Klettern bei den European Championships: Königsplatz-Kraxler

München - Auch Adam Ondra wirkte überwältigt – der 29-jährige Tscheche, der als weltbester Kletterer gilt, als Greatest Climber of all Time.
Ondra durchstieg viele der schwierigsten Routen der Welt, ob in Italien, Spanien oder im Frankenjura, natürlich auch am berüchtigten El Capitan im kalifornischen Yosemite Valley.
Kletterer sind vom Ambiente Königsplatz begeistert
Der Münchner Königsplatz aber war in den vergangenen Tagen neues Terrain für den Superstar, der sich nach den ersten Eindrücken begeistert zeigte von der Atmosphäre und dem Ambiente vor der historischen Kulisse. "München ist eine richtige Kletterstadt", meinte Ondra, "mit einem fachkundigen und mitreißenden Publikum."
Tatsächlich war der Königsplatz schon bei den Qualifikationsrunden der Kletter-EM am Donnerstag und Freitag gut besucht. Doch so spektakulär die Leistungen von Europas besten Vertikalakrobaten anmuten, so schwierig ist er noch immer für die gesamte Sportart, der Weg bis ganz hinauf. Denn auf seinem steinigen Anstieg an die Spitze hing der Klettersport bislang oft in den Seilen.
Vergangenes Jahr feierte Klettern in Tokio seine olympische Premiere. Doch das Debüt unter den fünf Ringen war begleitet von viel Kritik und Knatsch.
Das IOC hatte den Neulingen an der Wand bei Frauen und Männern nur jeweils eine Entscheidung zugestanden, weshalb als mühsam konstruierte Kompromisslösung ein recht sinnfreier Kombinationswettbewerb aus Bouldern (bis etwa vier Meter Höhe ohne Seil), Lead (15 Meter mit Seil) und Speed (15 Meter auf Zeit) zusammengezimmert wurde, was angesichts der drei völlig unterschiedlichen Disziplinen so viel Sinn machte, als würde man beim Skifahren einen Dreikampf aus Abfahrt, Slalom und Skispringen erfinden.
Der Aufschrei unter den Athleten war entsprechend groß. Für Stars wie Ondra oder auch den Erlanger Top-Kletterer Alex Megos, die sich am Fels über Stunden und manchmal Tage die begehbaren Routen zurechttüfteln, war gerade das Hochgeschwindigkeitskraxeln ein Graus. "Dank Speed werde ich bestimmt nichts reißen", schimpfte Megos, der letztlich Neunter wurde, und auch Adam Ondra erklärte, das Tempoklettern fühle sich für ihn an, als starte er von Haus aus mit 100 Metern Rückstand in die Wand. Er, Ondra, – der Beste der Welt – wurde in Tokio nur Sechster.
Messner: "Da ist ja jeder Affe schneller oben"
Dazu kamen auch immer wieder verbale Gerölllawinen von außen. Als einer der Obernörgler positionierte sich Alpinlegende Reinhold Messner, der das Sportklettern als "lächerlich" bezeichnete, weil es mit traditionellem Klettern nichts zu tun habe. Der 77-Jährige lästerte über die Speedvariante: "Da ist ja jeder Affe schneller oben."
Ein Herummäkeln, das Martin Veith oft gehört hat und ihn und seine Athleten allein schon deswegen nicht aus dem Halt bringt. "Da könnte ich auch argumentieren, ein Gepard läuft auch schneller als der Weltmeister über 100 Meter", sagt Veith, der Sportdirektor der Kletterer beim Deutschen Alpenverein, der AZ.

Mit dem Format in München ist Veith zufrieden. Hier können die Spezialisten ihre Stärken wieder ausspielen, bei Männern und Frauen gibt es jeweils vier Entscheidungen, je eine in den drei einzelnen Disziplinen, dazu eine im Vergleich zu Tokio weitaus akzeptablere Kombination aus Bouldern und Lead. Hier in der Kombi werden die einzelnen Bereiche der Wand in Zonen unterteilt, vereinfacht heißt das: Je weiter man hinaufkommt, desto mehr Punkte gibt es. Klingt plausibel, war aber kurz vor dem Auftakt noch nicht bei allen Athleten so richtig angekommen.
Yannick Flohé, 2021 immerhin Kombinations-Weltmeister (damals wurden die Ergebnisse aus den drei Einzelwertungen hochgerechnet) gab sich recht ratlos über die neue Form des Zweikampfs aus Boulder und Lead: "Ich weiß noch nicht, was ich von dem neuen System halten soll", sagte der 23-jährige Essener, "ich hab's noch nicht richtig verstanden."
Denn sie wissen nicht, was sie tun. Es ist also noch viel Luft nach oben, im Verständnis wie auch in der Außendarstellung. "Wir sind noch immer eine Randsportart", sagt auch Hannah Meul, bei der EM die größte deutsche Medaillenhoffnung in Bouldern und Lead, "wir stecken noch immer in den Kinderschuhen."
Kletter-Sportchef hofft durch Multi-EM einen großen Schub
Vergleichbar mit den untersten Haken in einer steilen Felswand. Sportchef Veith erhofft sich nun durch die Einbettung in die Multi-EM einen großen Schub. Er sagt noch, dass man angesichts der Resonanz der ersten Tage in der Öffentlichkeit durchaus angekommen sei und erhöhte Aufmerksamkeit generiert habe. Stimmungsvoll dürfte es in jedem Fall werden, wenn nun am Samstag und Sonntag am Königsplatz gleich vier Entscheidungen fallen, jeweils in Boulder und Lead.
Olympisch tun sich die Kletterer freilich weiter schwer. In Paris in zwei Jahren wird es nur vier Entscheidungen bei Männern und Frauen geben, ein Speed-Event, dazu noch eine Kombi aus Boulder und Lead. Sportchef Veith hofft auf 2028 in Los Angeles, dass das Programm – wie jetzt bei der EM – auf acht Wettkämpfe aufgestockt wird.
Im Moment ist München in jedem Fall schon mal weiter als Olympia. Der Aufstieg ist für die Kletterer auf jeden Fall weiter beschwerlich. Aber sie finden schon noch die richtige Route nach oben.