Kleinparteien tragen zur Vielfalt der Stadt München bei

Wieso Kleinparteien bei der Kommunalwahl gute Chancen haben und warum sie wichtig für das Stadtklima sind, erklärt Politologin Eva Feldmann-Wojtachnia.
von  Thilo Schröder
Das Münchner Rathaus.
Das Münchner Rathaus. © Sina Schuldt/dpa

München - Zahlreiche Parteien und Gruppierungen treten zur Kommunalwahl im März an. Kleine und Kleinstparteien müssen dafür erst 1.000 Unterschriften sammeln. Im Rathaus, im KVR oder einer der fünf Bezirksinspektionen können Bürger sich bis 3. Februar in Listen eintragen.

Lohnt es sich für die Kleinparteien überhaupt anzutreten, wenn maximal ein, zwei Sitze im Stadtrat winken? Und kann die Wahl einer Kleinstpartei die Politik verändern? Ja, sagt Eva Feldmann-Wojtachnia (54), Leiterin der Forschungsgruppe Jugend und Europa am Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) der LMU. Die AZ hat mit ihr gesprochen.

Kleinparteien tragen zur Vielfalt der Stadt München bei

AZ: Frau Feldmann-Wojtachnia, im Münchner Stadtrat sind derzeit zehn Parteien vertreten. Weshalb ist diese Vielfalt wichtig? Machen nicht SPD, CSU und Grüne die Politik?
Eva Feldmann-Wojtachnia: Vielfalt zu ermöglichen, ist ja das wichtigste Kernmerkmal unserer Demokratie. Deshalb ist es auch bei politischen Entscheidungsprozessen wichtig, dass möglichst unterschiedliche Perspektiven einbezogen werden und möglichst kontrovers diskutiert wird – um dem auch gerecht zu werden. Insofern ist es gerade für die Gestaltung einer Stadtpolitik sehr wichtig, dass hier die Vielfältigkeit des Stadtbilds und seiner Bürgerschaft gut abgebildet ist. Vielfalt ist andererseits auch ein Innovationsfaktor. Sie bedeutet mehr Integration und trägt im Endeffekt zu einem besseren, aktiven und engagierten Stadtklima bei. Auf kommunaler Ebene kann ja auch viel näher an der Sache und konkreter diskutiert und nach Lösungen gesucht werden, es kommen unterschiedlichste Koalitionen bei den Abstimmungen zustande. Man ist da gar nicht so sehr in seinem Parteien-Abstimmungszwang, sondern vertritt Interessen und ist eher sachorientiert. So gab es in der aktuellen Wahlperiode auch recht viele Fraktionswechsel von einzelnen Stadträten.

Damit sie zur Kommunalwahl zugelassen werden, müssen die Kleinparteien 1.000 Unterschriften sammeln, die ausschließlich im Rathaus, im KVR oder einer der fünf Bezirksinspektionen gesammelt werden können. Weshalb sind die Hürden so hoch?
Aus meiner Sicht sind 1.000 Unterschriften keine besonders hohe Hürde. Das ist eher notwendig, um eine gewisse Ernsthaftigkeit zu garantieren. Aber vor allem auch, um zu verhindern, dass nur Partikularinteressen Einzelner verfolgt werden. Es geht hier auch darum, der Zerstückelung des Parteiensystems entgegenzuwirken und die Förderung einer stabilen Mehrheit zu ermöglichen, um handlungsfähig zu sein. Und trotzdem Kleinparteien eine Chance zu geben, um diese Vielfalt abzubilden. Die kleinen Parteien kritisieren im Übrigen nicht unbedingt die Zahl der Unterschriften, sondern den Zeitaufwand und die Öffnungszeiten der Einrichtungen, in denen die Listen ausliegen, wo man wirklich physisch unterschreibt. Aber das ist nötig und wichtig. Nur so ist eine öffentliche Kontrolle möglich.

... eine digitalisierte Liste würden Sie also ablehnen?
Es ist sinnvoll so, wie es ist. Zumal wir ohnehin kein E-Democracy-Wahlsystem haben. Und: Die Parteien müssen sich so tatsächlich um ihre Unterstützer bemühen – und das halte ich für wichtig.

"Dass sich Kleinparteien um Unterschriften bemühen müssen, ist wichtig"

Bis zum 3. Februar haben die Kleinparteien Zeit, die Unterschriften zu sammeln – am 15. März ist Kommunalwahl. Ist es nicht unfair, dass die etablierten Parteien längst im Wahlkampf sind, während die Kleinparteien noch sammeln?
Das Verfahren ist ja bekannt. Da ist keine kleine und Kleinstpartei im Nachteil. Im Gegenteil: Viele nutzen ja diese Unterschriftensammlung offensiv für ihren Wahlkampf. Und das kann dann wiederum für Aufmerksamkeit sorgen, weil diese Parteien eine ganz andere politische Kultur haben. Ein Dreikönigstreffen wie zum Beispiel von CSU oder SPD würde gar nicht zu ihrer Kultur passen. Das sind also zwei unterschiedliche Fälle, die man auch unterschiedlich betrachten muss.

