Kommunalwahl 2020: Die Kleinen drängen ins Rathaus

Viele neue Gruppen wollen den Sprung in den Stadtrat schaffen. Die AZ gibt einen Überblick – über Klimakritiker, Wachstumsgegner, Satiriker und Co.
von  Felix Müller
Erst Pirat, jetzt FDP: Stadtrat Thomas Ranft.
Erst Pirat, jetzt FDP: Stadtrat Thomas Ranft. © ho

München - Sechs Jahre ist es schon wieder her, aber Thomas Ranft erinnert sich noch ganz genau. Ranft, ein gemütlicher Schwabe mit Trachtenjanker und Schnauzbart, war als erster Pirat in das Rathaus eingezogen. Als Ein-Mann-Vertreter wohlgemerkt, die damals so hippe Partei hatte es nur auf diesen Sitz gebracht. "Man kommt ins Rathaus und weiß irgendwie gar nicht, was man da eigentlich soll", erinnert sich Ranft an konfuse Tage im so unbekannten Betrieb. "Die großen Parteien tun sich viel leichter – schon, weil sie Kollegen und so viele Mitarbeiter haben."

Erst Pirat, jetzt FDP: Stadtrat Thomas Ranft.
Erst Pirat, jetzt FDP: Stadtrat Thomas Ranft. © ho

In wenigen Wochen wird es wohl mehreren Nachwuchs-Politikern so gehen wie Ranft bei der vergangenen Kommunalwahl. Denn etliche neue, kleine Listen kandidieren für den Stadtrat. Sie haben die 1.000-Unterstützerunterschriften-Marke erfolgreich geknackt. Und könnten den Sprung ins Rathaus schaffen. Und sei es nur mit einem Einzelkämpfer wie Ranft, dem Piraten, im Jahr 2014.

Die AZ gibt einen Überblick über alle Gruppen, die erstmals für den Stadtrat antreten.

Die Partei

Die Satire-Freunde sitzen bereits im Europaparlament – in München sind sie in der Vergangenheit höchstens mal durch ein witziges Plakat aufgefallen. Steht jetzt der Sprung ins Rathaus kurz bevor?

Zumindest setzt die Münchner Sektion nicht nur auf Spaß. "Wir sind eine Zwei-Flügel-Partei", heißt es von den örtlichen Vertretern. "Es gibt die eher Spaß-Orientierten, aber auch viele, die von den Piraten kommen – oder von den Grünen frustriert sind." Diese Flügel schlagen sich auch im Kommunalwahlprogramm nieder. So fordert die Partei etwa sehr ernsthaft einen S-Bahn-Ring um die Stadt. Dass sich ein Heizluftkraftwerk auf der CSU-Zentrale anbieten würde, weil "dort ja so viele Dampfplauderer sitzen", wie ein Kandidat der AZ erklärt, dürfte hingegen eher nur so halb ernst gemeint sein.

Mut

Claudia Stamm (im braunen Mantel in der Mitte) und ihre Unterstützer kurz vor der Abgabe der Unterschriften vor dem Rathaus.
Claudia Stamm (im braunen Mantel in der Mitte) und ihre Unterstützer kurz vor der Abgabe der Unterschriften vor dem Rathaus. © Daniel von Loeper

Die Partei der Ex-Grünen-Abgeordneten Claudia Stamm ist auch schon zur Landtagswahl angetreten. Und krachend gescheitert. Bei der Stadtratswahl hingegen könnte sie davon profitieren, dass es keine Fünf-Prozent-Hürde gibt.

Ein Einzug ins Rathaus scheint gar nicht so unrealistisch. Weil Stamm in der Stadt ihr Netzwerk hat. Und auch andere Kandidaten ihre Unterstützerkreise haben. So wie OB-Kandidatin Stephanie Dilba (43), lange Jahre ein Gesicht der "Löwen-Fans gegen Rechts" und Stadtführerin. "Manche fragen uns auf der Straße, ob es wirklich noch mehr Parteien braucht", sagt sie im Gespräch mit der AZ. "Ich finde Parteienvielfalt wichtig und glaube, dass die Etablierten manchmal einen Tritt in den Hintern brauchen." Ihre Themen? "Vielfalt, Klimawandel, soziale Gerechtigkeit." Ihr Ziel? "Zwei bis drei Sitze sollten es schon sein", sagt Dilba selbstbewusst.

Fair

Fair steht für "Freie Allianz für Innovation und Rechtsstaatlichkeit". Auf der ganz neuen Liste sind nur türkischstämmige Muslime zu finden. Auf Listenplatz 2 und als OB-Kandidatin tritt Ender Beyhan-Bilgin an, die viele Jahre für die SPD in Giesing aktiv war. "Über Muslime wird im Rathaus viel geredet, aber nicht mit ihnen", erklärt sie.

