Kassenpatienten müssen auf Grippe-Impfstoff warten
MÜNCHEN - „Die gesetzlichen Krankenkassen in Bayern können die Versorgung ihrer Versicherten bei Grippeschutzimpfungen effizienter und wirtschaftlicher gestalten“, meldet die AOK Ende Juni 2012 – und jubelt:. „Mit der Firma Novartis Vaccines haben die Krankenkassen in Bayern einen leistungsstarken und hochqualifizierten Partner für die flächendeckende Impfstoffversorgung gewinnen können.“
Von wegen.
Die „flächendeckende Impfstoffversorgung“ fällt nämlich vorerst aus.
In diesem Jahr organisieren die Krankenkassen zum ersten Mal selbst den Grippe-Impfstoff – früher besorgten es sich die Ärzte selbst aus der Apotheke. Da gab es auch mehrere Produkte. Aus Spargründen haben die Kassen in diesem Jahr einen Vertrag mit der Firma „Novartis Vaccines“ abgeschlossen. Sie liefert jetzt exklusiv den Impfstoff namens „Begripal“. Damit wollen die Kassen Kosten im „einstelligen Millionenbereich“ einsparen, so die AOK.
Begripal für alle, also. Aber nicht rechtzeitig. Laut der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern kommt der Impfstoff erst Mitte Oktober – zwei Wochen später als geplant.
Schon jetzt warten hunderttausende Kassenpatienten darauf. In der Praxis der Allgemeinärztin Alexandra Braune in der Nymphenburger Straße hätten schon viele Patienten angefragt, sagt eine Mitarbeiterin. Man habe ihnen aber absagen müssen „Dabei hätten sich viele gern schon vor dem Oktoberfest impfen lassen.“ Niesen auf der Wiesn – dagegen hilft heuer keine Impfung.
Die Grippe-Impfung ist laut Experten in diesem Jahr besonders wichtig. In Australien gibt es derzeit doppelt so viele Influenza-Fälle wie im Vorjahr – das deutet auf eine besonders starke Grippewelle bei uns hin. Die Saison beginnt meist im Dezember, deshalb sollen sich Patienten zwischen September und November impfen lassen. Bis das Immunsystem einen wirksamen Schutz aufgebaut hat, vergehen bis zu zwei Wochen.
Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bringt die Impfung vom letzten Jahr nichts, weil der Schutz ohne neue Impfung nach einem Jahr nachlasse. Außerdem werden die Impfstoffe jährlich an neue Virenstämme angepasst.
Viele der 9500 Ärzte in Bayern seien deshalb „etwas verschnupft bei diesem Thema“, sagt der Vorsitzende des Hausärzteverbandes Bayern, Dieter Geis. „In den Praxen gibt es deswegen ziemlich viel Unruhe und Diskussionen.“
Normalerweise hätte die Impfung längst begonnen, sagt Geis. Wegen der Verspätung erwarten die Ärzte große Terminschwierigkeiten. „Das Zeitfenster für die Impfung wird immer enger – gerade vor dem Winter werden die Termine knapp“, warnt der Münchner Tropenmediziner Nikolaus Frühwein.
Das Problem sei hausgemacht: „In den Vorjahren hatten wir dieses Problem nicht, da wir aus verschiedenen Grippeimpfstoffen wählen konnten“, sagt Frühwein. „Jetzt schreiben uns die Kassen vor, dass wir in Bayern nur einen einzigen Impfstoff verwenden dürfen. Für die Versicherten und unsere Patienten ist das eine völlig unbefriedigende Situation – und wir Ärzte müssen dies nun ausbaden.“
Auch Brigitte Dietz ist ungehalten über die Verspätung. Normalerweise impft die Kinderärztin aus Taufkirchen schon jetzt, „damit die Grippewelle sich erst gar nicht richtig entwickeln kann. Außerdem haben wir viele Patienten zu impfen – das verzögert sich jetzt.“ Wichtig sei, dass der Impfstoff spätestens Mitte Oktober komme. „Wenn er sich bis Ende Oktober verzögert, wäre das gar nicht gut.“
AOK-Sprecher Michael Leonhart findet die Verspätung nicht so schlimm: „Das ist zwar zwei Wochen später als ursprünglich angekündigt, liegt damit aber im empfohlenen Impfzeitraum Oktober-November.“ Risikopatienten wie Ältere, Kinder, chronisch Kranke, Schwangere und Immungeschwächte müssten keine Nachteile fürchten. Sie bekämen einen Ersatzimpfstoff.
Auch Privatpatienten müssen nicht auf Begripal warten – sie können sich ihren Impfstoff selbst aussuchen. Kassenpatienten dürfen übrigens auch zur Apotheke und auf eigene Faust einen Alternativ-Impfstoff kaufen. Das kostet sie aber 20 bis 30 Euro.