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Kaum freigelassen: Klima-Kleber versuchen es am Nachmittag wieder

Aktivisten blockieren die Sonnenstraße erneut. Polizisten nehmen zehn Personen fest. Den Klima-Klebern droht über Weihnachten ein Aufenthalt in der JVA. Gegen sie wird wegen Nötigung ermittelt.
von  Ralph Hub
Kurz vor neun Uhr war die Klebe-Aktion der Klimaaktivisten der "Letzten Generation" am Stachus in München am Dienstag, 20.12.2022 beendet.
Kurz vor neun Uhr war die Klebe-Aktion der Klimaaktivisten der "Letzten Generation" am Stachus in München am Dienstag, 20.12.2022 beendet. © Ralph Hub

München - Mehreren Aktivisten der Letzten Generation gelingt es trotz des Polizeiaufgebots am Stachus, sich am Dienstagmorgen wie zuvor angekündigt auf der Sonnenstraße festzukleben. Insgesamt führen die Beamten zehn Personen ab. Einigen drohen bis zu 30 Tage Gewahrsam in Stadelheim.

Ablenkungsmanöver der Klima-Kleber funktioniert

Kurz nach 8 Uhr taucht eine Gruppe Aktivisten mit Transparenten an der Trambahnstation am Stachus auf. Sie rufen: "Wir machen weiter, auch über Weihnachten." Sofort werden sie von mehr als einem Dutzend Polizisten umringt.

Ein Ablenkungsmanöver, nur einen Katzensprung entfernt an der Kreuzung zur Schwanthalerstraße nutzen zwei Klimaaktivisten sofort die Gelegenheit. Sie laufen zwischen Autos auf die Sonnenstraße und setzen sich hin. Polizisten sprinten los, doch sie kommen zu spät. Ein Mann klebt seine rechte Hand blitzschnell am Asphalt fest, die andere reicht er seiner Mitstreiterin.

Aktivistin Beadle: "Ich bin bereit, auch ein drittes Mal in die JVA zu gehen"

"Ich sehe keine andere Möglichkeit als den Protest, wenn unsere Kinder noch eine lebenswerte Zukunft haben sollen", sagt Judith Beadle. Die 42-Jährige ist Mutter zweier Kinder.

Die Polizei leitete den Richtung Innenstadt fließenden Verkehr auf Höhe der Josephspitalstraße in die Landwehrstraße ab.
Die Polizei leitete den Richtung Innenstadt fließenden Verkehr auf Höhe der Josephspitalstraße in die Landwehrstraße ab. © hub

An einer Blockade auf der A9 und einer am Münchner Flughafen hat sie teilgenommen. Deshalb saß sie bereits zweimal im Polizeigewahrsam in der JVA Stadelheim. Erst am vergangenen Samstag kam sie wieder frei. "Ich bin bereit, auch ein drittes Mal in die JVA zu gehen", sagt sie. "Auch wenn ich über Weihnachten lieber bei meinen Kindern wäre."

Mehrere Autos und Lastwagen schlängeln sich knapp an den Aktivisten vorbei

Zwei Schüler kommen vorbei. Sie kennen die Aktivistin aus Twitter-Videos. "Die Judith hat echt Mumm, die traut sich was", sagt der eine bewundernd zum anderen. Eine weitere Frau kniet sich auf den Asphalt. Sie legt ein Transparent vor sich, ohne sich aber festzukleben.

Trotz der Polizeipräsenz schaffte es eine dritte Aktivistin, sich auf der Straße festzukleben.
Trotz der Polizeipräsenz schaffte es eine dritte Aktivistin, sich auf der Straße festzukleben. © hub

Die Autofahrer finden die erneute Blockade mitten im Berufsverkehr überhaupt nicht witzig. Einige schimpfen. Mehrere Autos und Lastwagen fahren einfach weiter, schlängeln sich knapp an den Aktivisten vorbei, die mitten auf der Fahrbahn hocken.

