Friedensgruppen auch in München gegen öffentliche Gelöbnisse demonstrieren – wie hier in Berlin.
Mit Transparenten protestierten Kriegsgener gegen ein Gelöbnis der Bundeswehr in Köln.
dpa 4 Mit Transparenten protestierten Kriegsgener gegen ein Gelöbnis der Bundeswehr in Köln.
Soldaten der Bundeswehr entfernen auf einer Ballustrade des Doms in Köln ein Transparent, das Demonstranten während des Gelöbnisses ausgerollt hatten.
dpa 4 Soldaten der Bundeswehr entfernen auf einer Ballustrade des Doms in Köln ein Transparent, das Demonstranten während des Gelöbnisses ausgerollt hatten.

MÜNCHEN - Exklusiv in der AZ: Der Münchner Musiker kritisiert Oberbürgermeister Christian Ude und sagt, warum er alle Bürger zum Protest gegen das Gelöbnis der Bundeswehr am kommenden Donnerstag auf dem Marienplatz aufruft. Ein Gespräch über Krise, Kriege und warum Kunst subversiv sein muss

In seinen Konzerten hat er die Börsen-Haie schon lange vor der Krise tanzen lassen und rappt heute gegen Krieg und Rassismus. Im AZ-Interview sagt Konstantin Wecker, warum ihm Uniformen und Soldaten schon von klein auf unheimlich waren, er seinen Oberbürgermeister wieder einmal überhaupt nicht versteht und er alle Bürger zum Protest gegen das umstrittene Gelöbnis von 700 Bundeswehr-Soldaten auf dem Marienplatz aufruft (siehe auch Info unten).

AZ: Was stört Sie daran, wenn Soldaten in München aufmarschieren? KONSTANTIN WECKER: Dass das Militärische heute wieder eine Selbstverständlichkeit erlangt, macht mir Sorgen. Mir ist persönlich alles, was Militarismus wieder in den Vordergrund rückt und salonfähig macht, suspekt. Schon seit frühester Kindheit war mir alles Soldatische unheimlich und jede Uniformierung zu tiefst zuwider.

Welche Funktion messen Sie solchen Gelöbnissen bei? Sie sollen den Krieg in die Öffentlichkeit tragen und das Militärische wieder ins Bewusstsein der Menschen bringen. Warum muss es denn plötzlich wieder so groß und mitten in München sein? Wenn sie schon gelöbnissen müssen, warum machen sie es nicht weiter in den Kasernen? Weil sie durch solche Gelöbnisse Verständnis für ihre Kriege erzeugen wollen. Ich möchte aber genau das Gegenteil erreichen . . .

. . . und rufen deshalb unter dem Motto "Kein Werben fürs Sterben" mit vielen Münchner Friedens- und Antikriegsgruppen zum Protest. Sie liegen damit wieder einmal im Streit mit Oberbürgermeister Christian Ude, warum? Ich möchte noch einmal betonen: Ich mag meinen Oberbürgermeister – eigentlich. Aber es gibt manchmal Punkte, bei denen ich mit ihm absolut nicht einig bin. Das gehört zur Demokratie.

Was werfen Sie dem OB vor? Ich finde es schade, dass er wieder einmal nicht auf der Seite der Kriegsgegner steht. Wie damals, als die Stadt 2002 die Demonstration gegen die Sicherheitskonferenz verboten hat. Demonstriert haben wir natürlich trotzdem: Damals haben sich über 10 000 Menschen ihr Recht auf Protest nicht nehmen lassen.

Was ist ihre konkrete Kritik an OB Ude? Dass er der Bundeswehr den Marienplatz freiwillig angeboten hat - anstatt die Funktion von Gelöbnissen grundsätzlich zu hinterfragen. Zunächst wollte die Bundeswehr das Gelöbnis von 700 Rekruten ja sogar auf dem Königsplatz oder dem Odeonsplatz durchführen. Eine echte Geschmacklosigkeit, wenn man an die militaristischen Aufmärsche und Gelöbnisse der faschistischen Wehrmacht in der früheren „Hauptstadt der Bewegung“ auf diesen Plätzen denkt. Da kann man schon am Geschichtsbewusstsein der Generäle zweifeln.

