Kliniken: Managementfehler und veraltete Technik
Die Berater der Boston Consulting Group haben untersucht, wo die Probleme in dern Krankenhäusern liegen. OB Christian Ude: „Das wird eine Herkulesaufgabe!“
München - Managementfehler, politische Fehlentscheidungen, negative Schlagzeilen, zu viele Betten, zu hohe Kosten, fehlendes ökonomisches Denken und die enorme Konkurrenz – das alles hat die Krise der städtischen Kliniken verschärft.Die Klinikmitarbeiter bekommen jetzt die ersten Fakten zum Nachlesen zur Verfügung gestellt, die die Berater der Boston Consulting Group (BCG) zusammengefasst haben. Eine lange Liste des Führungs-Versagens.
Zum ersten Mal wurde ohne Rücksichtnahmen tief in das verwirrende Geflecht der fünf städtischen Kliniken Schwabing, Bogenhausen, Harlaching, Neuperlach und Thalkirchner Straße geschaut.Die ersten Zahlen sind knallhart und die drohende Konsequenz auch – die Insolvenz.
„Bei der Debatte um die Struktur der Häuser wird es kein Halten mehr geben“, sagt Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) zur AZ: „Bisher habe ich immer die Klage gehört, warum die Kliniken noch nicht saniert sind. In den kommenden Wochen wird man sehen, wer wirklich zur Sanierung bereit ist.“ Das alte Prinzip, „nicht bei mir, sondern irgendwo anders“ dürfe nicht mehr gelten.
Kliniken können dadurch verkleinert werden. Ude spricht dabei von "Portalkliniken", die keine Maximalversorgung mehr haben. Werden die Münchner nach der Klinik-Radikalkur unter medizinischen Versorgungsnöten leiden müssen? Ude sagt: „Nein. Es soll kein Angebot eingeschränkt werden, das nicht jetzt schon im Übermaß vorhanden wäre.“
Woran liegt die Krise? Boston Consulting hat fünf Kernprobleme erkannt:
+ Das bestehende Medizinkonzept ist nicht zukunftsfähig. Das bedeutet: Eine große Zahl an schrumpfenden und nicht ausgelasteten Abteilungen. Zu wenige Schwerpunkte und zu wenig eigenes Profil im überversorgten Medizinmarkt München. Zu viele gleiche Kapazitäten an mehreren Kliniken.
+ Es fehlt an der Mentalität, ökonomisch zu handeln: Die Kostenstruktur sei seit 2005 nicht mehr angepasst worden. Die Kliniken nutzen zu wenig den Verbundeffekt.
+ Defizite in der (Bau-) Infrastruktur: Investitionen wurden verschoben, Gebäude und Technik seien überaltert. Es geht um rund 300 Millionen Euro. Eine fundamentale Sanierung wurde nie angegangen. Die bisherigen Konzepte gingen nicht weit genug, und die Maßnahmen seien nicht mit dem nötigen Druck umgesetzt worden.
Was steckt dahinter? München hat zu viele Krankenhausbetten. Es sind zwei bis dreimal so viele wie in anderen Großstädten: Insgesamt 11657 Betten in 47 Kliniken (davon 3268 städtische). Dadurch hat München eine aberwitzige Überversorgung. Die Zahlen:
In München kommen auf ein Klinikbett 216 Einwohner, in Berlin 577, Hamburg 524, Düsseldorf 456, Köln 337, Frankfurt 316, und nur in Stuttgart sind es weniger: 198 Einwohner pro Klinikbett.
Für die Unternehmensberater ist München damit „massiv überversorgt“. Das bekommen die städtischen Kliniken zu spüren. „Mit 3268 Betten ist das Stadtklinikum der größte Anbieter in München, und es hat die schärfste Konkurrenz“, sagt OB Ude: Allein zwei Excellence-Universitäten mit eigenen Kliniken. Dann Traditionshäuser wie Dritter Orden, Barmherzige Brüder oder das Rotkreuzkrankenhaus.
Die Bettenauslastung ist in den städtischen Kliniken unterdurchschnittlich. Bundesweit liegt sie bei 82 Prozent, im überversorgten München bei 74,7 Prozent. In den städtischen Häusern: Schwabing 71 Prozent, Neuperlach 74 Prozent, Harlaching 76 Prozent. Nur Bogenhausen ist top: 81 Prozent. Ude: „Das zu leugnen, hat keinen Sinn.“
Dazu kommt: Die Zahl der eingewiesenen Patienten ist rückläufig. Die Notfallaufnahmen stagnieren. Dadurch nehmen die Krankenhausleistungen ab – und die Einnahmen.
Bei den Einnahmen gab es auch keine zuverlässigen Zahlen: Kliniken haben sich schöngerechnet, in dem sie Ausgaben auf die Zentrale verbucht haben (wie Labor, Wäsche oder Verpflegung). Zum Teil mehr als 50 Prozent der Kosten. Dadurch gab es keine Betrachtung aller Kosten – und somit war auch nicht klar, ob sie kostendeckend arbeiten. Nur zehn Prozent der Fachabteilungen würden wachsen und einen positiven Deckungsbetrag erwirtschaften. Dagegen sei der Anteil der Kliniken „zu hoch“, die unter den Erwartungen blieben oder rote Zahlen schreiben.
Auch durch die Überversorgung kommt es zu überhöhten Personalkosten: 15 Prozent mehr als vergleichbare Häuser. 80 Millionen Euro soll das im Jahr ausmachen, so die BCG. Der größte Brocken: Es gebe zu viele nicht ausgelastete Ärzte.
OB Christian Ude will hart vorgehen: „Bei der Dramatik der Überversorgung der Kliniken insgesamt muss man für jede Disziplin einzeln untersuchen, wie viel gebraucht wird.“ Es könne nicht sein, dass sich die städtischen Häuser gegenseitig weiter das Wasser abgraben, weil es Fachabteilungen mehrmals gibt. So leiste sich die Stadt selbst Überangebote, die zu „unausgelasteten Kapazitäten“ führen.
Ob die fünf städtischen Kliniken eine Chance haben, hängt von der Sanierung ab. „Das wird eine Herkulesaufgabe“, sagt Ude zur AZ. „Ich fordere für die nächsten Monate die Einsicht, dass die Sanierung nur dann kommt, wenn man sie nicht verhindert, sondern erzwingt. Der OB prophezeit: „Das wird eine bittere Pille für die Gewerkschaft Verdi, für Ärztevertreter und Stadtteilpolitiker.“
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