Ein Mann ruft den Aktivisten zu: "Tut’s was fürs Klima. Geht’s lieber arbeiten!"

Polizisten geben den Fahrern Handzeichen, sorgen dafür, dass die Umweltschützer nicht verletzt werden. Die Beamten sperren schließlich den Bereich, der Verkehr wird umgeleitet. "Zupft’s de obe", krakeelt ein dicklicher Herr am Gehweg. "Weihnachten in Sankt Adelheim", jubelt er. Man spürt, er würde gerne Hand anlegen, die Blockierer selbst wegzerren. Den Aktivisten ruft er zu: "Tut’s was fürs Klima. Geht’s lieber arbeiten!"

Zwei Fensterputzer gesellen sich zu den Schaulustigen. "Wir sind mit dem Auto gerade noch durchgekommen", erzählen sie. Ihr Job beginnt um 9.30 Uhr, genug Zeit, zurückzukommen und sich das Spektakel aus der Nähe anzusehen. "Diese Blockaden bringen doch nichts", sagt der eine genervt. Der Kollege nickt zustimmend.

"Kein Widerstand", ruft ein Unterstützer

Im selben Moment betritt ein vierter Aktivist die Fahrbahn. Der Klebstoff pappt schon an der linken Hand. Doch zwei Polizisten sind schneller, sie schnappen sich den Mann und zerren ihn auf die Verkehrsinsel in der Mitte der Sonnenstraße.

"Kein Widerstand", ruft ein Unterstützer. Die Beamten führen den Kleber rüber zur Hausbank München, wo sie den Aktivisten filzen und seine Personalien aufnehmen. Eine junge Frau, die kurz vorher an der Trambahnhaltestelle war, nutzt die Gelegenheit und schmiert sich Kleber auf die Hand. Sofort wird es hektisch, die Brille rutscht ihr von der Nase, aber sie hat es geschafft, ihre rechte Hand klebt fest.

"Letzte Generation" will sich von Geldstrafen "nicht einschüchtern" lassen

Keine zwei Meter daneben sitzt Judith Beadle noch immer auf dem eiskalten Asphalt. Ein Mann reicht ihrem Mitstreiter einen Becher mit heißem Tee. Dann steht er auf, klopft dem Aktivisten auf die Schulter. Ein Polizist fragt nach den Personalien, doch der Sympathisant reagiert nicht, geht weiter.

Judith Beadle hat sich inzwischen mit ihrer linken Hand festgeklebt. Eine Polizistin durchsucht ihren Rucksack, dann ihre Kleidung. Die Aktivistin hält die Augen geschlossen. Sie scheint die Ruhe selbst.

Kurz nach 15 Uhr blockieren erneut neun Personen die Sonnenstraße

Als die 42-Jährige schließlich von Polizisten weggetragen wird, applaudieren ihr zwei Passantinnen. Polizisten führen insgesamt zehn Personen ab, vier Frauen und sechs Männer. Einigen von ihnen wird Nötigung und ein Verstoß gegen die Allgemeinverfügung der Stadt vorgeworfen, die Klebeaktionen bis zum 8. Januar in München verbietet.

Den Klebern droht ein Bußgeld, die Polizei würde gerne von jedem mindestens 250 Euro kassieren fürs Ablösen vom Asphalt.
Am Nachmittag werden drei auf freien Fuß gesetzt. Kurz nach 15 Uhr tauchen neun Personen wieder am Stachus auf, um die Sonnenstraße erneut zu blockieren.

Drei werden beim Versuch von der Polizei daran gehindert, einem Aktivisten gelingt es, sich am Asphalt festzukleben. Er wird von Polizisten losgelöst und zusammen mit den anderen abgeführt.

Ein Richter entschied später, dass zwei Aktivisten entlassen werden, vier weitere bleiben vorerst auch am Abend in Gewahrsam. Auch Judith Beadle ist bis zum späteren Abend noch im Gewahrsam.

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