Kongresssaal: Und die Jahre ziehen ins Land

München - Karl Richter dirgierte hier alljährlich Bachs "Matthäuspassion". Wilhelm Furtwängler, Herbert von Karajan und Leonard Bernstein standen am Pult. Die Callas gab einen Gala-Abend und auch The Who und Jimi Hendrix war der Kongresssaal des Deutschen Museums als Konzertsaal gut genug.
Das wäre doch das ideale Ausweichquartier für die Philharmonie, wenn der Gasteig renoviert wird. Nur fünf Minuten entfernt, mitten in der Stadt, mit bester Verkehrsanbindung. Und der Leerstand des bröckelnden Monumentalbaus aus den späten Zwanziger Jahren ist seit Jahren ärgerlich unbefriedigend.
Bei der Pressekonferenz der Münchner Philharmoniker bezeichnete der Orchestervorstand Stephan Haack den Kongresssaal als Wunsch-Ausweichquartier. Und auch bei den Klassik-Veranstaltern ist die Lust auf eine Bretterbude an der Peripherie arg begrenzt. Vor allem das städtische Gelände in Riem treibt ihnen Angstperlen auf die Stirn: Die Befürchtung ist groß, dass das Publikum wegbrechen könnte. Und die Lust internationaler Künstler auf ein Provisorium dürfte sich auch in Grenzen halten. "Die Wiener Philharmoniker gastieren dann lieber in der Elbphilharmonie", ist da zu hören.
CSU für temporäre Wiederbelebung
Auch der CSU-Kultursprecher Richard Quaas hält den Kongresssaal für eine Option. Er versteht nicht, wieso sich Museumschef Wolfgang Heckl mit Händen und Füßen gegen eine temporäre Wiederbelebung des Kongresssaals als Konzertsaal sträubt. Geld für die geplante Verwandlung in ein naturwissenschaftlich-technisches Vordenkerstübchen sei bis Mitte der 2020er Jahre ohnehin nicht vorhanden. Die Einbauten für das pleite gegangene Imax-Kino könne man durch die gleiche Tür wieder raustragen, durch die man sie hineingetragen habe.
Das Deutsche Museum macht aus dem Kongresssaal und seinem Zustand ein Geheimnis. Es sei alles sehr marode, heißt es. Wünsche nach einer Besichtigung werden seit Jahren auf den St. Nimmerleinstag verschoben. Anfang März soll das Konzept für die Interims-Nutzung des Erdgeschoßes vorgestellt werden. Bis 2021 soll dort ein Café mit Club und Biergarten entstehen, außerdem ein Messebereich, der unter anderem von der Munich Creative Business Week genutzt werden soll.
Nur: Das alles wird im Erdgeschoss stattfinden. Und was spricht gegen eine Interimsnutzung im Bereich darüber, wo früher der Kongresssaal war? Da heißt es aus dem Deutschen Museum: Es gäbe statische Probleme mit der Decke. Und man möge sich endlich von der Idee verabschieden, dass im ersten Stock noch der alte Saal sei. Der sei weg.
Nur: Was ist da jetzt? Ein heimliches Atomkraftwerk? Irgendwie drängt sich der Eindruck auf, als wolle das Deutsche Museum durch die Interims-Vermietung an den Event-Manager Alex Wolfrum vor allem kulturelle Begehrlichkeiten abwehren.
Paketposthalle als Ausweichquartier
Die Parteien im Stadtrat ordnen in der Frage des Gasteig-Interims noch ihre Gedanken. Im Besitz der Stadt sind Flächen gegenüber der Messe in Riem und am Candidplatz – da droht kein Ärger. Die Grünen favorisieren die Paketposthalle als Ausweichquartier aller Gasteig-Institutionen. Aber es ist fraglich, ob die Post rechtzeitig auszieht. Und die dortigen Investoren machen ein Geheimnis aus sich.
Auch Wolfgang Heubisch (FDP) verspürt den Charme des Geländes an der Friedenheimer Brücke. Er kann dem Kongressaal einiges abgewinnen, wünscht aus seiner Erfahrung als freistaatlicher Ex-Kunstminister jedoch "viel Spaß" bei den Verhandlungen mit dem Verwaltungsrat des Deutschen Museums.
Der SPD-Kultursprecher Klaus Peter Rupp findet die Ängste vor Riem unbegründet: "Die neue Philharmonie in Paris liegt an der Peripherie", sagt er. "Da gab es die gleichen Bedenken." Da ist was Wahres dran. Auch die Erfahrungen des Deutschen Theaters in Fröttmaning waren ermutigend. Die Ängste der privaten Veranstalter sollte die Stadt trotzdem ernster nehmen.
Die entscheidende Figur in der Debatte dürfte Valery Gergiev sein. Sein 2020 auslaufender Vertrag steht bald zur Verlängerung an. Bei der Pressekonferenz der Philharmoniker hat er betont, dass er drei Jahre in einer Ausweichspielstätte für vertretbar hält, keineswegs aber fünf.
Wie auch immer man zu Gergiev als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker steht: Die Blamage, dass er wegen einer unzureichenden Bretterbude die Stadt verlässt, sollte die Stadt sich und ihrem Orchester ersparen.