Kein Karstadt mehr - und jetzt? Ein Rundgang in Schwabing

München - Ein bisschen absurd ist das ja schon, wenn jetzt auf einmal fremde Leute in seinen Laden kommen und nach einer Butterdose fragen. Oder neuen Geschirrtüchern. Oder einem Gehstock. Das sei ja hier ein Antiquitätengeschäft. Für "Vintage Design".
Andererseits, sagt Alexander Kaspar und dreht sich vorsichtig einmal um sich selbst, damit keins seiner 50er-Jahre-Gläser und keine der orangeroten Hängelampen aus den 70ern aus den Regalen fällt. "Andererseits, wenn ich lange genug nachdenke, finde ich dann doch was, was die Leute so ähnlich suchen. Eigentlich sogar was noch viel Schöneres." Seit gestern gehe das schon so in seinem Laden "Das Inventar" an der Elisabethstraße 49. Die Kundin vorhin habe dann eben die Vintage-Geschirrtücher genommen. Leinen, handbestickt. Um 1920.

Es ist Dienstagmittag, drei Tage nach dem bedrückenden Samstag, an dem das Warenhaus Karstadt am Nordbad, nur ein paar Schritte vom "Inventar" entfernt, für immer seine Türen geschlossen hat. 53 Jahre ist es der Ort gewesen, an dem man hier auch kurz vor 20 Uhr noch schnell eine Stricknadel kaufen konnte, erstklassigen Wein, ein paar Schuhe oder eine Glühbirne. Der Ort, an dem die Älteren im Viertel sich beim Einkaufsbummel die Zeit vertrieben. Wo man sich traf, im Untergeschoss, in einer exzellenten Feinkost- und Fischabteilung.
Abschiedsplakat von Kunden für Karstadt am Nordbad

Das Abschiedsplakat mit kleinen Texten dankbarer Kundschaft vor dem Haupteingang ist seit Samstag um zwei Din-A2-Blätter größer geworden. "Wo soll der Sascha denn jetzt im Advent Akkordeon spielen?", hat dort jemand mit schwarzem Edding dazugeschrieben.
Das Cotidiano immerhin, ein Restaurant neben der Eingangstür, darf noch geöffnet bleiben. Vier Tische draußen, von knapp 20, sind besetzt. Natürlich spüren sie das hier, dass das Kaufhaus zu ist, "gestern hat am Nachmittag schon die Hälfte der Gäste gefehlt", sagt die Kellnerin, "keine Ahnung, wie das jetzt weitergeht."

Ein Frauen-Trio sitzt dort mit Cappuccino und Apfelschorle. Die Frauen lachen, aber irgendwas, das sich nach Phantomschmerz anfühlt, umgibt ihren Tisch. Sie sind nicht zufällig Verkäuferinnen hier gewesen? Doch, sagen sie, sind sie. 43 Jahre war Corina Hieber (58) bei Karstadt angestellt, ihre Kollegin Katja Kajfes (64) fast genauso lang, in der Lebensmittelabteilung und beim Fisch. Was kommt also jetzt?
Corina Hieber hat einen neuen Job, Katja Kajfes geht nun eben früher in Rente als geplant. Sie könne das für sich selber inzwischen positiv sehen, sagt sie. "Aber schlimm ist, dass die Stammkunden unsere tollen Frischetheken nicht mehr haben. Wo sollen die denn jetzt hin, wenn sie frischen Fisch haben möchten?"

Metzgerei Köck: Fischfilet statt Käse
Genau das hat sich, 150 Meter weiter südlich an der Schleißheimer Straße 83, Metzgermeister Martin Köck (55) in seiner "Metzgerei Liedl" auch gefragt, und das Nachdenken ist in die Idee gemündet, seine Käsetheke auszuräumen. Da liegt nun ein formidables Lachsfilet, daneben Rotbarsch und appetitliche Garnelen. Nur herumsprechen müsse sich das noch im Viertel. Die Karstadt-Kunden seien "herzlich willkommen" bei ihm. Sowieso werde immer weniger Fleisch gekauft, "so viele Singlehaushalte, so viele Vegetarier, oh mei."
Auch der Warenhaus-Friseur ist mit dem Karstadt verschwunden. Gut für den "Lilien Friseur" draußen, schräg gegenüber? Ein bisschen wie aus der Zeit gefallen wirkt der Laden an der Schleißheimer 122 mit seinem Kamm-und-Schere-Logo und silbrig schimmernder Tapete hinter den Spiegeln.

