Kellner-Bande: 50.000 Halbe Bier schwarz gezapft
München - Vor reichlich zwei Monaten, Mitte November 2014, nahm die Polizei fünf Angestellte und eine frühere Mitarbeiterin fest, die jahrelang in der Münchner Traditionsgaststätte Paulaner im Tal gearbeitet hatten. Der ungeheuerliche Verdacht: Die vier Männer und zwei Frauen sollen Promi-Wirt Putzi Holenia und seine Familie jahrelang systematisch bestohlen haben. Die Ermittler und die Wirtefamilie schätzen den Schaden auf 200.000 Euro oder sogar mehr.
Die Enttäuschung war Natalie Zarazik (34), Putzi Holenias (Stief-)Tochter und Junior-Chefin vom traditionsreichen Paulaner im Tal, deutlich anzumerken, als sie im Herbst vergangenen Jahres von der Polizei erfuhr, wie die sechs Mitarbeiter sie hintergangen hatten. „Ich hätte das nie für möglich gehalten“, sagt sie zur AZ. Der Restaurantleiter und die fünf Kellner waren alle bereits seit rund zehn Jahren bei Putzi Holenia und seiner Familie angestellt. „Wir haben ihnen vertraut“, erzählt die Wirtin.
Der dreiste Diebstahl geschah direkt unter den Augen der Wirtefamilie. Nach unbestätigten Informationen flogen die kriminellen Machenschaften erst auf, als ein weiterer Kellner mitbekam, wie seine Kollegen in die eigene Tasche wirtschaften.
Am 12. November 2014 kam die Polizei mit Durchsuchungsbeschlüssen zu den sechs Beschuldigten im Alter von 31 bis 64 Jahren nach Hause. Kripo und Staatsanwaltschaft ermitteln wegen Bandendiebstahls.
„Sie haben das offenbar als sicheres Zubrot gesehen“, sagt Natalie Zarazik. „Die haben gemeint, dass wir das gar nicht spüren.“ Die dreisteste Mitarbeiterin kassierte neben ihrem Gehalt plus Trinkgeld auf diese Weise noch rund 50.000 Euro zusätzlich – selbstverständlich unversteuert.
So zockte die Bande die Wirtefamilie ab: Wie Natalie Zarazik der AZ auf Anfrage bestätigt, machte die sogenannte „Schaumtaste“ den Diebstahl möglich. Sie erlaubt es den Kellnern, für frischen Schaum auf dem Bier zu sorgen, wenn beispielsweise Lufteinschlüsse im Zapfhahn oder in der Leitung das Glas nicht komplett gefüllt haben, im Keller ein Fass zu Ende geht oder der Schaum einfach zusammengefallen ist.
„Es ist nicht etwa so, dass beim Drücken dieser Taste nur Schaum herauskommt – es ist einfach eine kleine Menge Bier“, erklärt die Junior-Chefin. „In manchen Gaststätten rühren die Kellner mit einem Strohhalm herum oder schütten Bier zusammen, damit es wieder schäumt – so etwas gibt es bei uns nicht.“ Das Problem: Die Wirtefamilie kontrollierte den Gebrauch der Schaumtaste nicht. Er tauchte auch nicht auf den Rechnungen auf.
„Sie haben die Schaumtaste 15 Mal gedrückt“
Das nutzten die Kellner schamlos aus. Offenbar waren alle, die an der Bar im vorderen Bereich der Gaststätte arbeiteten, eingeweiht. „Sie haben die Schaumtaste 15 Mal nacheinander gedrückt, dann war eine Halbe voll. Und die haben sie schwarz verkauft – also ohne Bon, das Geld haben sie in die eigene Tasche gesteckt“, sagt Natalie Zarazik.
An der Bar, wo Gäste sich häufig nur für ein, zwei Bier niederlassen, verlangt kaum jemand einen Bon – ideale Voraussetzungen für die schwarze Kasse. „Am Tisch, wo die Gäste auch etwas essen, wäre es sehr schnell aufgefallen“, so Natalie Zarazik zur AZ.
Doch so blieb der dreiste Bierdiebstahl jahrelang unentdeckt. Weder der Wirtefamilie noch den Gästen fiel der exzessive Gebrauch der Schaumtaste auf. Die Halbe kostet im Paulaner im Tal 4 Euro, hochgerechnet zapften die kriminellen Mitarbeiter innerhalb von fünf Jahren unbemerkt rund 50.000 Helle oder 25.000 Liter Paulaner heimlich ab.
Das entspricht einer Menge von etwa 125 Badewannen (à 200 Liter) voller Bier.
Warum fiel der Wirtefamilie der Bierschwund nicht auf? Putzi Holenia, seine Frau Ingrid und Tochter Natalie bekamen es jahrelang nicht mit, dass sie von ihrem eigenen Personal bestohlen wurden.
„Wir haben 1000-Liter-Tanks im Keller. Das macht es unmöglich, den genauen monatlichen Verbrauch zu erfassen. Die Leitungen werden täglich gereinigt, allein dabei gehen jedes Mal etwa 20 Liter verloren. Auch bevor die Tanks gereinigt und neu befüllt werden, geht Bier verloren. Ein gewisser Schwund ist normal. Das Problem gibt es in allen größeren Wirtshäusern“, erklärt Natalie Zarazik.
Am Wochenende floss am meisten Geld in die schwarze Kasse
Rein rechnerisch zapften und verkauften die Kellner pro Tag etwa 28 Helle heimlich. Tatsächlich waren es an den Wochenenden deutlich mehr, an eher ruhigen Tagen wie Dienstag oder Mittwoch weniger.
Einige der Beschuldigten haben den Bandendiebstahl gestanden. Die Wirtefamilie hat allen Verdächtigen fristlos gekündigt.
Bis sie sich wegen Bandendiebstahls vor Gericht verantworten müssen, werden noch Monate vergehen. „Vor dem Frühjahr ist nicht damit zu rechnen, dass Anklage erhoben wird“, sagt Judith Henkel, Sprecherin der Staatsanwaltschaft.
Jetzt haben die Wirte die Zapfanlage umprogrammiert
Inzwischen ist der Schaumtasten-Trick im Paulaner im Tal so nicht mehr möglich. Die Wirtefamilie hat die Software der Zapfanlage so programmiert, dass genau erfasst wird, wie oft die Taste gedrückt wird.
Da jeder Kellner die Schankanlage nur mit seinem Kellner-Schlüssel (einem Magnetstift), bedienen kann, weiß das System folglich auch, wer die Taste auffällig häufig drückt.
Und auch für die Gäste gibt’s mehr Transparenz: Der Posten „Schaumtaste“ erscheint nun sogar schwarz auf weiß auf dem Bon.