Kann so etwas auch in München passieren?

Dietmar Holzapfel hatte gestern schon kurzzeitig Befürchtungen, dass niemand mehr in sein Lokal kommen mag. Holzapfel führt mit seinem Mann Sepp Sattler die Deutsche Eiche in der Reichenbachstraße, ein weithin bekanntes Lokal der schwul-lesbischen Szene inklusive schwulem Badehaus.
Nach dem Anschlag auf den Schwulenclub in Orlando mit 50 Toten hat sich Holzapfel beim selben Gedanken ertappt wie nach den Anschlägen in Paris: „Wenn es in München ein solches Ziel geben müsste für einen Anschlag auf Lebensfreude und westliche Lebenskultur – welcher Ort wäre besser geeignet als der unsere?“
Schon am Vormittag verschwindet die Sorge allmählich. 30 Menschen sind gekommen, um Holzapfels Haus-Führung zu folgen, die er nun in der Kulturwoche der Isarvorstadt gibt. Eine von vielen im Szene-Lokal. Holzapfel sagt: „Wir arbeiten stetig daran, Toleranz und Offenheit zu schaffen. Es kommen immer mehr Leute zu uns in den Betrieb. Wir Freude uns, wenn wir zur Aufklärung beitragen können. Ich hoffe, dass dieser Prozess, der bei uns ins Positive geht, durch den Anschlag nicht gestört wird.“
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"Religion wird für die Rechtfertigung falscher Taten missbraucht"
Die ersten Besucher, immerhin, seien „relativ cool“ gewesen, findet Holzapfel. „Man darf nicht andauernd drüber nachdenken, sonst wird man ja verrückt.“
Früher hat der Schwulen-Aktivist Holzapfel Theologie studiert, er war Religionslehrer. Dass der Attentäter von Orlando Muslim war? „Ich bin mir eher sicher, dass der Täter einen psychischen Schaden hat. Die meisten dieser Attentäter haben ohnehin keine Ahnung von dem, wofür sie angeblich stehen“, sagt Holzapfel.
Das führt er aus: „Der IS beruft sich etwa auf den Kalifen von Bagdad. Der Kalif von Bagdad hat homoerotische Gedichte geschrieben, Wein getrunken und seinen Spaß gehabt – alles, wogegen der IS eigentlich kämpft. Wer ein bisschen Ahnung hat, weiß, dass Religion hier für die Rechtfertigung falscher Taten missbraucht wird. Und wenn man sich die Täter anschaut: Das sind doch lauter frustrierte junge Leute, die eigentlich ganz andere Probleme haben und dieses Ventil nur nutzen, um ihre Frustration auszuleben.“
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„So möchte ich nicht leben“
In der Deutschen Eiche habe er nicht nur muslimische Gäste, sondern auch Mitarbeiter, erzählt Holzapfel: „Darunter sind sogar welche, die auf der Koranschule waren, aber die ihrer Religion zum großen Teil Adieu gesagt haben – weil sie sagen, eine Religion, die mich nicht akzeptiert, brauche ich nicht.“
Dass mehr Muslime in der Stadt die homosexuelle Szene gefährden, habe er bislang nicht feststellen können. Die Folgen des Orlando-Anschlags fürchtet er an anderer Stelle: „Ich könnte mir vorstellen, dass beim Christopher Street Day einige Zuschauer aus Verunsicherung wegbleiben. Ich hoffe, es wird sich bald herausstellen, dass der Orlando-Attentäter nicht politisch-religiös beauftragt war, sondern etwas individuell Psychisches dahintersteckt. Eine Einzeltat wäre nicht zu verallgemeinern.“
Eine verstärkte Security wird es in der Deutschen Eiche vorerst nicht geben. Er hoffe, so etwas wie Orlando werde nie mehr passieren, sagt Holzapfel, erst recht nicht in München. Aber dass es unvorstellbar ist? „Das würde ich nie sagen. Hier hat es auch das Wiesn-Attentat gegeben. Man darf sich nicht verrückt machen lassen. Dass wir ein angstgesteuertes, freudloses Leben führen, ist genau das, was die Terroristen wollen.“
Holzapfel macht eine Pause. Dann sagt er: „So möchte ich nicht leben.“