Kirche veröffentlicht Faulhaber-Tagebücher aus NS-Zeit

Nach dem Münchner Attentat auf Adolf Hitler 1939 dankte Kardinal Faulhaber in einem Glückwunschtelegramm der „göttlichen Vorsehung“, dass der „Führer“ überlebte. Doch die Nazis hassten den Erzbischof trotzdem. Ein neues Projekt soll diesen Widerspruch aufklären.
München – Die katholische Kirche in Deutschland will Hunderte Dokumente veröffentlichen, die ein neues Licht auf ihre Rolle in der NS-Zeit werfen. In einer wissenschaftlichen Ausgabe werden in den kommenden Jahren die Tagebücher des Münchner Kardinals Michael Faulhaber (1869-1952) herausgegeben und online gestellt. Faulhaber, ein Vertrauter von Papst Pius XII., hatte sich mehrfach positiv über Adolf Hitler geäußert. „Er galt für die Nationalsozialisten aber nicht als sicherer Kantonist, auf den man zählen kann“, sagte der Münchner Erzbischof und Kardinal Reinhard Marx am Dienstag.
Die Kirche müsse sich ihrer Geschichte stellen. „Nichts, was in den Archivalien zutage treten könnte, kann der Kirche mehr schaden als der Verdacht, wir würden etwas verschweigen oder vertuschen wollen“, betonte Marx. Aus der Feder von Faulhaber stammt ein großer Teil der päpstlichen Enzyklika „Mit brennender Sorge“ von 1937 zur bedrängten Lage der katholischen Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus.
Die Tagebücher lagerten bis 2010 unter dem Bett von Faulhabers letztem Sekretär, Prälat Johannes Waxenberger, der die Dokumente bis zu seinem Tod nicht freigab. Sie enthalten Einträge zu 52 000 Besuchen und Gesprächen von 1911 bis 1952 – also von der Kaiserzeit bis zur jungen Bundesrepublik.
Der Historiker Andreas Wirsching vom Institut für Zeitgeschichte (München/Berlin) und der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf sehen darin „eine einmalige Quelle“, die einen Gesamtblick ermögliche. Die beiden Projektleiter arbeiten mit dem Erzbischöflichen Archiv zusammen, das die Tagebücher verwahrt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert die Online-Edition mit zunächst 800 000 Euro für drei Jahre.
Insgesamt ist das Projekt auf zwölf Jahre angelegt. „Faulhaber schrieb überwiegend in der ehemals weit verbreiteten Kurzschrift Gabelsberger, die heute kaum noch jemand entziffern kann“, sagte Wirsching. „Unser Projekt umfasst deswegen Schulungen, so dass es auch in Zukunft Experten für diese Schrift geben wird.“