Kaufhof am Stachus: Eine besondere (Einkaufs-) Geschichte

München - Draußen vor dem "Nuihauser Tor", am Westende der Stadt, war freies Land. Gerade mal gut für das Hochgericht, also den städtischen Galgen, für ein paar Salzstadel und für ein frühes Freizeitleben.
Wo heute der Justizpalast protzt, übten schon im Mittelalter die Armbrustschützen mit ihren stachelbewehrten Schießprügeln und bisweilen mit einer Kanone, die sie "große Büx" oder auch "Stachlerin" nannten. Ihre Wettbewerbe und Vorführungen waren ähnlich beliebt wie heutige Fußballspiele.
Seit 1710 gehörte eines der einzeln stehenden Häuser, genau an der Stelle des jetzigen Kaufhofs, einem gewissen Valentin Föderl, welcher bei der kurfürstlichen Verwaltung im Dienst stand. Er besaß, genehmigt von seinem Arbeitgeber, eine "weiße Bierschankgerechtigkeit". Das heißt: Er hätte Weißbier ausschenken dürfen. Durfte er aber zunächst nicht. Noch galt nämlich ein Verbot des kurfürstlichen Hofrats, vor dem Neuhauser Tor eine Bierzäpferei zu betreiben.
Erst am 1. Februar 1724 erteilte die Aufsichtsbehörde dem kurfürstlichen Vogelwaidmann Antoni Föderl, einem Sohn ihres ehemaligen Angestellten, die Ausschankgenehmigung auf dem Platz. Bald flossen Bier und Wein in Strömen und weitere Tavernen taten sich auf, die die durstigen Schützen ebenso wie Ausflügler aus Dachau bedienten.
Vom Stacherlgarten zum Stachus?
1728 übernahm der Bruder des Wirts, Mathias Eustachius Föderl, den Gastbetrieb. 1734 fiel ihm der Besitz von Maria Katharina Schmuck zu. Sein Wirtshaus hieß im Volksmund bereits "Stachusgarten" oder "Stacherlgarten". Weißbierwirtin Schmuck verkaufte das Anwesen für 2000 Gulden an den Weißbierzapfer Thomas Kemmeter, seine "Kemmeter Wirtschaft" ist auf dem damaligen Stadtplan eingezeichnet. Offiziell ist am 26. April 1737 im Ratsprotokoll erstmals ein "Stachusgarten mit Wirtshaus" erwähnt. Mit dem Zusatz, dass der Name Stachus für den ganzen Platz gebräuchlich sei.
Nun würde sich alles so schön zusammenreimen: der Wirt Eustachius, der Stacherlgarten und der Stachus. Wenn nicht der regierungsamtliche Archivar Felix Lipowsky im Jahr 1815 in einer Chronik zur "Urgeschichte Münchens" festgestellt hätte, dass die volkstümliche Bezeichnung des Platzes auf die Stachelschützen zurückzuführen sei. Diese Interpretation übernahmen fortan viele Stadthistoriker, während die meisten bis heute an der Wirtshauslegende festhalten. Vorläufiges Fazit: "Nix G’wiss woas ma net" – wie der am Karlstor abgebildete Finessensepperl immer gesagt haben soll.

Das Karlstor war bei der von Kurfürst Karl Theodor 1791 angeordneten Niederlegung der Stadtmauern und Stadtwälle – und auch noch über sämtliche Kriege hinweg – stehengeblieben. Die Stachelschützen aber waren längst verschwunden, weil Herzog Clemens deren restliche Anlagen 1741 übernommen und seinem Schlossgärtchen einverleibt hatte. Bis heute geblieben ist nur der Name: Schützenstraße.
Längst hatte die Großstadt München den Großkonsum und dessen modernes Verteilsystem entdeckt. Zwischen Hauptbahnhof und Marienplatz schossen Kaufhäuser aus dem Boden. Ihr produktivster Schöpfer war Albert Schmidt, der auch die Synagoge, die Lukaskirche, das Hotel Stachus sowie zahlreiche Geschäftshäuser gebaut hat. 1895 errichtete er mit anderen Architekten dort, wo die Föderls so lange Bier gezapft hatten, ein Großkaufhaus für einen gewissen Ernst Horn. Der entstammte einer oberfränkischen Familie, die mit einer "Kolonial- und Eisenwarenhandlung" reich wurde, indem sie viele Artikel, hübsch angeordnet und preiswert, unter einem Dach angeboten hatte. Horn heiratete 1918 die erste deutsche Olympiasiegerin Annie Hübler. Sie leitete später die Ostbahnhof-Filiale. Ihr Mann starb 1950.
Das modernste Warenhaus Europas
Noch im Kriegsjahr 1940 konnte das Kaufhaus Horn laut Katalog, der heute teuer gehandelt wird, Kleidung, Stoffe, Möbel, Wäsche, Teppiche und vieles andere anbieten. Dann kamen die Bomben, 40 Prozent des beliebten Warentempels wurden völlig zerstört. Doch die Filetstücke Karlsplatz Nummer 21 bis 24 blieben nicht allzu lange Zeit eine Brache. Das deutsche Wirtschaftswunder verlangte nach neuen großen Verkaufsflächen.
Am 21. September 1951 wurde der neue "Kaufhof am Stachus" feierlich eröffnet. Man pries ihn als eines der modernsten Warenhäuser Europas. "Tatsächlich eine völlig neue Welt," jubelte eine Zeitung. Laufend Angebote, wöchentlicher Wechsel der Dekoration, reihenweise Rolltreppen und riesige Fahrstühle – in einem kam ein Baby zur Welt. Eine wahre Wirtschaftswunderwelt hinter Beton.

Nachdem die Leute das Kaufhaus beim großen Stachus-Umbau Anfang der 1970er lange Zeit von der Stadt her nur noch auf einer provisorischen Fußgängerbrücke erreichen konnten, war irgendwann Schluss mit geschäftlichem Gewinn. Das inzwischen denkmalgeschützte Haus mit der wuchtigen Fassade wurde zugemacht und umgebaut. Um am 18. Mai 1972 als "Galeria Kaufhof Am Stachus" wieder eröffnet zu werden.
Die Begeisterung war groß. Auf 11.800 Quadratmetern voll klimatisierter Verkaufsfläche über 120.000 Artikel: von der Feinkost im Tiefparterre über den Jogginganzug bis zum Klappfahrrad. "Tausende von Luftballons, Lebkuchenherzen und Olympia-Lotterielose empfingen die ab 7.30 Uhr anstehenden Kunden," erinnert sich eine Verkäuferin. "Tausende haben sich dann durch die vier Stockwerke geschoben, teilweise gab es Staus."
Der Beitrag stützt sich auf das Buch "Der Stachus" von Karl Stankiewitz, (München Verlag)
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