Herr Ude hat im Stadtrat die Gegner des Bundeswehrgelöbnisses scharf kritisiert mit den Worten: „Ich finde es unfassbar, dass jungen Männern, die vom Staat in die Pflicht genommen werden und die in Auslandseinsätzen ihr Leben riskieren, die Ehrerbietung und Gastfreundschaft in München vorenthalten werden soll.“ Was bedeutet denn hier in diesem Zusammenhang das verharmlosende Wort von den „Auslandseinsätzen“? Ich kann nicht akzeptieren, dass ein völkerrechtswidriger Krieg wie in Afghanistan mit „Plichterfüllung“ in Zusammenhang gebracht wird. Am Hindukusch wird kein Verteidigungs-Krieg geführt. Am Anfang wurde noch versucht, den „Krieg gegen den Terror“ mit der Befreiung der afghanischen Frauen zu legitimieren - heute redet davon niemand mehr. Auf jeden Fall ist es kein Krieg, in dem Deutschland verteidigt werden soll. Im Gelöbnistext steht aber, dass es angeblich um die Verteidigung Deutschlands ginge. Das ist doch längst reine Propaganda. Die aktuellen Kriege werden doch alle aus wirtschaftlichen Interessen geführt. In den neuen Richtlinien der Bundeswehr wird die militärische Absicherung von Ressourcen, Rohstoffen und wirtschaftlichen Interessen ganz offen propagiert.

Und der Vorwurf der mangelnden „Gastfreundschaft“? Sie können doch jeder Zeit in zivil unseren schönen Marienplatz besuchen: Aber sie sollen nicht öffentlich in Uniform für einen Militarisierung der Gesellschaft werben dürfen. Für eine Militarisierung, die ausschließlich wirtschaftlichen Interessen dient: Deutschland ist mittlerweile der drittgrößte Waffenexporteur der Welt nach den USA und Russland. Es ist doch eigentlich ganz logisch: Wenn ich ein so großer Waffenexporteur bin, dann muss ich mich auch für das Militärische engagieren und einsetzen. Dann muss ich auch wieder das Militärische ins Bewusstsein der Leute hineintragen wollen.

Sie fordern also alle Bürger im Sinne eines ihrer bekannten Lieder zum Verweigern auf: „Sage Nein!“ Genau. Denn in meinem Namen führen sie diese Kriege zum Beispiel nicht. Die Bundeswehr betont ja auf ihrer Webseite sehr stolz, dass die heutigen Soldaten nicht wie früher einem Kaiser oder dem Führer dienen und das mit ihrem Gelöbnis versprechen, sondern der ganzen Nation, dem Staat. Es wird also dem Staat gelobt. Der Staat bin in einer gewissen Weise auch ich. Ich fühle mich als Teil dieses Staates: Also in meinem Namen und interessanter Weise - wenn man den Umfragen glauben kann - auch im Namen von rund 70 Prozent der Bevölkerung führt die Bundeswehr diesen Krieg in Afghanistan nicht. Ich frage mich, was wir für Volksvertreter haben, die bis heute einfach stur weiter behaupten, dieser Krieg müsse gegen unseren Willen geführt werden.

Was hat Sie zum überzeugten Antimilitaristen gemacht? Dazu muss ich von einer persönlichen Erfahrung erzählen: Mein Vater hat es geschafft beim Hitler nicht zum Militär zu gehen. Es stand spitz auf Knopf, ob er umgebracht wird oder nicht. Aber er hat sich einfach verweigert. Er ist drei oder viermal aus der Kaserne ausgebrochen und hat gesagt: Er hat Heimweh, er kann es nicht und er kann nicht zum Militär gehen; er kann diese Uniform nicht anziehen. Das war einfach eine emotionale Abwehr gegen das Soldatentum.

Das hat sie geprägt? Ja, ich bin in einem Elternhaus groß geworden – und das war in meiner Generation ja ein großes Glück –, wo beide Eltern eindeutig keine Nazis und wirkliche Militärgegner waren. Aus dieser Geschichte heraus ist es auch so verständlich, dass mir alles Militärische suspekt ist.

Und es hat sie früh rebellieren lassen . . . Ich bin noch aufgewachsen mit dem Vermächtnis der Überlebenden der Konzentrationslager „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ Mittlerweile fällt mir auf, dass die meisten Politiker zwar gerne das „Nie wieder“ moralisch in den Mund nehmen und manche vielleicht sogar noch „Nie wieder Faschismus“ sagen, aber das „Nie wieder Krieg!“ lassen sie längst unter den Tisch fallen.

Wie kam es zu dieser Entwicklung? Nur ein Beispiel: Erst vor zwei Wochen hat der Bundestag beschlossen, dass 405 Schützenpanzer des Typs Puma im Gesamtwert von 3,1 Milliarden Euro bei den beiden Rüstungskonzernen Rheinmetall und Krauss-Maffei eingekauft werden. Hier werden Geschäfte gemacht mit Tod. Hier werden Geschäfte gemacht mit Mord. Und es werden Geschäfte gemacht mit etwas, mit dem man nie mehr Geschäfte machen dürfte.