Weshalb darf ich nur eine Liste mit meiner Unterschrift unterstützen, bei der Kommunalwahl aber Kandidaten auf verschiedenen Listen meine Stimme geben?
Sinn und Zweck davon ist, dass man nur ein Mal die Möglichkeit hat, für eine Zulassung seine Stimme abzugeben. Wenn ich zwei oder drei Listen unterstützen könnte, würde es letztlich zu unübersichtlich werden. So ist klar: Hier gibt es konkrete Menschen, die konkret hinter dieser einen Zulassung stehen.

Das Unterschriften-Sammeln könnte missbraucht werden?
Ja, es könnte inflationär werden oder könnte zu einer Art Geschäft werden. Ich glaube, dieser Korruption möchte man ein bisschen vorbeugen.

AfD muss wegen Fünf-Prozent-Hürde keine Unterschriften sammeln

Ist das Wahlsystem nicht dennoch unnötig kompliziert?
Das Kommunalwahl-System ist extrem wählerfreundlich und flexibel gestaltet, wenngleich als komplizierteste Wahl bekannt (lacht). Dadurch, dass man Möglichkeiten bekommt, individuell vertreten zu werden, Stimmen zu häufeln oder aufzuteilen. Man kann sogar durch seine Listen-Unterschrift im Vorfeld der Wahl eine junge Partei unterstützen, wie Volt, sie am Ende aber nicht wählen – oder eben nicht nur sie wählen.

Weshalb sammeln die Piraten wieder Unterschriften, und müsste Hut (humanistisch, unabhängig, tolerant) sammeln? Beide waren schon im Stadtrat.
Hut hat sein Recht wieder verloren, weil der Hut-Stadtrat zu Mut gewechselt und sogar wieder ausgetreten ist. Und der Piraten-Stadtrat ist zur FDP gewechselt. Dadurch sind die Parteien als solche nicht mehr im Stadtrat vertreten. Die AfD hatte zum Beispiel zwei Sitze und jetzt keinen mehr …

... die AfD muss aber keine Unterschriften sammeln.
Nein, da spielt das Ergebnis der letzten Landtags-, Bundestags- oder Europawahl mit rein. Da ist die Partei über die Fünf-Prozent-Hürde gekommen, darum muss sie keine Unterschriften sammeln.

Kommunalwahl: "Es wird weiblicher, jünger – Volt hat da gute Chancen"

Weshalb stellen manche Kleinparteien einen Oberbürgermeister-Kandidaten? Sie haben doch sowieso keine realistische Chance.
Das stimmt. Aber das Bürgermeisteramt hat eine wahnsinnig hohe Symbolkraft, dadurch, dass Bürgermeister direkt von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt werden. Auf dieses Register möchte man natürlich auf keinen Fall verzichten. Da die Wahl unabhängig vom Stadtrat erfolgt, ist es irrelevant, welcher Parteiprägung ein Kandidat ist. Er oder sie muss halt die Zustimmung der Mehrheit erhalten. Da spielen Glaubwürdigkeit, Eloquenz und Bekanntheit eine große Rolle. Es ist zwar in einer Stadt wie München unwahrscheinlich, dass jemand Drittes aus einer Kleinpartei gewählt wird, aber für die Symbolwirkung ist das enorm. Als Wähler denkt man: Diese Liste beweist damit, dass sie politisch handlungsfähig ist, Ambitionen hat und bereit ist, Verantwortung zu übernehmen.

Geht meine Stimme verloren, wenn ich sie einer Kleinpartei gebe?
Ganz und gar nicht. Verloren gehen Stimmen beim Nicht-Wählen und beim falschen Ankreuzen. Dadurch, dass ich bei der Kommunalwahl meine Stimmen individuell gewichten kann, haben gerade Kandidaten aus kleineren Parteien eine sehr gute Chance. Das ist wirklich bemerkenswert. Auch spannend ist: Ich habe die Möglichkeit, diese Listen-Hierarchie der Parteien aufzubrechen und auch von unteren Plätzen einzelne Kandidaten nach vorne zu bringen. Da ist sehr viel Bewegung möglich.

Es treten heuer neue Kleinparteien an, Sie haben Volt angesprochen. Sehen Sie da Potenzial für einen Aufbruch?
Auf jeden Fall. Für die jetzige Kommunalwahl gilt: Nichts wird mehr so bleiben, wie es war. Es wird vielfältiger, es wird weiblicher, es wird jünger. Volt hat da, glaube ich, ganz gute Chancen. Die Kommunalparlamente werden dahingehend oft als Keimzelle der Demokratie betrachtet. Es wird auf jeden Fall sehr, sehr spannend.

Lesen Sie hier: Kommunalwahl - Klagen über erhebliche bürokratische Hürden

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