Friseurmeister Adnan Weli (50) bleibt eine Weile still, bevor er antwortet, legt seine Schere beiseite und führt aus seinem Geschäft hinaus, vors Schaufenster. Er hat dort nicht nur Frisurenfotos hindekoriert. Sondern neben der Eingangstür, auf Kindernasenhöhe, eine Ansammlung quietschbunter Wackelfiguren. Frösche, Sonnenblumen, rosa Schweinchen. Die tänzeln solarbetrieben so lustig herum, "wir haben jeden Tag ganze Versammlungen von Kindern hier", sagt Weli lächelnd. "Das bringt mir mehr Menschen als der Karstadt. Immer schon war das so."
Weli hofft auf etwas anderes als abwandernde Kaufhauskunden. "Wenn dort der Neubau kommt mit Büros, das wird Kundschaft bringen. Ich glaube, das wird sehr gut."
Karstadt: Protestliste gegen die Neubauplanung
Aber wer weiß das schon? Eine dreistöckige 24-Stunden-Tiefgarage plant der Bauherr, der den Karstadtklotz ja bald abreißen will, darüber Büros für 1000 Leute, keine Wohnungen, dafür eine Kita - ohne eigene Grünfläche. Beim "La Cantina"-Laden von Barbara Markus ums Eck in der Elisabethstraße, den man mal gesehen haben muss mit seiner wundersamen Mischung aus Edelweinen, Antiquariat, alten Klunkern und italienischer Feinkost, liegt draußen, am Cafétisch, eine Protestliste gegen die Neubauplanung aus, die ein Nachbar dort hingelegt hat.

Vier Unterschriften sind drauf. Sie wisse auch noch nicht, was sie davon halten soll, sagt die Ladenchefin mit den auffällig kupferroten Locken. Sie sei verunsichert von der ganzen Situation. Die Karstadt-Laufkundschaft sei ja erkennbar weg, so viele Parkplätze sind auf einmal leer seit dem Wochenende. Ein älteres Nachbar-Pärchen, beide Mitte 80, erzählt sie, habe sich jetzt zum ersten Mal ein MVV-Monatsticket gekauft, weil nun beide täglich zum Karstadt am Hauptbahnhof fahren wollen, dieses Bummelerlebnis, das sie so mögen, gebe es halt nur in einem Kaufhaus.
Aber einer ihrer Lieblingskunden, ein Hochschullehrer, kaufe jetzt viel mehr bei ihr als zuvor. Gerade spaziert er mit zwei Einkaufstüten vom Rewe nebenan bei ihr vorbei, froh schaut er nicht aus. "Also wenn man Trüffel will oder einen 100-Euro-Wein aus Neuseeland, wie's den bei der Karstadt-Feinkost gab", sagt er, dann kommt man im Supermarkt nicht weit. "Aber dafür hab ich ja noch die Frau Markus, gell?" Er lächelt, füllt seine Taschen mit ein paar Gaumentratzerln und spaziert, an Alexander Kaspars "Inventar"-Laden vorbei nach Hause.
Übrigens, dort steht jetzt ein bemerkenswertes Stück Vintage im Laden: ein Mosaik, 1,86 Mal 1,16 Meter groß, orange und hellblau im Grundton, mit zwei riesigen Fischen drauf. Man wagt kaum, zu fragen, da lächelt der Ladenchef schon wie ein kleiner Bub und sagt: "Hab ich am Schluss noch dem Karstadt abgekauft." Das Mosaik war, wie ein Wahrzeichen, all die Jahre in der Fischabteilung im Untergeschoss gehangen. Jetzt kann man's hier kaufen. Man sollte das dem Metzgermeister vom Metzger Liedl drüben vielleicht mal sagen.