Knallharte München-Abrechnung: "Dieses 'Mia san mia' stört"

"So sauber, dass man sich darin wälzen will": Die Autorin Eva Wuest rechnet mit München ab – der Stadt, in der sie fünf Jahre lang gelebt hat. Liegt sie richtig?
Interview: Eva von Steinburg |
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Wuest (30) hat in München studiert, lebt und arbeitet aber inzwischen in Berlin. Sie hat das Buch "111 Gründe, München zu hassen" geschrieben.
dpa/ho Wuest (30) hat in München studiert, lebt und arbeitet aber inzwischen in Berlin. Sie hat das Buch "111 Gründe, München zu hassen" geschrieben.

München - Sie lästert über verzogene Erben und Teenager, die 300 Euro teure Handtäschchen ausführen. Sie stört sich an jungen Patchwork-Familien mit ihren Streber-Kindern und findet, dass "Hochkultursenioren" in München dramatisch in der Überzahl sind: Die Ex-Münchnerin Eva Wuest (30) legt mit ihrem Buch "111 Gründe, München zu hassen" eine witzig-rotzfreche Abrechnung mit ihrem persönlichen Isar-Athen hin.

AZ: Frau Wuest, die gute Flasche Spezi kommt in Ihrem Buch auch vor. Sie wundern sich, dass die Münchner "ein Kindergetränk noch mit 40plus lieben".
EVA WUEST: Die Flasche Spezi gehört zum Picknick an der Isar wie der Kasten Augustiner. Wenn ich mit Freunden unterwegs war, habe ich die Brause im Rahmen der Sozialisation probiert – aber in Berlin trinke ich Mate.

Als Neu-Münchnerin haben Ihnen verächtliche Blicke zu schaffen gemacht. Sie schreiben, wie eine Öko-Studentin aus einer Diplomaten-Familie abfällig Ihr altes Leder-Portemonnaie angeschaut hat.
Abschätzige Blicke habe ich hier aus verschiedenen Richtungen gespürt. Gerade als ich neu war, hatte ich Sehnsucht nach Anerkennung. Doch in München war ich nicht reich genug für die Reichen. Für Ökos oder Vegane, die meine Geldbörse aus Leder verabscheuen, passte es auch nicht. In München wird man sehr nach Äußerlichkeiten beurteilt. Wie viel Geld man hat, welchen Beruf man hat, das spielt eine viel größere Rolle als woanders.

Als Norddeutsche kamen Sie zum Studieren her. Sind Sie fünf Jahre lang Außenseiterin geblieben, oder gab es auch Verschmelzung?
Ich hatte Momente in der Natur, in denen sich München sehr schön und harmonisch angefühlt hat. Kurz bevor ich weggezogen bin, hatte ich mich auch mit der Langeweile arrangiert. Aber das überteuerte Leben hier hat mich unfrei gemacht: Ich habe mich zu gebunden gefühlt an das Geldverdienen, um meine hohe Miete und den Cappuccino bezahlen zu können.

"In München gehört es sich für jeden anständigen Menschen, reich und erfolgreich zu werden", schreiben Sie. Haben Sie den Druck wirklich als so groß empfunden?
Der Mensch ist dazu gemacht, einen Sinn zu suchen auf der Welt, in der Arbeit, in der Familie. Doch in München ist alles auf finanziellen Erfolg ausgelegt. Obwohl ich viel gearbeitet habe, war das Geld am Ende des Monats immer knapp. Ich musste bei Reisen und Kultur sparen. Ich bin selten Essen gegangen, stattdessen habe ich mir ein Brot geschmiert.

"München ist so sauber, man möchte sich permanent nackt darin wälzen", schreiben Sie.
Das mit dem sauber meine ich doppeldeutig. Am Marienplatz oder in der U-Bahn trifft man kaum auf Leute, die alternativ leben. Leute, die kein Geld haben, irgendwie extrem sind, Punks sind oder Musik machen. So wirkt die Stadtgesellschaft sauber – und ist optisch eine stete Wiederholung des schon Gesehenen. Vor allem wenn man London, New York oder Kambodscha kennt.

Einer Ihrer Hass-Gründe ist, dass es hier 59 Studentenverbindungen gibt, die auch Verbindungsfischen betreiben.
Diese fiesen Studentenverbindungen bieten preiswerte WG-Zimmer an, um neue Mitglieder zu gewinnen. Auf Wohnungssuche bin ich auf diese Anzeigen gestoßen: zwölf Quadratmeter in einer Stadtvilla von 1881, fünf Minuten zur LMU, sechs neue Freunde in deiner WG mit XXL-Kicker im Wohnzimmer und Segelboot am Ammersee – für 200 Euro warm. Über mein Studium habe ich Leute getroffen, die da involviert waren.

Sie behaupten: "Münchner reden fast so viel übers Schlauchbootfahren wie über die Isar selbst". Schlauchbootfahren gelte als urmünchnerische Tugend.
Dieses leichtsinnige Ritual wurde mir in meinen ersten zwei München-Jahren offenbart. Aber alkoholisiert kann da sehr viel schiefgehen. Deshalb lautet ein Grund, München zu hassen: Man sollte nicht Schlauchbootfahren, wenn man’s nicht kann.

Im Online-Forum "Ist München klasse?" haben Sie die Frage entdeckt: "Kann ich als Normalbürger München-Grünwald besuchen?" Sehr komisch! Haben Sie’s getan?
Mit der Tram habe ich einen kurzen Ausflug nach Grünwald gewagt, ohne auf der Suche nach Stars oder C-Promis zu sein. Ich erinnere mich noch an die ummauerten und eingezäunten Häuser. Und den teuren Kaffee. In München gibt es dafür weniger soziale Härten als in anderen Großstädten, das ist offensichtlich. In der Stadt wird man selten angebettelt und ebenso selten angepöbelt. Das Anpöbeln in Hamburg oder Berlin ist wirklich schlimm. Aber es fördert bei mir Strapazierfähigkeit und Selbstironie. Ich glaube, wer sein Leben lang in München war, wird woanders nicht mehr funktionieren. Denn was Bequemlichkeit angeht, ist München ein Paradies: bisschen Arbeit, Bierchen hier, bisschen Isar, Brezn dort – wer ko, der ko. Bloß woanders ko er schlecht.

Sicherheit und Luxus mitten in der Natur, das ist für Sie das Münchner Lebensgefühl. Gilt das auch noch nach dem Münchner Amoklauf?
Das Gefühl von Unsicherheit breitet sich durch Terrorangriffe gleichmäßig in Europa aus. Aber das Münchner Grundgefühl hat sich nicht komplett geändert. Nur: Das Gefühl von Sicherheit und Luxus mitten in der Natur hat einen finanziellen Preis. Menschen mit weniger Chancen können ihn nicht bezahlen.

Was ist für Sie das Furchtbarste an der Stadt?
Die Selbstgefälligkeit der Münchner stört mich am meisten. Dieses: Mia san mia. Wir haben es ja so gut. Die Zeit ist reif ist für einen anderen, meinen Blickwinkel: Die Münchner sollen sehen, wie sehr die Vielfalt und das bunte Leben eingehen, wenn alles preislich so in die Höhe schießt. Es gibt aber doch Dinge, die Sie an München lieben: die italienische Sonne und wenn es ab und zu mal schneit. Und die Dampfnudel! Die ist für mich ein wabbeliges Stück Glück. Ein Bekannter in München hat sie mal selbst gemacht.
 

 

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