Klatten-Prozess: Packt der Gigolo jetzt aus?

Am Montag beginnt der Prozess gegen Helg Sgarbi in München. Wenn der Verführer der BMW-Erbin gesteht, könnte das Verfahren schnell vorbei sein.
von  Abendzeitung
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Illustration © Christine Böer

MÜNCHEN - Am Montag beginnt der Prozess gegen Helg Sgarbi in München. Wenn der Verführer der BMW-Erbin gesteht, könnte das Verfahren schnell vorbei sein.

Saal 101, Münchner Landgericht, 9.30 Uhr: Am Montag ist Premiere der großen Gerichts-Telenovela. Hauptdarsteller an den vier geplanten Prozesstagen: der Gigolo Helg Sgarbi (44). Der smarte Schweizer soll reichen Damen die Herzen gebrochen und sie um Millionen betrogen haben. Wer sich nicht mehr melken ließ, den erpresste der Übersetzer mit Sex-Videos. Die entstanden mit versteckter Kamera in den gemeinsamen Liebesnächten.

Dass Helg Sgarbi nun auf der Anklagebank sitzt, hat er einem seiner prominentesten Opfer zu verdanken: der BMW-Erbin und Milliardärin Susanne Klatten. Sie zeigte ihn an. Ob sie und die drei anderen Opfer aber in den Zeugenstand müssen, hängt nun allein von Sgarbi ab.

Möglicherweise wird Sgarbi heute auspacken. Der Deal, über den er nach AZ-Informationen verhandelt hat, könnte so aussehen: Sgarbi legt ein Teilgeständnis ab und bekommt eine mildere Strafe; Susanne Klatten und den anderen Opfern bliebe so ein peinlicher Auftritt vor Gericht erspart. Dies hatte zuvor auch der Vorsitzende Richter Gilbert Wolf betont. Wenn Sgarbi gesteht, wird aus dem Justiz-Vierteiler ein kurzer Prozess.

Ähnliches strebte die zunächst mit Sgarbis Verteidigung beauftragte Münchner Anwaltskanzlei Lutz Libbertz an und versuchte in Verhandlungen mit Susanne Klatten strafmildernde Punkte zu sammeln. Doch der Versuch scheiterte, das Mandat wechselte.

Juristischen Beistand bekommt Sgarbi jetzt von den Strafverteidigern Egon Geis aus Frankfurt (siehe unten) und Till Gontersweiler aus Zürich. Gesteht Sgarbi nicht, werden sie versuchen, die Vorwürfe des Staatsanwalts Thomas Steinkraus zu entkräften.

Der Verführer soll höchst professionell vorgegangen sein. Klatten fragte sich später, woher er wusste, dass sie sich im Hotel „Lanserhof“ aufhielt: „Es wussten nur sehr wenige Leute überhaupt von meinem Kuraufenthalt in Tirol. Ich hatte das Gefühl, das Sgarbi ganz bewusst da war. Vom Kuraufenthalt wusste nur ein kleiner Kreis, unter anderem Personen aus dem Umfeld eines Mannes, mit dem ich einmal eine Affäre hatte.“ Gemeint ist der Universitätsdozent Peter S. (Name geändert) aus Gräfelfing. Sgarbi sprach über Reiseziele, von denen Klatten ihrem Ex-Lover erzählt hatte. „Auch von meiner Vorliebe für das Buch ,Der Alchimist’, die Peter S. auch bekannt war, schien Sgarbi zu wissen.“ Die Geheimnisse des Gigolos, die er im Prozess lüften könnte:

Wo ist das Geld?

Der Übersetzer Helg Sgarbi gehört seit 1991 einer Sekte an. Ihr Führer ist der ehemalige Gebrauchtwagenhändler Ernano Barretta (64). Er gibt sich als Wunderheiler aus und verspricht Krebskranken Heilung. Sgarbi soll nicht einmal ein Glas Wasser getrunken haben, ohne seinen Meister zuvor um Erlaubnis zu bitten.

Sgarbis Auftrag war klar definiert: die Herzen reicher Frauen brechen, um an deren Millionen für die Sekte zu gelangen. Eines seiner beliebten Jagdreviere war der „Lanserhof“ bei Innsbruck. Sgarbi parliert in sechs Sprachen. Sobald er seine Opfer ausgenommen hatte. lieferte er die Beute bei seinem Meister Ernano Barretta in Pescosansonesco bei Pescara ab.

Bei Barretta sollen auch die sieben Millionen von Susanne Klatten gebunkert sein. Das Geld übergab sie Sgarbi am 11. September 2007, sauber verpackt in einem Umzugskarton, in der Tiefgarage im „Holiday Inn“ in München. Barretta legte einen Teil des Geldes – da sind sich die italienischen Ermittler sicher – in Luxusautos, Immobilien und Grundstücke an. Barretta selbst fährt einen Audi Q7, Sgarbi reiste nicht weniger luxuriös in einem Mercedes 300 SD.

