Klinik schickt Patientin (80) halbnackt heim

Rosemarie S. (80) musste nach einem Sturz ein paar Tage ins Klinikum Dachau. Als sie vom Fahrdienst wieder nach Hause gebracht wurde, war ihre Tochter geschockt: Trotz des nasskalten Wetters war Rosemarie S. nur mit einem Krankenhauskittel bekleidet. Die Vorwürfe, was die Klinik sagt.
Dachau - Liebevoll streicht Renate S. (48) ihrer 80-jährigen Mutter über die Wange. Die alte Dame ist dement, zuckerkrank, halbblind und nach zwei Schlaganfällen gehbehindert. Aber freuen kann sich Rosemarie S. durchaus. Und wie. Die 80-Jährige strahlt, als ihr die Tochter eine Tasse mit warmem Tee reicht und sie dabei streichelt.
An das, was Rosemarie S. zuletzt im Klinikum Dachau erlebt hat, erinnert sich die 80-jährige einstige Laborhilfe bestenfalls bruchstückhaft. Gut eine Woche ist seitdem vergangen, doch ihre Tochter und ihre Nichte Jutta (57) sind noch immer entsetzt und wütend darüber, wie mit ihrer hilflosen Mutter und Tante umgegangen wurde.
Am 1. Oktober war Rosemarie S. allein aufgestanden und gestürzt. Renate S., die ihre Mutter seit zweieinhalb Jahren pflegt, rief einen Notarzt, Rosemarie S. wurde ins Klinikum Dachau gebracht. Die Verletzungen stellten sich glücklicherweise als nicht so gravierend heraus, trotzdem musste die Frau einige Tage in der Klinik bleiben. Die Ärzte hatten noch eine Blasenentzündung diagnostiziert. Die Patientin sprach aber nicht auf Antibiotika an.
Den ersten Schock bekam Jutta W., als sie ihre Tante am Tag nach der Einlieferung nachmittags in der Klinik besuchte. Erstaunt stellte sie fest, dass Rosemarie S. ohne ihr künstliches Gebiss im Bett saß. Als die Nichte sie darauf ansprach, antwortete die 80-Jährige: „Mei, Jutta, meine Zähne passen nicht!“ Auf ihrem Nachttisch lag jedoch ein Gebiss. „Sie hat es vor meinen Augen probiert – aber es passte wirklich nicht. Es war viel zu groß. Das waren nicht ihre Zähne!“, berichtet Jutta W. der AZ.
Die 57-Jährige hat in Krankenhäusern und Pflegeheimen als angelernte Altenpflegerin gearbeitet, doch so etwas hatte sie nie erlebt. „Ich bin sofort zur Schwester gegangen, habe sie gefragt: ,Wo sind die Zähne meiner Tante?' Aber die Schwester konnte mir auch nicht helfen.“ Jutta W. macht sich auf die Suche. Sie ging zur Notaufnahme, fragte beim Röntgen und wieder auf der Station – doch das Gebiss blieb unauffindbar.
Rosemarie S. bekam zum Abendessen Milchbrei.
Auf genau so mysteriöse Weise, wie die Zähne verschwunden waren, tauchten sie wieder auf. Am nächsten Tag wollte Renate S. beim Stationspfleger vorsprechen, doch sie musste den Termin absagen, weil sie selbst zum Zahnarzt musste. Einen Tag später, als Jutta W. ihre Tante erneut besuchte, hatte die 80-Jährige ihr Gebiss im Mund, als sei nichts gewesen. Die fremden Zähne waren vom Nachttisch verschwunden. Die Angelegenheit geriet wieder in Vergessenheit.
Doch dann, nur wenige Tage später, geschah etwas, das die Cousinen so empört, dass sie sich entschlossen, sich an die AZ zu wenden. „Pflegenotstand hin oder her. So etwas darf nicht passieren!“, sagt Jutta W.
Am vergangenen Montag durfte Rosemarie S. wieder nach Hause. Die Klinik verständigte einen Fahrdienst, der die 80-Jährige bei nasskaltem Wetter nach Hause brachte. Als Renate S. die Tür öffnete, um ihre Mama in Empfang zu nehmen, war sie entsetzt: „Meine Mutter wurde halbnackt nach Hause gebracht. Sie hatte nur den Krankenhauskittel an und ihre Schuhe. Vor der Treppe zur Haustür hatte ihr der Fahrer auch noch die Windel ausgezogen.“ Die Kleidung von Rosemarie S. – Wäsche, Strümpfe, Hose, Pulli – lagen in einer Plastiktüte.
Renate S. hatte sich auch früher schon mal über die Klinik oder den Fahrdienst geärgert. Einmal war dem Fahrdienst der Tragestuhl aus den Händen geglitten und unsanft auf die Treppe geknallt. Noch heute zeugen zwei kaputte Stufen davon. Doch dieses Mal riss der Tochter der Geduldsfaden: „Ich finde es eine Sauerei, meine Mutter so nach Hause zu bringen! Und das nach einer Blasenentzündung“, schimpft sie.
Als die AZ in den Amper Kliniken nachfragte, wurde sofort reagiert. Der Fall wird in der Beschwerdestelle bearbeitet. „Wir sind zutiefst bestürzt darüber, dass die ältere Dame lediglich in Krankenhauskleidung nach Hause transportiert wurde, und verstehen den Unmut der Familie. Alle beteiligten Personen – sowohl auf der Station als auch die Mitarbeiter des Fahrdienstes des BRK – hätten dies sehen und reagieren müssen", sagte Annette Ostwald, die Sprecherin der Amper Kliniken AG, zur AZ.
Die Panne mit dem verlorenen Gebiss wird aber offenbar als nicht so gravierend bewertet. Das sei an vielen Kliniken ein Problem, hieß es. „Nimmt ein dementer Patient das Gebiss heraus, vergisst er dies und erinnert sich auch nicht mehr, wo es sein kann. Dazu kommt, dass die Patienten ihre persönlichen Sachen nicht erkennen. Da die Patienten häufig das Gebiss in einer Serviette auf das Essenstablett legen, sind Verluste und Verwechslungen möglich“, sagt Klinik-Sprecherin Ostwald.
Jutta W., die jahrelang in Heimen und Kliniken arbeitete, sieht das anders. Sie glaubt, dass das Gebiss beim Röntgen verloren gegangen ist: „Ich kenne das so, dass demente Patienten ihre Zähne immer in einem Beutel oder Schächtelchen mitbekommen. So geht nichts verloren.“