Kanzler-Besuch in München: Servus, Herr Scholz

München - Samstagvormittag am Ostbahnhof. Zwischen Semmeljägern, besonders Feierwütigen auf dem Heimweg und ersten Wochenendeinkäufern ist eine Gruppe Handwerker schon bei den ganz großen Themen. "Wie kann uns die Politik überhaupt entlasten?", fragt einer den anderen. Sie stehen vor dem Bildungszentrum der Handwerkskammer in München und warten auf den Mann, der diese Frage beantworten soll.
Gleich spricht Bundeskanzler Olaf Scholz mit ihnen. Der SPD-Politiker ist zum Parteitag angereist und besucht die Handwerkskammer, um sich bei den Vertretern der verschiedenen Gewerke über den Stand der Energiewende zu informieren und zu erfahren, welche Herausforderungen noch zu bewältigen sind.
Handwerker fordern staatliche Unterstützung
Denn viele der energieintensiven Berufe stehen durch die hohen Strom- und Gaspreise am Abgrund. Auch mögliche Energiesparmaßnahmen sind Thema, zudem der Fachkräftemangel. Die Handwerker fordern staatliche Unterstützung. Scholz steht nach der Gesprächsrunde vor Heizungsbrennern, die zu Schulungszwecken an einer Wand installiert wurden. All die Handwerksberufe seien "für die Zukunft unseres Landes von allergrößter Bedeutung", sagt Scholz. Er wolle sich dafür einsetzen, dass sich mehr junge Leute sich dafür entscheiden.

Eine Beruhigungspille hat er auch im Gepäck: Der Kanzler will einen möglichen früheren Starttermin der Gaspreisbremse zum 1. Januar ausloten, erklärt er. Eine Entscheidung der Bundesregierung ohne vorherige Konsultationen mit den Energieversorgern schloss Scholz jedoch aus. "Das wird nur in einem großen Schulterschluss in Deutschland gelingen." Dieser werde gerade organisiert.
Gute Gespräche mit Scholz und "eine gewisse Zuversicht"
Zuvor hatte Handwerkspräsident Franz Xaver Peteranderl gefordert: "Wir brauchen genau wie die Industrie diesen Preisdeckel schon zum 1.1." Scholz schränkte ein: "Was wir nicht machen, ist zu beschließen, das klappt am 1. Januar; und dann sagen die Unternehmen, die das herstellen müssen, die Versorgungsunternehmen, das klappt aber nicht." Er äußerte sich aber optimistisch, dass die Gaspreisbremse bald von EU-Seite genehmigt wird: "Da sind wir ganz zuversichtlich, dass wir in den nächsten Tagen das Go für unsere Unterstützungsleistungen endgültig bekommen."
"Ich glaube, für den Kanzler war es durchaus mal interessant, mit den Praktikern der einzelnen Gewerke, die für die Energieversorgung tätig sind, im direkten Gespräch zu sein", so Peteranderl im Anschluss zur AZ. Es habe ein gutes Gespräch gegeben. Zu einer möglichen Umsetzung der Forderungen, sagt er: "Ich habe eine gewisse Zuversicht, dass einzelne Punkte sicherlich umgesetzt werden."
Da ist Scholz schon unterwegs, um seine Rede vor den bayerischen Genossen in den Eisbachstudios zu halten. Das Thema Energie freilich steht weiter im Mittelpunkt, auch, wenn es nun vom Osten in den Westen geht: In einer Vorzeige-Wohnanlage der GWG in der Krüner Straße hat sich eine kleine Traube gebildet, Kinder stehen mit ihren Eltern auf der Straße, Jugendliche, ohne Eltern, daneben. Auf den Balkonen der Plus-Energie-Häuser, die hier seit etwa zehn Jahren stehen, haben die Bewohner Stellung bezogen.
Dank effizienter Bauweise, Fernwärme und 98 Photovoltaikmodulen gibt es hier in der Bilanz ein Plus an Primärenergie, erklärt Ole Beißwenger von der GWG der AZ.
Scholz und Reiter besuchen GWG-Projekt
Das dürfte Scholz in Zeiten von Wohnungsnot und Energiekrise interessieren, doch der ist nach etwa einer halben Stunde Verspätung mit dem Abklatschen von Kinderhänden beschäftigt, begleitet von Jubel und zahlreichen Selfie-Anfragen. Der Münchner OB Dieter Reiter begleitet ihn, wenig später lächeln beide von einem der Balkone der Wohnanlage, die mit Vorhängen ausgestattet sind - Wärmeenergie einsparen.
Eines der Kinder fragt, warum denn so ein Medienrummel veranstaltet werde um den Kanzler, er sei doch auch nur ein Mensch. "Er trägt viel Verantwortung", erklärt der Papa. "Ich trage auch viel Verantwortung", empört sich der Bub.
Dennoch ist es Scholz, dem die Menge nun zum zweiten GWG-Projekt nur wenige Schritte weiter folgt, sogenannte Minimalhäuser, bei denen besonders auf effizientes Bauen geachtet wurde. Rund 30 Prozent Baukosten habe man 2015, als sie gebaut wurden, einsparen können, sagt Beißwenger.
Der Kanzler hat es allerdings eilig, denn er will noch mit Mietern, Vertretern der Stadt und dem Münchner Mieterverein sprechen, die Verspätung hat alles nach hinten verschoben. Danach ist nur noch für ein kurzes Statement mit dem OB Zeit. Reiter lobt die Bundespläne, 400.000 Wohnungen pro Jahr bauen zu wollen. "Jede Wohnung hilft", sagt er. Der Kanzler bekräftigt nochmals, man werde "nicht ablassen" von diesem Ziel. Scholz weiter: "Wir sind in Deutschland nicht an der Spitze beim preiswerten Bauen" - auch deshalb will er von den kosteneffizienten GWG-Projekten lernen, bei denen man vieles "praktisch ausprobiert" habe.
Mieterverein-Vorsitzende Beatrix Zurek und Münchens Stadtbaurätin Elisabeth Merk loben anschließend das "hohe Fachwissen" des Kanzlers und sehen die Wohnungsbau-Pläne auf einem guten Weg. Die Mieter in der Vorbild-Wohnanlage sind da schon fast alle wieder daheim - und ziehen ihre Energiesparvorhänge zu.