Interview

Katrin Habenschaden im AZ-Interview: "Das Krawall-Level ist gestiegen"

Bürgermeisterin Katrin Habenschaden über die Stimmung in der Rathauskoalition, das Dieselfahrverbot am Ring und warum bei Parkgebühren Ungerechtigkeit herrscht.
von  Christina Hertel, Felix Müller
Bürgermeisterin Katrin Habenschaden sagt, das Dieselverbot zu verhandeln sei nicht "vergnügungssteuerpflichtig" gewesen.
Bürgermeisterin Katrin Habenschaden sagt, das Dieselverbot zu verhandeln sei nicht "vergnügungssteuerpflichtig" gewesen. © Daniel von Loeper

AZ-Interview mit Katrin Habenschaden: Die 45-Jährige ist bei der letzten Kommunalwahl für die Grünen als OB-Kandidatin angetreten. Sie ist derzeit zweite Bürgermeisterin.

AZ: Frau Habenschaden, wenn Sie eine Sache aus diesem Jahr rückgängig machen könnten, welche wäre das?
KATRIN HABENSCHADEN: Eine ganz große? Dann würde ich den Angriffskrieg gegen die Ukraine rückgängig machen. Persönlich würde ich nichts groß anders machen. Vielleicht nicht ganz so viele Termine. Andererseits mache ich die auch gern.

Sie mussten das Dieselverbot verhandeln und verkünden. War das für Sie der große Ritterschlag oder hat Sie der OB auflaufen lassen - weil jetzt Sie mit diesem Problemthema verbunden werden?
Weder noch. Ich bin als Bürgermeisterin für das Umwelt- und für das Mobilitätsreferat zuständig, das Thema lag also in meinem Bereich. Es war auch kein Alleingang. Es gab immer Rückkopplung in die Koalition und zum Oberbürgermeister. Der Stufenplan und die Ausnahmen, die ich verhandeln durfte, konnte, musste, wurden von allen mitgetragen.

Katrin Habenschaden: "Wir haben ein gutes Verhandlungsergebnis erzielt"

Durften, konnten oder mussten Sie vor allem?
Vergnügungssteuerpflichtig war das nicht, aber eben Teil meiner Zuständigkeit. Natürlich ist das etwas, was jetzt auch immer mit der Verhandelnden verknüpft wird. Auf der anderen Seite weiß ich, wie die Ursprungsidee der Kläger aussah. Es ist gelungen, ein gutes Verhandlungsergebnis zu erzielen. Mit dem Stufenplan, den vielen Ausnahmen, gerade auch für den Wirtschaftsverkehr, und mit den Exit-Optionen. Wenn sich die Luftqualität nachhaltig verbessert, dann wird die nächste Stufe nicht gezündet.

"Die Koalition könnte einen Restart brauchen", sagt Habenschaden.
"Die Koalition könnte einen Restart brauchen", sagt Habenschaden. © Daniel von Loeper

Also haben Sie Unheil von den Münchner Dieselfahrern ferngehalten?
Es stand ein Fahrverbot für alle Diesel der Schadstoffklasse 5 ab Januar 2023 zur Debatte. Da fühlten sich die Kläger im Recht. Denn die Grenzwerte werden seit 2010 überschritten. Aber noch mal: Ich hatte nicht das Gefühl, eine schwere Bürde zu tragen. Das war einfach etwas, das gemacht werden musste. Übrigens für den Gesundheitsschutz der Anwohner, insbesondere an der Landshuter Allee. Die Grenzwerte gibt es ja nicht, um jemanden zu gängeln, sondern weil die Abgase gesundheitsschädlich sind.

Katrin Habenschaden: "Für den Mittleren Ring wurde alles durchkalkuliert"

Ist das in der Bevölkerung angekommen?
Ich hätte mir diesen Aspekt in der Debatte mehr gewünscht.

Die ersten wollen gegen das Verbot klagen. Ein Argument ist, dass in allen Straßen außer einer die Stickoxid-Werte unter dem Grenzwert liegen. Warum ist trotzdem ein flächendeckendes Verbot notwendig?
Das ist nicht nur irgendeine Straße, sondern der Mittlere Ring. In einem Gutachten wurden alle Möglichkeiten durchkalkuliert - Zuflussdosierung, Ampeln, auch Bepflanzungen. Aber die einzige wirksame Möglichkeit war ein Fahrverbot. Wenn es das nur an einer Stelle geben würde, würde sich der Verkehr immens in die Wohngebiete verlagern.

