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Kleingartenparzellen in München: "Mein Sechser im Lotto"

Der Kleingartenverein Südwest 35 aus Mittersendling umfasst 58 Parzellen. Das Interesse ist groß, die Warteliste für Bewerber entsprechend lang.
von  Conie Morarescu
Anton Pollinger ist Erster Vorstand im Kleingartenverein Südwest 35. Fotos (6): Bernd Wackerbauer
Anton Pollinger ist Erster Vorstand im Kleingartenverein Südwest 35. Fotos (6): Bernd Wackerbauer © Bernd Wackerbauer

München - Laurel und Hardy sitzen auf einer übergroßen Bank, die Füße baumeln, beide schauen vergnügt. Sie fühlen sich wohl unter dem schattigen Gartenlaub. Die Figuren hüten den Eingang eines Schrebergartens in der Nähe der Passauer Straße in Mittersendling. Es handelt sich um eine von 58 Parzellen des Kleingartenvereins Südwest 35.

Nicht nur Dick und Doof genießen es, dort zu sein: Wer hier einmal eine Gartenparzelle bekommt, gibt sie in der Regel nicht freiwillig wieder her. Selbst, wenn es eigentlich an der Zeit wäre: "Für die älteren Gartenpächter ist es oft schwierig, sich einzugestehen, dass es nicht mehr geht", erklärt der erste Vorstand des Vereins Anton Pollinger.

Image der Schrebergärten hat sich geändert

Er weiß, wovon er spricht. Seit etwa 20 Jahren ist er auf dem Posten, hat viele kommen und gehen sehen. Einige musste er dazu überreden, sich von ihrer Parzelle zu trennen. "Irgendwann geht's halt nimmer, das muss man akzeptieren."

Auch das Image der Schrebergärten hat sich stark geändert, lange schon sind sie nicht mehr der Inbegriff von Bürgerlichkeit und Spießigkeit. Im Gegenteil: Immer mehr junge Familien sehnen sich in der immer enger werdenden Stadt nach einem Stückchen Land, auf dem sie Gemüse, Obst oder Blumen pflanzen können.

Obst und Gemüse, frisch aus dem eigenen Garten.
Obst und Gemüse, frisch aus dem eigenen Garten. © Bernd Wackerbauer

Die Corona-Krise habe dieses Bedürfnis verstärkt, doch die Tendenz sei schon seit Jahren stark zu spüren, erklärt Anton Pollinger. Der gelernte Metzger ist neben seiner Funktion als Vereinsvorstand auch als zweiter Vorsitzender im Stadtverband tätig.

Er nennt Zahlen, die ein Gefühl dafür geben, wie groß die Nachfrage ist: Momentan verwaltet der Kleingartenverband München mit seinen 85 Vereinen im Stadtgebiet insgesamt rund 8.500 Gartenparzellen, die allesamt belegt sind. Offiziell auf der Warteliste befinden sich etwa 2.000 Interessenten. "Inoffiziell wahrscheinlich 5.000", schätzt Pollinger, "die Listen sind begrenzt, denn sonst wären die Wartezeiten viel zu lang."

Wartezeit für eine Parzelle: Fünf Jahre

Fünf Jahre kann es dauern beim Kleingartenverein SW 35, bis man an eine Parzelle kommt. Etwa zehn Interessenten stehen dort aktuell auf der Warteliste. Im Jahr werden in der Regel zwei von den 58 Parzellen frei. Zu den Geduldigen gehört auch , seit etwa einem Jahr steht sie auf der Liste. Fast täglich macht sie einen Spaziergang durch die Anlage und schaut sich die Gärten an. "Das ist eine große Freude, zu beobachten, wie alles aufgeht, wächst und blüht", schwärmt sie. Das Gelände ist sehr übersichtlich. Es besteht aus nur einem geraden Weg, der links und rechts durch die Parzellen gesäumt ist. Man hört außer Vogelgezwitscher kaum etwas. Leise Straßengeräusche rauschen scheinbar in der Ferne, obwohl die Passauer Straße eigentlich ganz nah ist. Ein kleines grünes Idyll mitten in der Stadt.

Mona Nolte wartet seit einem Jahr auf eine Parzelle.
Mona Nolte wartet seit einem Jahr auf eine Parzelle. © Bernd Wackerbauer

Mona Nolte wünscht sich nichts sehnlicher als einen solchen Schrebergarten. Ihr Sohn ist vor 14 Monaten auf die Welt gekommen. Zusammen mit ihrem Mann und dem Baby wohnt die Familie auf 67 Quadratmetern in einem genossenschaftlichen Bau in der Nähe. "Die Fläche auf unserem Balkon habe ich bis aufs Äußerste ausgereizt, man kann gerade noch draußen sitzen", sagt die passionierte Hobbygärtnerin und lacht.