Man trete vor allem an, um die Integration zu fördern, Kritiker sehen das anders. Im Rathaus betonen viele, dass sich auf der Liste konservative bis nationalistische Türken zusammenfinden würden, die sich gezielt auf "national-religiöse Werte" beziehen. "Es ist ein spalterisches Projekt", heißt es. Beyhan-Bilgin versteht diese Kritik nicht. "Wir wollen sicher nicht das Rathaus erobern, wir wollen nur mitreden", sagt sie. Sie selbst sei in München geboren, lange Jahre Siemens-Betriebsrätin und in der SPD gewesen. "Ich bin sicher keine Nationalistin."

Volt

Worum geht es Volt? "Für uns stehen zwei Punkte im Vordergrund", sagt Jakob Klingenberger, Listenplatz 5, im Gespräch mit der AZ. "Wir wollen, dass sich München stärker europäisch einbringt. Und wir wollen das Links-Rechts-Denken ablegen, uns einfach einzelne Sachverhalte objektiv anschauen." Das Unterschriftensammeln sei anfangs sehr mühsam gewesen, sagt er. Inzwischen schaut man bei Volt aber zuversichtlich in Richtung Wahl.

ZuBa

ZuBa heißt "Zusammen Bayern". Hauptziel: die Integration fördern und sich für Münchner mit Migrationsgeschichte einbringen. Zuba stellt eine Ausnahme unter den neuen kleinen Listen dar – weil der OB-Kandidat schon jetzt im Stadtrat sitzt. Cetin Oraner ist dort 2014 für die Linke eingezogen, von der er sich aber frustriert abgewandt hat. "Wir wollen am kommunalen Geschehen angemessen teilhaben, spezifische Interessen selbst vertreten und über die Zukunft unseres Gemeinwesens mitentscheiden", sagte Neslihan Karagöl, die Zweitplatzierte der Liste, im Dezember.

München-Liste

Wachstumsgegner: Andreas Dorsch (von links), Dirk Höpner und Michael Melnitzki von der München Liste.
Wachstumsgegner: Andreas Dorsch (von links), Dirk Höpner und Michael Melnitzki von der München Liste. © Daniel von Loeper

Die vielleicht ambitionierteste unter den neuen Initiativen ist die München-Liste. "Eine Handvoll Sitze ist schon unser Ziel", sagt Dirk Höppner (Listenplatz 1). Seine Liste will sich nicht nur als Kämpfer gegen die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) und die geplanten großen Neubaugebiete etwa in Daglfing verstanden wissen.

Getragen und unterstützt wird sie zum Beispiel vom Bündnis Gartenstadt, dem Bürgerbegehren Grünflächen erhalten, den Initiativen "Rettet den Münchner Norden", "Pro Fürstenried", oder der BI Großhadern. "Wir sind in 16 Wahlbezirken präsent!", betont Höppner. Die München-Liste tritt sogar bei einer Bezirksausschuss-Wahl mit einer eigenen Liste an: in Feldmoching-Hasenbergl. Größtes Thema: die Kritik an zu viel Wachstum. "Die Bevölkerung leidet darunter", sagt Höppner. "Zum Beispiel beim Verkehr."

Viele kleine Gruppen verschwinden schnell wieder

Viele ehrgeizige neue Kräfte also – und viel Potenzial, bald doch frustriert zu enden. Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte zumindest zeigt, dass viele Listen schnell wieder von der politischen Landkarte in München verschwunden sind. Ein bisschen Mut machen kann Thomas Ranft dem Nachwuchs aber trotzdem. Ranft ist inzwischen Ex-Pirat, hat sich der FDP angeschlossen, könnte mit ein bisschen Glück sogar noch mal in den Stadtrat einziehen. "Das Schöne am Rathaus ist, dass es so kollegial zugeht, dass man sich über Parteigrenzen hilft", sagt Ranft.

Anruf bei Maximilian Heisler. Noch so einer, der vor sechs Jahren mit viel Hoffnung für den Stadtrat kandidiert hat. Heisler ist der vielleicht bekannteste Mieteraktivist der Stadt, gründete damals die Wählergruppe Hut, die das Sprachrohr der kleinen Münchner Initiativen im Stadtrat sein, alles ganz anders als die Etablierten machen wollte. Heisler, Listenplatz 2, scheiterte knapp. Aber mit Wolfgang Zeilnhofer-Rath zog ein Hut-Mann ins Rathaus ein.

Schnell begann er, mit der FDP zusammenzuarbeiten, für manchen Mieterkämpfer ein absolutes No-Go. Sonst war kaum was zu hören, Hut ist heute quasi nicht mehr existent. "Im Stadtrat hat es nie funktioniert", sagt Heisler heute. "Wir haben überhaupt nicht in den Arbeitsmodus gefunden." Den neuen Gruppen sagt er, wichtig sei wohl vor allem, "genau zu schauen, wen man sich alles ins Boot holt". Die Vielfalt der Gruppen aber findet Heisler immer noch toll. "Ich hoffe", sagt er, "dass es in den nächsten Jahren noch viel mehr werden."

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