Ein kleinen Teil der Klatten-Millionen – insgesamt 1,8 Millionen Euro – konnten die Behörden dennoch bei Barretta sicherstellen. Der ermittelnde italienische Staatsanwalt Gennaro Varone vermutet, dass die restlichen Klatten-Millionen im Anwesen von Barretta versteckt wurden: „Wir werden das Geld finden.“

Inzwischen wurden vier Häuser, zwei Grundstücke und der Sektenfuhrpark von zirka 60 Autos beschlagnahmt. Barretta selbst sitzt nicht in U-Haft. Dennoch muss er sich ab dem 24. März in Italien wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung vor Gericht verantworten.

Wo sind die Sex-Videos?

Helg Sgarbi soll am 21. August 2007 im Zimmer 629 des „Holiday Inn“ heimlich ein Intim-Video gedreht haben. Klatten zog am 9. Oktober 2007 einen Schlussstrich und erklärte die Beziehung für beendet. Sieben Tage später hinterlegte er an der Rezeption im Hotel „Lanserhof“ einen Brief für Klatten. Darin forderte er sie auf, sofort wieder Kontakt mit ihm aufzunehmen. Ansonsten würde er ihre ehemalige Beziehung in der Öffentlichkeit verbreiten. Anbei zwei Videoprints. Doch wo sind die Videos? Der Münchner Oberstaatsanwalt Anton Winkler: „Wir wissen nicht einmal, ob welche existieren.“ Auch Sgarbis Strafverteidiger Geis weiß es nicht: „Vielleicht wird das im Prozess geklärt.“ Es könnte aber sein, dass Sektenführer Barretta die Videos versteckt hat, um später, wenn Gras über die Sache gewachsen ist, daraus Kapital zu schlagen.

Welche Rolle spielt Barretta?

Acht Monate saß Ernano Barretta in U-Haft. Doch Ende Februar ließ ihn die Justiz in Pescara wieder laufen. Der angebliche Komplize von Helg Sgarbi soll das Liebesspiel zwischen Sgarbi und der BMW-Erbin Klatten gefilmt haben. Die Münchner Justiz interessiert sich nicht mehr für Barretta. „Der Verdacht gegen ihn hat sich nicht erhärten lassen“, bestätigte Oberstaatsanwalt Anton Winkler.

Aber in seiner italienischen Heimat muss er mit Repressalien rechnen. Laut Staatsanwalt Varone steht er ab dem 24. März vor Gericht. Der Vorwurf: Bildung einer kriminellen Vereinigung. Strafmaß ein bis sieben Jahre. Bis zum Prozess hat ein höheres Gericht dem sechsten Antrag Barrettas auf Haftverschonung stattgegeben, bestätigte Varone. Barretta müsse aber auf seinem Landsitz bleiben. Varone: „Ich halte ihn nach wie vor für schuldig.“ Sollte Barretta verurteilt werden, müsste er mit einer Gefängnisstrafe von drei bis sieben Jahren rechnen.

Was hat Sgarbis Ehefrau mit dem Fall zu tun?

Gabriela Francesca Sgarbi (40), die Ehefrau des Gigolos, muss nicht in München vor Gericht aussagen. Denn als Gattin hat sie das Recht zu schweigen. Zumal sie sich dadurch selbst belasten könnte. Sie versucht schon seit Anfang 2008, ihren Mann so schnell wie möglich aus dem Gefängnis in Stadelheim zu holen. Die Schweizerin hatte den Gigolo in Barrettas Sekte kennengelernt. Die beiden feierten am 5. August 2001 in den Abruzzen Hochzeit, die gemeinsame Tochter ist heute 3. Der Anwalt der Ehefrau, Till Gontersweiler, schlug vor, dass sie Klatten das Geld oder wenigstens einen Teil zurückzahlen soll. Dies geht aus einem Telefongespräch hervor, das die italienische Polizei angezapft hatte.

Im März 2008, nachdem Klatten den Fall der Polizei gemeldet hatte, dachte Frau Sgarbi daran, die Milliardärin auch zu erpressen – und wollte an die Öffentlichkeit gehen, wenn sie ihre Anzeige nicht zurücknimmt. Am Telefon sagte sie zu ihrem Anwalt: „Diese Frau hat noch ein Gesicht zu verlieren. Ich gehe sogar mit dem Mädchen zur Presse, falls das nötig ist.“ Die italienische Justiz hat gegen Frau Sgarbi ein Verfahren wegen Beihilfe zum Betrug eingeleitet. Bei einer Verurteilung müsste sie mit einer Haft von bis zu drei Jahren rechnen.

Torsten Huber

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