150 Jungpflanzen habe sie heuer in ihrer Wohnung gezogen. Viele davon hat sie unter den Gärtnern in der Anlage verteilt. "Es macht mir unheimlich viel Freude, ich kann gar nicht mehr aufhören damit", schildert Nolte ihre Gärtner-Leidenschaft.

Flaniert man den kleinen Weg entlang, kann man Gärten in verschiedensten Stilen betrachten. Natürlich wild, mit Stauden, Büschen und Bäumen bewachsen. Oder auch fein säuberlich geordnet: gemähter Rasen, eingekastelte Beete, gepflasterte Wege. Bei den jungen Familien sind Hochbeete besonders im Rennen. Es wird generell viel Obst und Gemüse angebaut. Eine Regel des Kleingartenvereins besagt, dass mindestens ein Drittel als Nutzfläche bewirtschaftet werden muss.

Schrebergarten: Junge Familien neben Rentnerpaaren

Junge Familien gärtnern in der Anlage neben Rentnerpaaren. Die Gemeinschaft ist bunt gemischt, die Tendenz geht allerdings in Richtung jung, wie Anton Pollinger bestätigt. Nichtsdestotrotz, einige von den Alteingesessenen halten sich sehr wacker. "Unsere älteste Gärtnerin ist 91 Jahre alt", sagt Pollinger und zeigt stolz auf den Garten, der romantisch angelegt ist, mit Rosenstauden und Beerensträuchern zwischen den kleinen Gemüsebeeten. "Sie pflegt den Garten ganz alleine. Wie man sieht, einwandfrei", betont der Vorstand.

Die Rosen blühen in voller Pracht.
Die Rosen blühen in voller Pracht. © Bernd Wackerbauer

Ganz alleine schafft es die 81-jährige Doris Hartung nicht mehr. Sie kümmert sich um ihren kranken Ehemann und benötigt beim Garteln die Unterstützung ihres Sohnes. Dort wachsen Buschbohnen, Lauch, Radieschen und vieles mehr. "Der Schnittlauch wächst heuer besonders gut", bemerkt die Rentnerin, sichtlich erfreut.

Doris Hartung (81) hat die Parzelle seit 1983.
Doris Hartung (81) hat die Parzelle seit 1983. © Bernd Wackerbauer

Dass das Garteln wohltuend ist, schildert Bruno Büttner auf diese Art: "Ich sage immer, ich gehe zu meinem Sechser im Lotto, statt ich gehe zu meinem Garten", so der ehemalige Landschaftsgärtner. Seinen Sechser im Lotto hat er seit 1996. Heuer wächst bereits die vierte Kultur in seinem Garten.

Bruno Büttner kennt sich aus mit dem Boden und Düngung mit Rossmist.
Bruno Büttner kennt sich aus mit dem Boden und Düngung mit Rossmist. © Bernd Wackerbauer

Noch vor den Eisheiligen pflanzt er Salate und Kohl. Das Geheimnis: Er schützt die Pflanzen, indem er Rossmist einsetzt. Der spendet Wärme. "Außerdem wird der Boden richtig gut", verrät er. Zum Abschied betont er noch laut: "Unser Vorstand ist der Beste!"

Kleingärten: Früher ein soziales Projekt

Anton Pollinger lächelt verlegen. Eine gute Gemeinschaft braucht jemanden, der sich für das Miteinander einsetzt. Kesselfleischessen, Weißwurstfrühstück, Sommerfest und Wiesn-Anstich, im Winter sogar eine Glühweinparty. Feste gehören dazu, um die Gemeinschaft zu stärken. Als Metzger freut sich Pollinger, sich um die Versorgung seiner Schützlinge zu kümmern.

Die Anlage entstand zur Blütezeit von Dick und Doof, die heute als Figuren einen der kleinen Gärten bewachen. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Amerikaner schufen die Flächen, um den Stadtbewohnern die Möglichkeit zu geben, sich in der schweren Nachkriegszeit selbst zu versorgen. Das Projekt blieb lange Zeit sozial orientiert: Als Anton Pollinger das erste Mal in Berührung mit den Gärten kam, hatten nur Geringverdiener eine Chance auf eine Parzelle: "Wer über 15. 000 D-Mark im Jahr verdient hat, war raus."

Heute ist das nicht mehr so. Aber es braucht eben doch ein bisserl Glück, um einen Platz zu ergattern - wenn auch nicht ganz so viel wie für einen Sechser im Lotto.

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