Konfliktmanager in München: "Wenn der Hausfrieden gestört ist"

München - Wenn die Männer und Frauen mit den kobaltblauen Westen der Stadt München im Hinterhof auftauchen, wissen die Anwohner: Hoppala, da hat's wohl wieder Ärger und Beschwerden gegeben. Und zwar so nachhaltig, dass die Hausverwaltung nicht weiterkommt mit dem Versuch, den Frieden im Wohnblock wieder herzustellen.
Bis zu zwölf Konfliktmanager in Münchner Problemblöcken
Sie hat dann die Streitschlichter vom städtischen Sozialreferat gerufen, "VINs" werden sie auch genannt, was für "Vermittlung in Nachbarschaften" steht. Die Stadt selbst nennt sie "Konfliktmanager".
Zehn bis zwölf von ihnen schwärmen aktuell regelmäßig in Münchner Problemblöcken aus, um zu schlichten. Nicht genug für all die Konfliktfälle, in denen offenbar Hilfe von außen gebraucht wird. Die Stadt sucht deshalb gerade mehr Personal für das Team.
Was genau ist das für ein Job, wie schaut der Alltag aus? Die AZ hat mit der VIN-Leiterin Sonja Rauschert gesprochen.
Konflikte in Wohnanlagen haben zugenommen
AZ: Frau Rauschert, Sie suchen mehr Personal, das beim Streitschlichten in privaten Nachbarschaften hilft. Warum braucht München solche Helfer?
SONJA RAUSCHERT: Weil die Konflikte in vielen Wohnanlagen in den letzten zwei Jahren enorm zugenommen haben. Die Menschen waren viel zu Hause während der Pandemie, in vielen Wohnungen ist es zu eng. Viel Leben spielt sich nach wie vor in Innenhöfen ab - und dort kann es leicht zu Konflikten kommen.
Welche denn?
Oft geht es um Lärmbelästigung. Jugendliche lassen im Hof laut Musik laufen, auch abends und nachts, wenn andere Mieter schlafen wollen. Ältere beschimpfen spielende Kinder im Garten, weil sie sich gestört fühlen. Frauengruppen treffen sich zum Picknick, die hört man in den Wohnungen drumherum natürlich reden und lachen. Menschen stellen den Hof mit Sperrmüll zu oder grillen auf Balkonen und der Rauch belästigt die Nachbarn.
"Nicht so leicht, einen Mieter, der den Hausfrieden stört, zu kündigen"
Sind nicht die Hausverwaltungen zuständig, dafür zu sorgen, dass alle im Haus sich verträglich verhalten?
Doch natürlich. Aber wenn eine Hausverwaltung alle ihre rechtlichen und sonstigen Mittel ausgeschöpft hat, wie auf die Hausordnung hinzuweisen, schriftlich zur Ordnung zu rufen oder Leute zum Gespräch aufzufordern, dann können sie sich an uns wenden. Es ist ja nicht so leicht, einen Mieter, der den Hausfrieden immer wieder stört, einfach zu kündigen.
Wie erfahren Sie von diesen Streitigkeiten?
Über die Wohnbaugesellschaften oder Genossenschaften, bei denen sich vermehrt Bewohnerinnen und Bewohner beschweren.
"Haben nicht genug Personal, um uns um alle Fälle zu kümmern"
Um was für Hausgemeinschaften geht es da?
Das sind vor allem große Wohnblöcke, in denen viele Familien wohnen mit vielen unterschiedlichen Sprachen, Herkünften und Lebensentwürfen. Im Moment begehen wir sechs Wohngebiete, die auf die ganze Stadt verteilt sind. Die kleinsten Anlagen haben rund 120 Wohnungen, die großen auch bis zu 1.000. Leider haben wir noch nicht genug Personal, um uns um alle Fälle zu kümmern. Gerade jetzt im Sommer ist der Bedarf groß.
Wie viele Helfer suchen Sie denn noch – und für welche Stadtviertel?
So viele wie möglich, aber nur stundenweise als Honorarkräfte, gern auch Quereinsteiger. Sie sind nicht für bestimmte Stadtviertel zuständig, sondern jeweils für eins der Einsatzgebiete, um die wir uns kümmern.
Aus welchen Berufen oder Beschäftigungen kommen Ihre Streitschlichter?
Wir haben Studenten und Rentnerinnen im Team, Schauspieler, aber auch Juristen, die das neben ihrem Vollberuf machen, jedes Alter und jedes Geschlecht. Das ist gut, weil wir zu den unterschiedlichen Konflikten so den passenden Konfliktmanager aussuchen können.
"Fremdsprachen sind sehr hilfreich"
Welche Sprachen spricht Ihr Team, zusätzlich zu Deutsch?
Neben Englisch und Französisch auch Türkisch, Spanisch, Flämisch und Italienisch. Fremdsprachen sind nicht zwingend notwendig, aber auf jeden Fall sehr hilfreich.
Wie läuft so ein Einsatz als Streitschlichter ab?
Die Konfliktmanager gehen immer zu zweit. Und sie gehen mehrfach über einen längeren Zeitraum, manchmal auch über mehrere Monate, an einen Problemort. Im ersten Schritt besuchen sie zum Beispiel den Innenhof, um den es sich dreht, und schauen sich die Stimmung an. Im zweiten Schritt prüfen sie: Wer genau hat hier warum Probleme mit wem, sie sprechen die Protagonisten an, lassen sich die Befindlichkeiten erklären. In Schritt drei versuchen sie, mit allen Beteiligten gemeinsam zu sprechen und vielleicht zu einer Lösung zu kommen.
