Klasse 3d: Vier Wochen ohne Lehrerin

In einer Grundschule in Laim ist die Situation prekär. Jetzt gehen die Eltern in die Offensive und suchen selbst nach einer Ersatzpädagogin.
Eva von Steinburg |
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„3d sucht eine Lehrerin“, steht auf dem Plakat, das die Kinder der Klasse 3d der Grundschule an der Camerloherstraße in Laim halten.
Eva von Steinburg „3d sucht eine Lehrerin“, steht auf dem Plakat, das die Kinder der Klasse 3d der Grundschule an der Camerloherstraße in Laim halten.

München – Das Schreckgespenst „Übertritt“ ist wieder da. Münchens gestresste Viertklässler bekommen heute, Montag, 4. Mai, ihr Übertrittszeugnis. Mit einem Ticket fürs Gymnasium, für die Realschule – oder eben auch nicht.

Eltern aus München, die selber Gymnasiasten waren, wünschen sich diesen Weg normalerweise auch für ihre Kinder. Aber sie wissen: Nur mit einem Schnitt von mindestens 2,33 kommt ihr Kind dorthin.

Für den Übertritt aufs „Gymi“ ist in der vierten Klasse extremer Elan gefordert. Fast jede Schulwoche schreiben die zehnjährigen Grundschüler eine Probe.

Vor allem aus diesem Grund sind sie jetzt in heller Aufregung, die engagierten Eltern der Klasse 3d der Grundschule an der Camerloherstraße in Laim. Weil die Lehrerin ihrer Kinder länger krank ist, werden ihre Kids seit vier Wochen morgens in Grüppchen aufgeteilt – und in der Schule herumgeschoben.

Lesen Sie hier: Das ist die beste Schule in München

In Klasse 3d fällt massiv Unterricht aus – das Kultusministerium hat vier Wochen lang keinen Ersatzlehrer auftreiben können. Die 248 Lehrkräfte aus der „Mobilen Reserve“ sind „aufgebraucht“.

„Wenn schon in der dritten Klasse die Basis fehlt – wie sollen unsere Kinder dann die vierte Klasse gut schaffen?“, sorgt sich Mutter Sibylle Cavar aus Laim. Die Rechtsanwältin hat drei Kinder. Ihre Tochter Laura (9) geht in die Camerloher Grundschule.

„Wir empfinden die Situation als unfassbar unbefriedigend“

Seit mehr als drei Wochen ist das Mädchen niedergeschlagen und unzufrieden: „Hoffentlich wird unsere Klasse heute nicht schon wieder aufgeteilt“, bangt sie schon beim Frühstück.

26 Kinder aus ihrer Klasse sind seit den Osterferien ohne eigene Lehrerin. Mindestens bis Pfingsten fällt die Pädagogin aus. Deprimiert, verwaist und gereizt wandern die Kinder jetzt in Grüppchen von vier oder fünf behelfsmäßig in andere Klassen ein.

Übergangsweise sitzen die Drittklässler mit in zweiten oder vierten Klassen. Oftmals kommen sie sich dort aber wie „Störenfriede“ vor. Denn ältere Schüler waren schon frech zu ihnen. Immer nach dem Motto: „Oh, ihr schon wieder…“ Am Vormittag findet in der Gastklasse ganz normaler Unterricht statt. Die „Asylsuchenden“ sitzen hinten im engen Klassenraum. „Zusammenquetscht und in Stillarbeit sollen sie parallel zum fremden Unterricht konzentriert Arbeitsblätter ausfüllen“, erklärt Mutter Sibylle Cavar. Und weiter berichtet die 38-Jährige: „Das überfordert unsere Kinder ganz massiv. Wir empfinden die Situation als unfassbar unbefriedigend.“

Unter den Eltern ist die Stimmung angespannt!

Über einen Arbeitsauftrag im Fach HSU (Heimat- und Sachkunde) wundert sich Sibylle Cavar besonders: „,Nimm dein Buch und erstelle einen Hefteintrag zum neuen Thema Strom’, steht da tatsächlich. Für meine junge Tochter ist das ohne Anleitung nicht machbar. Dieser Unterrichtsausfall treibt absurde Blüten. Jetzt wehren wir uns.“

Lesen Sie hier: AZ-Kommentar: Der Krieg im Klassenzimmer

Auf das Kultusministerium ist sie besonders wütend: „Es wäre besser, jede Grundschule hätte eigene Reservelehrer. Denn eigentlich ist doch immer jemand krank.“

Ulrike Oettl ist die Elternsprecherin der Klasse 3d. Die 45-Jährige ist verärgert: „Dass der Sparkurs des Kultusministeriums schon in der Grundschule zuschlägt, ist mir unbegreiflich. Bayern will bei Bildung die Nummer eins sein. Für mich ist das hier der absolut falsche Ansatz. Ich fordere mehr Lehrer für die mobile Reserve.“

Sibylle Cavar (l.) und Ulrike Oettl mit ihren Töchtern Laura und Emma.

 

Der Marketing-Managerin tut ihre Tochter Emma (8) leid: „Sie fühlt sich in ihrer Schule nicht mehr aufgehoben, hat morgens Angst hinzugehen und vergisst eher Schulstoff anstatt neuen zu lernen.“

Power-Frau Ulrike Oettl hat an das Staatliche Schulamt sowie an Kultusminister Ludwig Spaenle persönlich geschrieben, wie verzweifelt die Laimer Kinder und Eltern sind. Denn der Lernerfolg der „Stillarbeit“ gehe gegen null. „Es entstehen Defizite, die vor der wichtigen vierten Klasse kaum mehr aufzuholen sind“, sagt Ulrike Oettl.

Das vierte Schuljahr, das ihre Tochter nächstes Jahr erwartet, ist enorm anspruchsvoll. „Alle vierten Klassen schreiben dann die gleichen Proben. Wenn in einer dritten Klasse der Unterricht sechs Wochen lang ausfällt, wie es bei uns wohl der Fall sein wird, nimmt niemand Rücksicht“, sorgt sich die Marketing-Expertin.

In der Camerloher Grundschule blieb im letzten Schuljahr bereits eine erste Klasse wochenlang ohne richtige Lehrerin. Heuer im Juni geht eine schwangere Drittklasslehrerin in Elternzeit. Wer kommt für sie?

Die Stimmung unter den Eltern ist angespannt, ja panisch. Eine andere Mutter aus der 3d sucht über jetzt über ihren Facebook-Account nach einer pensionierten Lehrerin – als Aushilfe in der Camerloherstraße.

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