Keine Lust auf's Radl: Dieser Münchner schwimmt zur Arbeit

Verstopfte Radwege und qualmende Abgase: Der Münchner Benjamin David versucht, herkömmliche Verkehrswege zu vermeiden. Die Konsequenz: Auf dem Weg zu
von  Klara Weidemann, dpa
Mit dem wasserdichten Beutel transportiert er seine Klamotten.
Mit dem wasserdichten Beutel transportiert er seine Klamotten. © dpa

Verstopfte Radwege und qualmende Abgase: Der Münchner Benjamin David versucht, herkömmliche Verkehrswege zu vermeiden. Die Konsequenz: Auf dem Weg zur Arbeit schwimmt der 40-Jährige die Isar entlang.

München - Seit Ende März steht ein Zähler auf der Münchner Ludwigsbrücke. An ihm kann man ablesen, wie viele Radlfahrer vorbeikommen. Im April stand er meist bei rund 300 pro Tag, an warmen Sommertagen zeigt er bereits am Nachmittag über 1000 an. Die Straßen sind voll: Autofahrer hupen genervt, Radlfahrer treten gehetzt in die Pedale. "Gerade auf dem Isar-Highway erlebe ich eine unglaubliche Aggressivität zwischen Radlern, Autofahrern und Fußgängern", sagt der Münchner Benjamin David. Er versucht, dem Trubel zu entgehen - und hat deshalb nach alternativen Verkehrswegen gesucht, um zu seiner Arbeitsstelle zu kommen.

Vor knapp zwei Jahren dann die Idee: Pendeln mithilfe der Isar. Der 40-Jährige, Gründer und Sprecher der Urbanauten, "einer kleinen Denkfabrik für Kultur und Kommerz im öffentlichen Raum", schwimmt seither regelmäßig vom Flussufer vor seiner Wohnung am Baldeplatz rund zwei Kilometer an den Kulturstrand am Deutschen Museum. Sein Fahrzeug ist ein sogenannter Wickelfisch, eine wasserdichte Transporttasche, in der sich problemlos Anzug, Hemd und Laptop durch den Fluss befördern lassen. Wie eine Boje schwimmt sie auf dem Wasser - so kann sich David gemütlich auf dem Beutel die Isar runtertreiben lassen. Zurück geht es dann zu Fuß oder mit den Öffentlichen.

Nur wenn der Isarpegel über 1,20 Meter liege, verzichtet David auf den Schwimmweg: "Ich bin schließlich Familienvater." Und wenn das Wasser im April gerade mal zehn Grad warm sei, müsse er einen Neoprenanzug tragen. Temperatur und Pegel der Isar checkt er täglich online. Bei jedem Besuch außerdem mit dabei: Badesandalen zum Schutz der Füße. "Die Leute werfen alles Mögliche ins Wasser, sogar Fahrräder", erklärt er. An diesem Nachmittag umschwimmt er Wahlplakatständer und Treibholz. "Trotzdem: Das Isarwasser ist fast so sauber wie das aus der Leitung", betont er.

Auf dem Weg treibt David unter vier Brücken hindurch. Oben bleiben häufig Menschen stehen und winken. Als Organisator von Kulturprojekten macht er sich viele Gedanken darüber, wie öffentlicher Raum genutzt werden soll. "Ich würde mich freuen, wenn mehr Menschen auf die Isar umsteigen", sagt David. Bisher erhalte er nur positive Resonanz. Mehrmals bleibt David im seichten Wasser stehen und zeigt auf verschiedene Gebäude: Dort, das Flachdach des Europäischen Patentamtes. Viel ungenutzter Platz, der öffentlich genutzt werden sollte. Da, der Turm des Deutschen Museums, für unangemeldete Besucher momentan geschlossen. Verschwendete Fläche, findet David.

David wünscht sich offentliches Schwimmbad in der Isar

Er durchstreift auf seinem Arbeitsweg nicht nur das moderne München: Die Strecke gleicht einer Führung durch die Geschichte der Landeshauptstadt. An einer Stelle sind am Flussufer die alten Anlegestellen eines historischen Ruderbootverleihes aus dem 19. Jahrhundert zu erkennen. An einem anderen Uferstück ragen Haken aus einer Mauer, wo in den vergangenen Jahrhunderten wohl Flöße festgebunden waren. Entscheidend für die Entwicklung Münchens, das aufgrund des Floßverkehrs vom Dorf zur Handelsmetropole wurde.

Zwischen Cornelius- und Boschbrücke hält David an: Momentan kämpfen er und seine Urbanauten-Kollegen dafür, hier ein Flussbad zu errichten. "Der Flaucher und der Englische Garten brauchen dringend ein Ventil." Ein natürliches Schwimmbad mitten in der Isar, das offen für alle ist und keinen Eintritt kostet, soll andere Bäder entlasten. Am 9. Juli findet in München das sogenannte Isartreiben statt, eine "Demo im Wasser", wie David es nennt. Dabei werden mehr als 200 Leute für ein Flussbad demonstrieren - und nebenbei durch die Isar treiben.

Vom Grundsatz her keine neue Idee: In Städten wie Zürich haben Flussbäder eine teilweise 100-jährige Tradition. Ebenfalls in der Schweiz hat sich das Fluss-Pendeln zum Trend entwickelt. In Basel etwa nutzen viele Menschen den Rhein, um samt Wickelfisch in die Arbeit oder nach Hause zu kommen. Nicht ohne Grund hat ausgerechnet ein dortiges Start Up den wasserdichten Beutel entwickelt. Nun breitet sich die praktische Schwimmhilfe immer weiter aus - auch nach Bayern.

Wem gehört die Stadt? David reizt die Grenzen aus. Am letzten Abschnitt seines Arbeitsweges, kurz vor der Ludwigsbrücke, ist Schwimmen offiziell nicht erlaubt. Dort ist das Wasser besonders ruhig und klar. "In München erleben wir eine wahnsinnige Verdichtung", sagt David. 30 000 Menschen zögen inzwischen jährlich in die Metropole. Im Wasser merkt er davon nicht viel. Als David am Flussufer Obdachlose entdeckt, die sich im Gebüsch Unterkünfte aus Europaletten gebaut haben, winkt er freudig hinüber.

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