Katrin Habenschaden: "Das Münchner Dieselfahrverbot geht auf das Konto der CSU"

Würde es Sie freuen oder ärgern, wenn die Klage Erfolg hätte?
Was ich dabei für Gefühle hätte, ist die falsche Frage. Es wäre auf alle Fälle ein großer Rückschritt für die Luftqualität in dieser Stadt und damit für die Gesundheit der Münchnerinnen und Münchner. Man darf nicht vergessen: Auf EU-Ebene wird diskutiert, die aktuellen Grenzwerte zu verschärfen.

AZ-Rathausreporterin Christina Hertel (links) und Lokalchef Felix Müller im Gespräch mit der Bürgermeisterin.
AZ-Rathausreporterin Christina Hertel (links) und Lokalchef Felix Müller im Gespräch mit der Bürgermeisterin. © Daniel von Loeper

Hätte sich Ihre Parteibasis mehr Verbote gewünscht?
Nein, so eine Forderung kommt von niemandem. Da bin ich froh drum. Denn die Fahrverbote kommen zu Unzeiten. Viele wissen gerade nicht, wie sie über den nächsten Monat kommen. Allerdings diskutieren wir das seit vielen Jahren. Einer meiner Stadtratskollegen hat immer gesagt: Niemand möchte Fahrverbote, aber wenn wir weiterhin nur so zögerliche Maßnahmen ergreifen, kommen wir nicht drum rum. Das wussten alle - auch die bayerische Staatsregierung. Aber genau in dem Moment, als klar war, dass Fahrverbote unumgänglich sein werden, hat der Freistaat das Thema an uns übertragen. Die Verantwortung für das Münchner Dieselfahrverbot trägt die CSU aufgrund einer völlig verfehlten Verkehrspolitik.

Jedes Jahr wollen Grüne und SPD 500 Parkplätze streichen. Was wäre bei Ihnen in der Nachbarschaft in Aubing los, wenn es da weniger Parkplätze gäbe?
In meiner Straße gibt es kaum Parkplätze. Aber lustig, dass das Thema jetzt kommt. Es steht im Koalitionsvertrag, ist also schon etwas älter. Grundsätzlich steckt dahinter die Idee, dass wir den Platz für die Verkehrswende irgendwo hernehmen müssen. Dann ist es doch am besten, ihn von parkenden Autos zu nehmen, die im Schnitt 23 Stunden am Tag nur herumstehen und dabei jeweils mehr Platz verbrauchen als ein durchschnittliches Münchner Kinderzimmer. Und trotzdem kosten Parkplätze mit einem Anwohnerparkausweis genau 30 Euro im Jahr.

Mehr Ökostrom für München? 

Müsste es mehr sein?
Auf alle Fälle ist es nicht vergleichbar mit dem, was man sonst in dieser Stadt für Platz bezahlt, denken Sie an die hohen Mieten. Da herrscht doch eine große Ungerechtigkeit.

Wie viel wäre denn gerecht?
Da habe ich keine konkrete Zahl. Zuerst müsste uns der Freistaat die Möglichkeit geben, die Parkgebühren anzuheben.

Wir würden gern mit Ihnen über Energie sprechen. Warum sollte jemand in München einen Ökostrom-Tarif abschließen, wenn momentan die Preise ebenso steigen wie für normalen Strom?
Naja, weil mit einer großen Nachfrage auch der Ausbau der Erneuerbaren stärker voranschreitet.

Müssten die Stadtwerke nicht offener kommunizieren, dass sie hier in München von Kohle und Gas abhängig sind? Ansonsten müsste doch momentan Ökostrom viel billiger sein.
Die Stadtwerke sind beim Ausbau der Erneuerbaren wirklich gut. Aber durch das komplizierte Energiemarkt-Design kommt das beim Kunden leider nicht an.

Aber vor allem in anderen Teilen Europas und nicht hier.
Wir beschließen immer häufiger Energie-Kooperationen im direkten Umland. Aber natürlich haben wir auch Beteiligungen in anderen Ländern.

