Katastrophenschutz: Wie schaut es mit Sirenen und Warnungen in München aus?

Tausende haben zu spät von dem verheerenden Hochwasser in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz erfahren. Wie kann das sein? Eine Bestandsaufnahme - und was sich tun soll.
von  C. Grimm, T. Stöppler
Nordrhein-Westfalen, Euskirchen: Helfer des Technischen Hilfswerks (THW) lassen Schläuche in die Steinbachtalsperre hinab, um das Wasser abzupumpen. Der Damm der Talsperre droht einstürzen.
Nordrhein-Westfalen, Euskirchen: Helfer des Technischen Hilfswerks (THW) lassen Schläuche in die Steinbachtalsperre hinab, um das Wasser abzupumpen. Der Damm der Talsperre droht einstürzen. © Marius Becker/dpa

München - Die gute Nachricht zuerst in dieser Erzählung, wie sich Deutschland ein zweites Mal im Weg steht - auch dieses Mal mit tödlichen Folgen. Noch frisch ist der Eindruck davon, wie langsam und mit welch veralteter Technik der Staat (Faxgeräte) das Coronavirus eindämmen wollte.

Nun hat sich die Unfähigkeit ein zweites Mal bei den Sturzfluten in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen wiederholt. 176 Menschen sind ertrunken, noch immer werden etliche vermisst.

Soforthilfen in Höhe von 200 Millionen Euro

Das Landeskabinett beschloss gestern Soforthilfen für Privatbürger, Wirtschaft, Landwirte und Kommunen in Höhe von 200 Millionen Euro. Der Bund habe zugesagt, die Summen der Länderhilfspakete jeweils zu verdoppeln, sagte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU).

Immerhin, es soll sich etwas tun, wie Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) angekündigt hat. Möglichst bis zur Bundestagswahl sollen die Behörden in der Lage sein, auf alle Handys in Katastrophengebieten Warn-SMS zu senden. Genau genommen schickt der Netzbetreiber im Auftrag des Staates keine SMS, sondern eine Push-Nachricht an die Geräte.

Die Niederlande erreichen auf diesem Weg nach amtlichen Zahlen 90 Prozent der Bevölkerung ab zwölf Jahren.

Beim Warn-Tag 2020 sind schon Mängel aufgefallen

Obwohl die Warnung vor Katastrophen in Deutschland Sache der Länder und lokal der Landräte ist, kann Seehofer nicht jegliche Verantwortung für die Fehler von sich weisen.

Der Grund: Vergangenes Jahr hatte der bundesweite Warntag Anfang September gezeigt, dass die Alarmierung der Bevölkerung nicht funktioniert. Nachrichten auf der - in der Bevölkerung ohnehin weitestgehend unbekannten - Warn-App Nina kamen zu spät. Überhaupt war das Programm bis dato nur 7,6 Millionen Mal heruntergeladen worden.

Kommt das Wasser in der Nacht, hören viele Leute ihr Handy nicht. Früher hätten die Landräte und Bürgermeister die Sirenen heulen lassen. Während des Kalten Krieges gehörte das Heulen beinahe zum Alltag.

Doch es zählte zur Friedensdividende, dass die Sirenen als überflüssig betrachtet wurden, weil die Bedrohung nicht mehr da war. Aus diesem Grund wurden Sirenen vielerorts abmontiert. Die Feuerwehrleute werden heute meist über ihre Piepser zum Einsatz gerufen.

Münchner Feuerwehr: Dort haben die Systeme gut funktioniert

Als eine Lektion aus dem schief gegangenen Warntag legte Seehofer ein Förderprogramm von 88 Millionen Euro auf, damit Sirenen wieder aufgestellt werden. Der 72-Jährige beließ es nicht dabei. Er schickte den Chef seiner Katastrophenschutzbehörde in die Wüste und installierte an der Spitze den erfahrenen CDU-Innenpolitiker Armin Schuster.

Die Behörde bekam außerdem einen neuen Zuschnitt: Sie kann die Länder auf deren Bitten seitdem auch bei Naturkatastrophen unterstützen, während sie davor nur in Kriegszeiten tätig werden durfte. Dennoch bemängelt Schuster: "Mein Amt hat viel Know-how und wenig Zuständigkeit. Wir drücken auf den Warnknopf erst im Kriegsfall."

Unter Schuster entwickelte das Amt auch einen neuen Leitfaden für Katastrophen, aber der neue Behördenleiter versäumte es, das Thema Warn-SMS beherzt anzupacken. So fehlte ein wichtiger Baustein in der Alarmkette, der sich technisch relativ schnell umsetzen lässt, auf jeden Fall schneller als im ganzen Land wieder Sirenen aufzubauen.

Ob auch in München die Sirenen wieder aufgebaut werden, ist noch unklar. Beim Stromausfall im Mai im Münchner Osten hätten die verschiedenen Systeme gut funktioniert, erklärt Stefan Kießkalt von der Münchner Feuerwehr. Die Warn-App Katwarn hätte gesendet und Lautsprecher von Einsatzwagen, quasi mobile Sirenen, hätten gut funktioniert.

Münchner Feuerwehrler: "Jede Erweiterung ist eine Verbesserung"

Für festinstallierte Sirenen wollte sich Kießkalt nicht aussprechen, aber: "Jede Erweiterung ist natürlich auch eine Verbesserung." Ein wichtiger Punkt sei aber auch die Eigenverantwortlichkeit der Bürger: Zum einen die Warnungen ernstzunehmen, sowie andere möglicherweise Betroffene selbst zu warnen, sei essenziell.

Bei der nächsten Flut sollen die Betroffenen über viele Kanäle gewarnt werden: Sirene, Warn-App, SMS, TV, Radio und gegebenenfalls durch Lautsprecherdurchsagen von Feuerwehr und Polizei. Bis auf die Sirene ist dies in der Landeshauptstadt bereits gang und gäbe.

Eigentlich wollte Seehofer den Warntag in diesem Jahr wiederholen lassen - und zwar mit funktionstüchtigen Systemen. Der Tag wurde auf nächstes Jahr verschoben, weil es der Staat nicht wie anvisiert binnen Jahresfrist hinbekommen hat. In München, erklärt Kießkalt, hätte am vergangenen Warntag alles gut funktioniert.

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