Kein Vorkaufsrecht mehr: Der Stadt München sind 84 Häuser durch die Lappen gegangen

Seit zwei Jahren hat die Stadt München kein Vorkaufsrecht mehr. 84 Häuser hätte man in dieser Zeit retten können. Die Mieter spüren die Folgen. In der AZ spricht ein Betroffener.
von  Christina Hertel
Diese 84 Häuser hätte die Stadt kaufen können. Die roten symbolisieren besonders große Wohnblöcke.
Diese 84 Häuser hätte die Stadt kaufen können. Die roten symbolisieren besonders große Wohnblöcke. © Die Linke

München - Die ganze Geschichte, wie er hoffte, wie er sich sorgte und schließlich resignierte, beginnt für Christian Michl mit einem Brief. Absender ist Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Er schreibt, dass das Haus in Schwabing, in dem Christian Michl seit fast 15 Jahren lebt, verkauft wurde. Und, dass die Stadt versuchen werde durch ihr Vorkaufsrecht das Gebäude zu erwerben.

Schnell folgte die Enttäuschung: Denn damals, im Sommer 2022, als die Post aus dem Rathaus bei Michl eintrudelte, konnte die Stadt ihr Vorkaufsrecht schon längst nicht mehr in dem Rahmen ausüben, in dem sie es gewohnt war.

Etwa ein Dreivierteljahr zuvor hatte das Bundesverwaltungsgericht geurteilt, dass Kommunen nur in Ausnahmefällen ein Vorkaufsrecht zusteht: Wenn ein Haus zu großen Teilen leer steht. Oder, wenn es sich um eine Schrottimmobilie handelt. Nur in diesen Fällen kann eine Kommune in einen abgeschlossenen Kaufvertrag anstelle des Käufers eintreten. Sie muss dann nicht den vereinbarten Verkaufspreis zahlen, sondern nur den Verkehrswert. Bedingung ist außerdem, dass das Gebäude in einem Gebiet steht, in dem die Stadt eine Erhaltungssatzung erlassen hat.

Laut Gesetz: Stadt München darf nur noch "Schrottimmobilien" kaufen

Christian Michl lebt in keiner Schrottimmobilie, sondern, wie er sagt, in einer "großzügigen, schönen Altbauwohnung an der Schleißheimer Straße, in einem Haus, das einst ein berühmter Architekt entworfen hat". Es steht sogar unter Denkmalschutz.

Über 90 Wohnungen liegen in der Anlage. Die Bewohner gründeten eine Mietergemeinschaft, wandten sich an die Presse, reisten gemeinsam mit dem Mieterverein nach Berlin und besuchten die Fraktionen im Bundestag.

Denn der müsste ein Gesetz ändern, damit Kommunen ihr Vorkaufsrecht wieder zurückbekommen. Geändert hat sich seitdem allerdings nichts. Die FDP in der Ampelregierung wehrt sich gegen eine Gesetzesänderung.

Und während die Zeit verstreicht - genau zwei Jahre sind inzwischen seit dem Gerichtsurteil vergangen - spüren Münchner Mieter die Folgen. 84 Häuser und Wohnblöcke konnte die Stadt seit November 2021 nicht erwerben. Darin liegen 1.300 Wohnungen. Über 2.000 Mieter leben darin, so schätzt es Die Linke.

Angst unter Münchnern: Sich im Alter die Mietpreise nicht mehr leisten zu können

Einer dieser Mieter ist Christian Michl, 63 Jahre alt, ein Sozialpädagoge. Am Telefon sagt er immer wieder, dass er nicht irgendwann rausziehen mag aus München, der Stadt, in der er geboren wurde. Aber womöglich muss er das eines Tages.

Über seinen neuen Vermieter will Michl zwar nicht schimpfen. Er habe, so weit er das weiß, niemanden aus seiner Wohnung gegrault, keine unfairen Methoden angewandt, um Wohnungen luxusmäßig zu sanieren und überteuert zu vermieten. Aber Michl glaubt auch, dass der neue Eigentümer - anders als die Stadt - eine Rendite machen muss.

Mieten erhöhen um 15 Prozent: Rechtlich ist das möglich

Und tatsächlich habe der neue Eigentümer die Miete sofort um 15 Prozent erhöht. Rechtlich sei das zulässig. "Aber, wenn das die nächsten Jahre so weiter geht, kann ich mir die Wohnung irgendwann nicht mehr leisten", sagt Michl. "Besser könnte ich schlafen, wenn die Stadt das Haus gekauft hätte." Der Politik in Berlin macht Michl deshalb Vorwürfe: Statt Probleme zu lösen, sei alles ein einziges parteipolitisches Geschacher. "Es ist grauenvoll", sagt Michl. "Ein Tag in Berlin hat gereicht, um das zu verstehen."

Vorkaufsrecht von Gericht gekippt: Bundesregierung hat immer noch kein neues Gesetz verabschiedet

Von dem Stillstand ist auch Die Linke frustriert. "Zwei Jahre sind nun vorbei und nichts bewegt sich", sagt die Münchner Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke. Aus ihrer Sicht zeigt das deutlich: "Die Worte der SPD, die Wiederherstellung des Vorkaufsrechts mit absoluter Priorität zu verfolgen, waren nichts als leere Versprechen." Die Linke legte einen Gesetzesentwurf vor. Doch die Ampel lehnte diesen ab. Gohlke findet deshalb: "SPD und Grüne dürfen sich nicht weiter hinter der FDP verstecken. Sie müssen Farbe bekennen, ob sie wirklich Politik im Sinne der Mieterinnen und Mieter der Millionenstadt München machen wollen oder nicht."

Stefan Jagel, der Chef der Linken im Rathaus, ist von seinen grün-roten Stadtratskollegen enttäuscht: "Ich erwarte, dass sie ihre Bundestagsfraktionen so lange nerven, bis wir endlich wieder das Vorkaufsrecht haben."

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