Koks in München: Das Köfferchen von Jack Nicholson
MÜNCHEN - Nach dem Rauswurf von Sechzig-Star Berkant Göktan: Welche Rolle spielt die Droge Kokain in München? Gesellschaftsreporter Michael Graeter, der die Society der 60er und 70er wie kein Zweiter kennt, erinnert sich an die wilden Zeiten...
München war schon immer etwas rauschig, bedingt auch durch das weißblaue Grundnahrungsmittel und offen für neue Lebensgefühle. Wer in den 60ern und 70ern die heißen Hasch- und LSD-Phasen überlebt hatte, blickte neidisch über den großen Teich. In Amerika war man bereits eine Nasenlänge voraus. Dennis Hopper, Warren Beatty und der illustre Freundeskreis hatten Koks als letzten Kick für sich entdeckt. Unter den Schneekoppe-Playboys befand sich auch "Oscar"-Preisträger Jack Nicholson, der zum Start seines Films "Einer flog über das Kuckucksnest" nach München kam und mich als Abholer - damals noch gemütlich in Riem auf dem Vorfeld in der Wiese - beinahe um Hals und Kragen gebracht hätte.
Ich stand an der Gangway, als der damals noch unbekannte Jack lächelnd die Treppe herunterkam und sagte: "Hi, können Sie das halten?" Dabei drückte er mir ein kleines Krokoköfferchen in die Hand. Nach der "Nice to meet you"-Floskel passierten wir den Zoll und ich trug höflich dieses Handgepäck.
Nicholson genoss es, dass wir nicht kontrolliert und von den Beamten gleich jovial durchgewunken wurden. Draußen, noch vor dem Einsteigen in die VIP-Limousine, nahm Nicholson das Köfferchen schnell wieder an sich. Später im Wagen klickten die Schlösser des Gepäckstücks und er klappte den Deckel auf, unter dem ein vertretergerechtes Ordnungsparadies zum Vorschein kam. Da steckten, wie mit dem Lineal gezogen, vier Zeilen dicke, selbstgedrehte Turbo-Zigaretten, schön aneinandergereiht und darunter in Reih und Glied kleine mit weißem Pulver gefüllte Glasfläschchen, an denen winzige Löffelchen baumelten. Der Hollywood-Star, großzügig wie er war, wollte mir ein Fläschchen schenken, doch ich lehnte ab, worauf er mich einen Banausen nannte.
Der Kokser von der Damentoilette im P 1
In Münchens nächtlichen Tankstellen fand der Feinstaub auch ohne mich seinen Einzug und bald gehörte er in Jeunesse Doree-Kreisen zum guten Ton. Der besondere Reiz liegt bis heute im Verbotenen und die Toiletten der einschlägigen Nightspots entwickelten sich linientreu zu kleinen Schneefernerhäuschen. Nicht jedem gelang die Franz Josef Strauß-Devise: Du darfst Dich nicht erwischen lassen. So gerieten Künstler wie Konstantin Wecker und Fritz Wepper in die Schlagzeilen. Rainer Werner Faßbinder war von dem Treibstoff so fasziniert, dass er den Film "Kokain" drehen wollte. Ohne polizeiliche Folgen durchwanderten Mick Jagger und Keith Richard, die beide um Fräuleinwunder Uschi Obermaier buhlten, die Backpulver-Kolonien. München leuchtete bei guter Feinstoff-Qualität für "Queen"-Frontmann Freddie Mercury, dem Fremdenführerin Barbara Valentin das Glockenbachviertel warm ans Herz legte. Diese Art von Luftveränderung ließen auch die männlichste Diva der Welt, Visconti-Star Helmut Berger traumwandlerisch durch Schabing geistern.
Ein Gramm Koks, das heute einen "Huni" kostet und in der Pionierzeit 150 Mark, wenn nicht mit Traubenzucker gestreckt, kann sich nicht jeder leisten. Als das "P 1" noch im rechten Flügel vom Haus der Kunst untergebracht war, betrat ich einmal die Damentoilette, weil das Herren-Örtchen total überflutet war. Vor einem Papierspender aus Chrom hockte ein langhaariger Disco-Jünger, der sich eine fingerdicke Line gezogen hatte. Standesgemäß formte er einen Hundert-Mark-Schein zum klassischen Saugröhrchen. Ich meinte noch: "Sie werden doch das nicht auf einmal inhalieren." Da plumpste er nach hinten, verdrehte die Augen und der Geldschein ragte wie eine Antenne aus der Nase. Fluchtartig verließ ich das Lokal. Als ich wenig später mit Freunden zurückkam, wurde der Puderzucker-Freund bereits von Sanitätern behandelt. Der Hunderter in der Nase war spurlos verschwunden.
Die Vorliebe für Kokain hat heute in München so zugenommen, dass bereits Spurenelemente in der Isar nachgewiesen wurden.
Michael Graeter