Sie haben 2002 in einem AZ-Interview gesagt, dass sie gegen die Münchner Sicherheitskonferenz und die Kriege, die im Namen der angeblichen Zivilisation begonnen wurden, auf die Straße gehen, um "gegen ein höchst spekulatives Weltwirtschaftssystem, das an ewiges Wachstum glaubt und auf Dauer einfach nicht funktionieren kann" zu protestieren. Da waren sie ihrer Zeit voraus. Ja leider, jetzt haben wir alle gesehen, dass dieses System nicht funktionieren kann und wir werden das in den nächsten Jahren noch bitter zu spüren bekommen.

Was ärgert Sie daran am meisten? Wenn ich heute in Talkshows sehe, dass die gleichen Leute, die uns mit ihrer neoliberalen Politik erst in dieses Desaster hereingeritten haben, sich jetzt schon wieder als Retter aufspielen wollen, dann frage ich mich: Haben diese Politiker und Wirtschaftseliten überhaupt keinen Charakter? Ich möchte einmal den Satz hören: „Wir sind gescheitert mit unserer Idee vom freien Markt, der alles regelt.“

Von solchen Grundsatzdebatten ist bisher aber wenig zu hören? Sie wollen weiter mit den alten Methoden ein System retten, das auf diese Weise nicht mehr zu retten ist: Der Kapitalismus ist gescheitert. Wir brauchen einen neuen Weg. Der Weg wäre ein demokratisches Wirtschaftssystem.

Welche Gefahren sehen Sie für die Zukunft? Ich befürchte zum Beispiel, dass die Bundeswehr zunehmend auch im Inneren eingesetzt wird. In Heiligendamm ist das bereits gegen Demonstranten passiert. Längst gibt es Manöver-Übungen, wo Soldaten den Einsatz gegen streikende Arbeiter und Demonstranten trainieren. Diese Tendenz ist eine Gefahr für die Demokratie in ganz Europa und wird leider bis heute in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Es ist ein Skandal, wie mittlerweile bereits im Vorfeld von Protesten unser Grundrecht auf Demonstration polizeistaatlich beschnitten wird [

Machen Lieder und Poesie die Welt friedlicher? Natürlich. In einem bin ich mir ganz sicher: Waffen schaffen keinen Frieden. Die Ideologen des Neoliberalismus und ihre Militärs versuchen uns einzureden, wenn wir uns politisch engagieren, seien wir nichts als unverbesserliche naive Gutmenschen. Aber was wäre die Alternative? Ein Schlechtmensch? Gesellschaftliche Veränderung fängt immer mit den Außenseitern an, die spüren was notwendig ist. Wer in dieser Zeit nicht seine Stimme erhebt gegen den Wahn, die Erde gezielt durch Profitdenken und Bomben zu vernichten, hat es nicht verdient, eine öffentliche Stimme zu haben. Denn „Jubel über militärische Schauspiele ist eine Reklame für den nächsten Krieg“, wie Kurt Tucholsky treffend formuliert hat.

Was wäre ihr Traum für den 30. Juli? Mir wäre es viel lieber, es würden sich statt der Soldaten zehntausend Menschen am 30. Juli auf den Marienplatz stellen: Nicht uniformiert, sondern in bunten, zivilen Kleidern und sie würden sagen: „Wir geloben, alles dafür zu tun, dass nie wieder Kriege geführt werden, dass nie wieder von Armeen Menschen getötet werden und dass nie wieder Soldaten zu Mördern werden müssen und dass nicht mehr täglich 80 000 Kinder an Hunger sterben.“ Das wären die Gelöbnisse, die ich gerne unterstützen würde auf dem Marienplatz, dem Odeonsplatz und wo auch immer. Herr Wecker, vielen Dank für dieses Gespräch.

Rekruten treffen auf Demonstranten

Bereits am heutigen Montag protestieren Kriegsgegner um 17.30 Uhr auf dem Marienplatz: Es sprechen der frühere EU-Abgeordnete Tobias Pflüger und Oberstleutnant Jürgen Rose vom „Darmstädter Signal“. Am Donnerstag führt die Bundeswehr dann um 14 Uhr ein öffentliches Gelöbnis von 700 Rekruten auf dem Marienplatz durch. Dagegen ruft ein breites Bündnis zum Protest – auch die Gewerkschaft ver.di und der frühere Bürgermeister Klaus Hahnzog: „Das Gelöbnis mit seiner demonstrativen Darstellung wird den Weg für den Einsatz der Bundeswehr im Inland mit militärischen Mitteln bereiten.“

Interview: Michael Backmund

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