Klingelt's bei Ihnen?

Die AZ erklärt, wie der „Zensus” funktioniert, warum in München noch dringend Helfer gesucht werden und NPD-Mitglieder gerne mitmachen möchten.
von  Christian Pfaffinger
Grüß Gott, ich bin's, der Volkszähler! 1400 Interviewer sind ab Mai in München unterwegs.
Grüß Gott, ich bin's, der Volkszähler! 1400 Interviewer sind ab Mai in München unterwegs. © dpa

Die AZ erklärt, wie der „Zensus” funktioniert, warum in München noch dringend Helfer gesucht werden und NPD-Mitglieder gerne mitmachen möchten

MÜNCHEN Es gibt Jobs, die keiner machen will. Entweder weil sie schlecht bezahlt sind – oder weil sie einen miesen Ruf haben. Die Jobs, die Roland Dolansky und Markus Kandler vergeben müssen, erfüllen beides. Dabei geht es um wichtige Helfer der Demokratie. Roland Dolansky und Markus Kandler suchen Interviewer für die Volkszählung im Mai.

Beim Zensus 2011 wird jeder zehnte Deutsche zu seiner Familie, Bildung oder Herkunft befragt (siehe Kasten) – und muss antworten, ansonsten droht ein Bußgeld von bis zu 5000 Euro. Für die Befragung suchen die Behörden seit November Interviewer. Bayernweit wurden dafür 92 Erhebungsstellen eingerichtet. Doch die finden kaum Freiwillige. 1400 Interviewer braucht die Stadt München. Bisher sind es 1150.

Der Landkreis steht schon besser da: von 650 nötigen Interviewern haben sich bereits 600 gemeldet. Markus Kandler, der die Erhebungsstelle im Landratsamt München leitet, freut das. Er ist zuversichtlich, dass er die nötigen Freiwilligen bis Ende April findet – die Schulung ist am 4. Mai. „Schwerpunktmäßig suchen wir noch Interviewer für Garching und Oberschleißheim.” Es sind vor allem Rentner und Schüler, die sich bei ihm melden. „Für voll Berufstätige ist es auch kaum zu schaffen”, sagt Kandler.

Jeder Interviewer soll etwa 100 Leute zwischen 20 und 30 Minuten lang befragen, dafür gibt es sieben Euro. Wenn der Befragte den Bogen selbst ausfüllt, bekommt der Interviewer nur zwei Euro. An vielen Haustüren müssen sich die Freiwilligen auch noch beschimpfen lassen. Viele Leute wollen nicht vom Staat ausgefragt werden. Vor allem Datenschützer kritisieren den Zensus heftig. Die Interviewer müssen das ausbaden.


 

 

Hermann Wolf macht es trotzdem. Der 69-Jährige aus Neuried war 42 Jahre lang Polizist, zuletzt hat er zwei Inspektionen in München geleitet. „Ich bin kommunikativ und war schon immer engagiert”, sagt er. 18 Jahre lang war er Vorsitzender des TSV Forstenried. Er ist überzeugt, dass der Zensus wichtig ist für die Demokratie. „Ein anständiger Bürger hat nichts zu befürchten”, sagt er. Er sei verschwiegen und zuverlässig.

Das sind nicht alle, sagt Roland Dolansky. Er leitet die Erhebungsstelle der Stadt München und meint: „Studenten etwa sind oft schlecht erreichbar.” Deshalb setzt die Stadt München lieber auf Beamte. „Wir suchen hauptsächlich unter den Bediensteten der städtischen Behörden nach Interviewern”, sagt Dolansky. „Die Kollegen müssten das nach Feierabend machen, als Entschädigung gibt es jedoch drei freie Tage pro Woche.”

Was dann in den Ämtern los ist, in denen die Beamten fehlen, kann Dolansky nicht sagen. „Das müssen die Dienststellen selbst regeln.” Dolansky hat genug Not, die Interviewer aufzutreiben. Ihm fehlen noch 250 Freiwillige. Was, wenn sich nicht genügend melden oder andere wieder abspringen? „In diesem Fall müssen wir Bedienstete benennen”, sagt Dolansky. Das heißt, Beamte müssen zwangsverpflichtet werden. Wie ausgewählt werden soll, weiß noch niemand. Man wartet und hofft, dass es nicht sein muss. Bayernweit haben nur etwas mehr als die Hälfte aller Erhebungsstellen bisher genügend Interviewer.


 

Die Folgen sind beunruhigend. Die rechtsextreme Partei NPD will die Not der Behörden ausnutzen. In einer Pressemitteilung rief zunächst der Landesverband Sachsen, dann die Bundes-NPD ihre Mitglieder dazu auf, sich als Volkszähler zu melden. Durch „nationaldemokratische Marktforschung zur idealen Wähleransprache” verspreche man sich, „Eindrücke von den persönlichen Lebensverhältnissen des einen oder anderen ,Antifaschisten’ zu bekommen”. Die Volkszählung soll zur rechten Spionage missbraucht werden.

 

Die Behörden scheinen recht hilflos, denn nach Parteizugehörigkeit darf nicht aussortiert werden. „Wir versuchen, am Telefon die Motive und die Einstellung rauszukriegen”, sagt Markus Kandler. „Wenn jemand die freiheitlich demokratische Grundordnung in Frage stellt, nehmen wir den nicht.” Auch wenn Befragte Nachteile zu befürchten hätten, etwa weil der Interviewer auch GEZ-Beauftragter ist, ginge das nicht. Auch Hermann Wolf, der ehemalige Polizist, wurde befragt. Neben den Kontaktdaten musste er in seiner Teilnahmeerklärung angeben, wo er gearbeitet hat und ob er ein Ehrenamt hatte. Was genau er bei der Polizei war, das hat man ihn nicht gefragt.


 

 

Die AZ hat sich einen der zahlreichen Fragebögen angeschaut und fasst zusammen, was der Staat, unter anderem, von Ihnen wissen will:

Vorname

Nachname

Adresse

Telefonnummer

Geschlecht

Familienstand

Geburtsdatum

Staatsangehörigkeit

Religion (nur hier ist die Auskunft freiwillig)

Personen im Haushalt

Hauptwohnsitz Schulbildung

Schulabschluss

Berufstätigkeit

Nebenjobs

Branche und genaue Tätigkeit

Alle Volljährigen oder einen eigenen Haushalt führenden Minderjährigen sind laut § 18 des Zensusgesetzes zur Auskunft verpflichtet. Der Stichprobenumfang beträgt etwa 9,6 Prozent der Bevölkerung.

 

 

 

 

 

 

 

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