Kein Spaß: Eine Nacht mit den Tunnel-Testern

Blitze, Risse und viel Dieselstaub: Sobald die letzte S-Bahn durch ist, wird zur Zeit die Stammstrecke geprüft. Ein Ortstermin.
von  Anja Perkuhn
Hammerhart: Erwin Bachschmid prüft die Rahmenwand.
Hammerhart: Erwin Bachschmid prüft die Rahmenwand. © Petra Schramek

München – Der Boden vibriert, die Luft riecht nach Staub und Diesel. Zwei rote Punkte glimmen im Halbdunkel, wie die Augen eines trägen, riesigen Erdwurms – das Inspektionsfahrzeug mit Hebebühne schleicht übers Gleis 2. Es blitzt grün, als die S8 im darüberliegenden Tunnel vorbeirauscht.

Dann beginnt das Klopfen, Metall auf Beton. Es beginnt die Suche nach Hohlstellen, Rissen, Fehlern.

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Seit Mitte Januar steht der Tunnel der S-Bahn-Stammstrecke unter besonderer Beobachtung. Weil die eine zuglose Stunde pro Nacht nicht ausreicht, wird die Röhre zwischen Hackerbrücke und Isartor an Werktagen von 23.45 bis 4.50 Uhr gesperrt und inspiziert. 43 Nächte lang.

Bei dieser Inspektion ist die Tunnelschale dran – also die Wand – und gefundene Schwachstellen werden dann ausgebessert. Alle sechs Jahre steht das an. Außerdem kümmert sich das Team noch um kleinere Arbeiten, die parallel erledigt werden können, wie Fugenabdichtung oder der Austausch der Elektranten – autarker Stromlieferanten etwa für die Leuchtsignale oder das Funksystem.

„Ob was mit dem Beton nicht stimmt, sehe ich schon ohne Klopfen“

Mit Hämmerchen klopfen die Männer die graue Betonwand noch in Sichtweite vom Bahnsteig am Marienplatz ab. Nicht Zentimeter für Zentimeter, sondern etwa jeden halben Quadratmeter. Einige pochen am Boden, andere weiter oben, auf der Hebebühne des Tunnel-Inspektions-Fahrzeugs. Die Decke muss natürlich auch geprüft werden, und die ist teilweise zehn Meter hoch.

Im Schritttempo arbeitet sich die Klopf-Karawane so Richtung Westen voran. Bis Mitte März sollen die mehr als vier Kilometer begutachtet worden sein.

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„Ob was mit dem Beton nicht stimmt, sehe ich eigentlich schon ohne Klopfen“, sagt Erwin Bachschmid, ein grauhaariger Mann, der seine Brille bei der Arbeit mit einem Halteband sichert. Seit 1996 ist er Streckenprüfer bei der Deutschen Bahn; die DB Regio Bayern ist für den S-Bahn-Tunnel zuständig. „Mit der Zeit sieht man dann an Eindellungen oder kleinen Rissen schon, ob der Stahl im Beton rostet“, sagt Bachschmid. Ein jüngerer Kollege ergänzt: „Zwei getrennte Betonscheiben scheppern, wenn man sie abklopft. Wie eine Fliese vor einem Hohlraum im Bad.“

Wenn es scheppert, malt man mit gelber Kreide ein „H“ daran, für „Hohlraum“. Das Sanierungs-Team füllt den dann mit einem Harzgemisch auf. Risse werden vermessen, markiert und später verspachtelt.

70 bis 80 Arbeiter in drei bis vier Teams sind pro Nacht an der Strecke – heute zwischen Isartor und Marienplatz sowie Hauptbahnhof und Hackerbrücke. Nicht alle im Tunnel selbst: Da für die Arbeiten die stromführende Oberleitung ausgeschaltet wird, verwendet das Prüfteam dieselbetriebene Fahrzeuge. Da die wiederum beim Fahren Dieselstaub ausstoßen, ist auch die Brandschutzanlage des Tunnelsystems deaktiviert. Deshalb patrouillieren Brandwachen an den Stationen.

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Gutachter Uwe Birkert, ein gemütlicher Typ mit Karohemd unter der orangefarbenen Warnweste, inspiziert die Stammstrecke zum ersten Mal, seit er den Job übernommen hat. „Ich hatte es mir schlimmer vorgestellt“, sagt Birkert. „Für seine Größe und seine immerhin 40 Jahre ist der Tunnel gut in Schuss, es gibt nur punktuelle Schäden. Haben wir im Griff.“

Um 4.50 Uhr heißt es: „Alle aus dem Gleis!“ Dann fährt wieder die erste Bahn. Am 23. März soll alles erledigt sein. Und mit dem Frühling bricht auch die tunnelfreie Saison für die Arbeiter an. „Drei Monate in der Dunkelheit belasten schon“, sagt Erwin Bachschmid. „Da ist es gut, wenn es wieder rausgeht.“ Um an Brücken und anderen Bauten zu klopfen.

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