Können Sie das an einem Beispiel schildern?
Nehmen wir die acht Jugendlichen von zwölf bis 16 Jahren, die verschiedene Sprachen sprechen und in einer Wohnanlage im Innenhof regelmäßig an die Betonwände bolzen. Dazu läuft laute Musik aus einer Box, gern am Freitag schon ab 16 Uhr und am Samstagabend um 22 Uhr. Und immer unter dem Fenster einer alten Dame, die sich natürlich permanent beklagt.
Das kann man nachvollziehen.
Sicher. Zumal: Wir haben die Frau besucht und festgestellt, dass sie sehr krank und deshalb besonders ruhebedürftig ist.
"Sachlich bleiben und klar machen, dass das Gespräch freiwillig ist"
Wie sprechen Sie eine Gruppe an, die wenig Lust hat auf ein Beschwerdegespräch?
Vor allem auf Augenhöhe. Und im Hinblick darauf, dass sie sich weiter hier aufhalten wollen - und es eine Aushandlung braucht, wie es für alle passt.
Wie funktioniert das?
Freundlich und sachlich bleiben, klar machen, dass das Gespräch freiwillig ist, dass wir auch nur vermitteln wollen.
Und wenn die Stimmung aggressiv ist?
Freundlich das Gespräch beenden und einen neuen Termin anbieten, etwa so: Wir sind in drei Tagen wieder da, vielleicht wollt ihr dann sprechen. Wer sich in einer Situation als Konfliktmanager unwohl fühlt, sollte ohnehin immer abbrechen, ich begleite dann beim nächsten Besuch dorthin.
Keiner geht allein
Wer sich in einen Streit einmischt, könnte selbst zur Zielscheibe werden - was dann?
Erstens geht nie einer von uns allein. Zweitens würden wir im Notfall natürlich immer die Polizei verständigen. Das ist aber in den letzten zwei Jahren noch nie passiert.
Was, wenn Sie auf Fälle stoßen, die mit Drogen oder Gewalt in Familien zu tun haben?
Wenn die Konfliktmanager solche Fälle erleben, teilen sie es mir mit und ich gebe es an die entsprechenden Stellen weiter.
Welche Fähigkeiten also sollten Bewerber mitbringen?
Sie sollten ein sicheres Auftreten haben, kontaktfreudig, tolerant, team- und konfliktfähig sein und Erfahrung oder eine Schulung in Gesprächsführung gemacht haben. Schön wäre natürlich Berufserfahrung oder ein Studium im sozialen Bereich und schön wären auch Fremdsprachenkenntnisse, aber beides ist kein Muss.
Eine Einführungsschulung für Team-Neulinge gibt es auch, was lernt man da?
Wir stellen die Einsatzgebiete mit ihren Konfliktfeldern vor und üben herausfordernde Situationen in Rollenspielen. So lernen sich die Helfer gegenseitig so gut kennen, dass sie gut miteinander arbeiten können.
Wenn Ihr Team nicht weiterkommt, was dann?
Je nach Lage klären wir ab, ob ein Gespräch mit der Wohnbaugesellschaft, der Polizei oder dem Nachbarschaftstreff vor Ort nötig ist. Und wo es einer ausführlichen Vermittlung bedarf, schalte ich die Stelle für Gemeinwesenmediation ein.
"Wir üben Situationen, die herausfordernd sind, in Rollenspielen"
Die Gespräche mit der Gruppe an Jugendlichen, von der wir eben sprachen, was haben sie gebracht?
Viel. Wir haben erfahren, dass ihnen langweilig ist, weil es im Viertel für sie nichts zu tun gibt, und dass sie keine Aufenthaltsmöglichkeiten haben, um mal Party zu machen. Im einzigen Jugendtreff in der Nähe gibt es nur Angebote für kleinere Kinder. Und wir konnten ihnen erklären, dass die alte Dame unter Schmerzen und ihrer Krankheit leidet. Das haben sie verstanden und sind von ihrem Fenster weggegangen.
Wohin denn?
Diese Gruppe ist jetzt mit dem Jugendtreff im Gespräch, sie arbeiten zusammen aus, welche Möglichkeiten es im Jugendtreff für sie gibt. Das ist konstruktiv in jeder Hinsicht.
Honorarkräfte gesucht: Hier können Sie sich bewerben
Wer Konfliktmanager oder -managerin bei der Stadt werden möchte, sollte mindestens acht Stunden pro Woche für diese Arbeit Zeit haben - und zwar zu unterschiedlichen Tages- und vielleicht auch Nachtzeiten sowie an Wochenenden, über einen Zeitraum von mindestens vier Wochen. Vor 20 Uhr gibt es ein Stunden-Honorar von 20 Euro, nach 20 Uhr sind es 30 Euro. Zuvor muss an einer vierstündigen Einführungsschulung (unbezahlt, zertifiziert) und an mindestens einer Supervision teilgenommen werden.
Interessenten schicken ihre Bewerbung mit Anschreiben und Lebenslauf an:
Sonja Rauschert, Koordination Vermittlung in Nachbarschaften (VIN), sonja.rauschert@muenchen.de Tel.: 233-40243 Mehr Infos: www.muenchen.de