Klinik-Skandal: „Es geht nur noch ums Sparen“

MÜNCHEN - Unappetitliche Details im Gutachten zum Klinik-Skandal. Und die große Frage lautet: Wer hat es seit Mitte Mai eigentlich zurückgehalten?
Je mehr Details nach außen dringen, desto schockierender ist das ganze Ausmaß des Klinik-Skandals. Wie berichtet, ist der Operationsbetrieb in den Krankenhäusern Neuperlach und Bogenhausen seit Mittwochabend weitgehend eingestellt. Nur Not-Eingriffe können stattfinden.
Der Grund: Ein Gutachten attestierte der „Sterilgut-Aufbereitung“ massive Mängel bei Organisation und Hygiene. Die Überwachungsbehörde fand die Kritik bei einer Kontrolle bestätigt. Und machte die Abteilung im Bogenhauser Krankenhaus dicht. Weil Neuperlach von dort beliefert wurde, fehlt jetzt in zwei Kliniken Operationsbesteck.
Jetzt kommt raus: Schon längere Zeit waren die Hygiene-Probleme bekannt. Ein Arzt, der anonym bleiben möchte: „Monatelang haben Ärzte Mails verschickt an Klinikdirektoren.“ Doch das Thema sei in der Chefetage nicht ernst genug genommen worden. Von Kollegen weiß der Arzt, dass sich sogar Operationen verzögert hätten, weil mittendrin festgestellt wurde, dass einwandfreies Besteck fehlte.
Das vernichtende Gutachten trägt das Datum 18. Mai. Im Kinikum-Aufsichtsrat war es aber erst vergangenen Freitag Thema. Und das auch nur, weil ein Arbeitnehmervertreter es auf den Tisch brachte. Wer hat die Information zurückgehalten? Kaum jemand mag und darf sich am Tag, nachdem der Skandal bekannt wurde, öffentlich äußern. „Irgendwer hat gepennt“, erklärt Aufsichtsratsvorsitzender Hep Monatzeder im AZ-Interview (siehe S. 9). „Bestimmte Leute hatten das Gutachten. Aber ich als Aufsichtsratsvorsitzender, OB Christian Ude und der Gesundheitsreferent Joachim Lorenz hatten es nicht.“
Als Sofortmaßnahme wurde der zuständige Klinikums-Geschäftsführer Reinhard Fuß bis auf Weiteres suspendiert. Ihm soll das Gutachten schon länger vorgelegen haben. Und noch zwei Köpfe rollten: Der Leiter des Medizinischen Dienstleistungszentrums (Medizet), Bernhard Liebich, und der Leiter der Sterilgutaufbereitung, M. F., mussten gehen.
Dass am Mittwoch endlich klare Fakten geschaffen und die Sterilisations-Abteilung geschlossen wurde, hängt wohl mit einem Schluss zusammen, zu dem das Gutachten kommt: „Die aktuellen betrieblichen Bedingungen stellen für das Klinikum München ein nicht unerhebliches juristisches Risiko dar“, heißt es.
Unappetitliche Details sind darin beschrieben. So hätten Gespräche mit dem Personal vor Ort gezeigt, dass einzelne Mitarbeiter nicht gewusst hätten, „dass Knochenreste an speziellen Instrumenten manuell zu entfernen sind“. Schereninstrumente sind zur Reinigung nicht immer geöffnet worden. Unklar war einigen Beschäftigten auch, „dass Reste von Nahtmaterial etc. nicht im Sieb verbleiben darf.“
Es liegt auf der Hand: Das Personal bei der zuständigen Medizet, vor vier Jahren als eigenständiger Betrieb innerhalb der Städtisches Klinikum München GmbH etabliert, war nicht ausreichend qualifiziert. Aber auch die Ausstattung der Arbeitsplätze ließ zu wünschen übrig.
Im Gutachten geht’s um „teilweise sehr alte Instrumente“, um Zeitdruck. Für viele ist klar: Der Spardruck fordert seinen Tribut. Früher, so ein Klinik-Arzt, habe das Fach-Pflegepersonal die Sterilisation selbst gemacht. Bis die Medizet gegründet wurde. Ob bei der Zimmerhygiene, in der Küche oder in diesem Fall: „Es geht nur darum, zu sparen.“
Jetzt ist das Ganze ein Fall für die Staatsanwaltschaft. Sie ermittelt gegen unbekannt und prüft mögliche Verstöße gegen das Medizinprodukte- und das Infektionsschutzgesetz sowie mögliche Körperverletzungsdelikte. Es haben sich bereits Patienten bei der Justiz gemeldet. „Die sagten: ,Ja, ich wurde in einer der beiden Kliniken operiert und habe eine Wundinfektion erlitten’“, sagt Thomas Steinkraus-Koch, Sprecher der Staatsanwaltschaft München I. Im schlimmsten Fall drohen den Verantwortlichen Haftstrafen.
Die CSU sieht sich durch den Klinik-Skandal in ihrer langjährigen Forderung bestätigt, dass medizinischer Sachverstand in der Geschäftsführung verlangt ist. „Mangels Fachkompetenz war das Versagen programmiert.“
Julia Lenders