Katrin Habenschaden: "In Sachen erneuerbare Energien ist München ein Vorreiter"

Verglichen mit anderen Städten sind die Strompreise der Stadtwerke teuer. Ist das bei Ihnen auch aufgeschlagen?
Die Strompreissteigerungen sind sehr ärgerlich und wurden zum Teil wieder zurückgenommen, was ich begrüße.

Unterm Strich werden die Preise trotz der Reduktion viel teurer.
Aber das kann doch nicht den Stadtwerken zur Last gelegt werden. Das ist die Energiepreisentwicklung, die wir auf der ganzen Welt sehen. Ich bin sehr froh, dass die Stadtwerke schon so lange in den Ausbau der Erneuerbaren investieren. München ist da Vorreiter.

Die Stadt wollte dieses Jahr aus der Kohle aussteigen und das Heizkraftwerk Nord auf Gas umstellen. Klappt's nächstes Jahr?
Man muss sich das im nächsten Jahr noch mal anschauen. Oberste Priorität hat die Versorgungssicherheit.

Kleine und mittlere Unternehmen stellen Münchens Wohlstand sicher

Können Windkraftanlagen rund um München einen Beitrag leisten?
Mit Sicherheit. Wie die Möglichkeiten aussehen, muss untersucht werden. Im Stadtgebiet haben wir die zwei großen Windräder, die möglich waren, schon gebaut.

Die Stadt ist von den Gewerbesteuereinnahmen von BMW abhängig. Wie sehr schmerzt es Sie als Grüne, dass die Stadt finanziell nur so gut dasteht, weil so viele Autos verkauft werden?
Ich freue mich, wenn es BMW gut geht, denn das bedeutet sichere Arbeitsplätze und gute Steuereinnahmen für München. Entscheidend für unseren Wohlstand sind aber vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen. Das ist unser wirtschaftliches Rückgrat.

Das heißt, wenn wegen der Verkehrswende die deutsche Autoindustrie an die Wand gefahren wird, sehen Sie das entspannt?
Die Automobilindustrie wird nicht zugrunde gehen, wenn Deutschland mehr Geld in die Bahn investiert. Die Verkehrswende ist dringend nötig, um unsere Klimaziele zu erreichen. Der Vorstandschef von BMW hat sich übrigens mehrfach für autofreie Innenstädte ausgesprochen. BMW ist ein Hightech-Unternehmen mit klarem Kurs Richtung Elektromobilität. Ich mache mir um die Zukunft des Unternehmens keine Sorgen.

Politisch ging es dieses Jahr im Münchner Rathaus recht ruppig zu. Würden Sie zustimmen, dass die CSU wieder zur Krawall-Opposition geworden ist? Und sorgen Sie sich, dass es der Stadt schadet, wenn sich grün-rot im ständigen Streit verzettelt?
Die CSU hat berechtigte Sorgen vor einem schlechten Wahlergebnis bei der Landtagswahl, deshalb ist das Krawall-Level zuletzt gestiegen. Und zur Koalition: Die Münchner brauchen angesichts der multiplen Krisen ein verlässliches Regierungsbündnis. Ich wünsche mir sehr, dass sich alle dieser Verantwortung bewusst werden. Inhaltlich sind wir sehr nah beieinander. Für die Zukunftsthemen dieser Stadt weiß ich keine bessere Alternative.

Habenschaden: "Die Leute verstehen nicht, warum alles immer so lange dauert"

Viele SPDler und CSUler scheinen sich eine Zusammenarbeit vorstellen zu können.
Das weiß ich nicht. Ich habe das Gefühl, dass sich Grüne und SPD mal an einen Tisch setzen müssten. Die Koalition könnte einen Restart brauchen.

Also einen Friedensgipfel an Ihrem Tisch?
Ich stehe für Gespräche immer zur Verfügung. Wir sind dieses Bündnis mit großen politischen Zielen eingegangen und die müssen wir voranbringen.

Wenn Sie OB wären, was würden Sie anders machen?
Ich würde versuchen, die Dinge schneller umzusetzen. Die Leute verstehen nicht, warum alles immer so lange dauert. Mich nervt das auch.

Wie groß ist Ihre Sorge, dass Dieter Reiter doch noch mal antreten darf? Fürchten Sie ihn als Gegner?
Ich bin ja schon mal gegen ihn angetreten. Von daher kann ich diese Frage klar mit nein beantworten. Aber eines ist klar: Die Grenze von 65 Jahren ist altersdiskriminierend.

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