Kampf-Kurse für Rettungskräfte in München

München - Es fällt ihr nicht leicht, darüber zu sprechen. Obwohl der Angriff mittlerweile eineinhalb Jahre zurückliegt. Wenn sie an einen Einsatzort gerufen wird, der in der Nähe der Wohnung ist, wo es passiert ist, "kommt es immer wieder hoch", sagt Notfallsanitäterin Petra L.
Die Faustschläge treffen sie mitten ins Gesicht, ein Auge wird verletzt Seit fast 30 Jahren fährt die 54-jährige Münchnerin Rettungsdienst. Sie ist eine resolute, selbstbewusste und zupackende Frau. Doch das Erlebnis, Opfer von Gewalt zu werden, war ein tiefer Einschnitt in ihrem Leben. "Ich habe mich erniedrigt gefühlt", sagt sie. Es war ein Schock, der bis heute nachwirkt. "Seitdem ist der Gedanke immer da." Er begleitet sie bei jedem Einsatz.
2017 geht eine Frau auf ihre Münchner Retter los
Sie wollte helfen. Leben retten. Wie immer. Ende 2017 kam Petra L. mit einem Rettungssanitäter und einer Praktikantin in eine Wohnung, in der eine stark alkoholisierte Frau auf sie wartete. "Sie wollte mitgenommen werden, um sofort mit einem Alkoholentzug zu beginnen. Aber wir konnten sie nicht mitnehmen. So schnell gibt es ja keinen freien Platz", erinnert sich Petra L.
Die Retter versuchten, der Frau die Situation zu erklären, waren etwa 20 Minuten bei ihr, als die Frau plötzlich ohne Vorwarnung auf Petra L. losging.
"Wir waren schon im Gehen. Ich hatte meine Daumen unter die Gurte meines Rucksacks geschoben. Das war ein Fehler", sagt Petra L. So trafen sie die Faustschläge gegen den Kopf mit voller Wucht. Die Notfallsanitäterin erlitt blaue Flecken und Prellungen im Gesicht, ein Gefäß im Auge platzte. "Ich habe einfach nur geschaut, dass ich da rauskomme." Nach dem Angriff musste sie zwei Wochen krankgeschrieben werden.
Polizisten und Rettungskräfte werden immer häufiger Opfer von Gewalt
"Ich bin kein Einzelfall", weiß Petra L. Die Zahlen geben ihr recht. Polizisten und Rettungskräfte werden immer häufiger Opfer von Gewalt, während sie ihren Dienst ausüben. Das Landeskriminalamt zählte 2017 insgesamt 327 Angriffe auf Sanitäter und Feuerwehrleute in Bayern. Zwei Jahre zuvor waren es noch 50 weniger gewesen. Sehr oft spielen Alkohol und Drogen eine Rolle.
"Aber nicht alle Vorfälle werden gemeldet", ist Petra L. überzeugt. "Viele wollen nicht darüber sprechen. Man will keine Schwäche zeigen."
Selbstschutz: Aicher Sanitäter bekommen Unterricht in Kampfsport
Das Rettungsdienstunternehmen Aicher Ambulanz Union, das unter anderem den Sanitätsdienst auf der Wiesn verantwortet, hat nach dem brutalen Angriff gegen Petra L. Konsequenzen gezogen. Bereits kurze Zeit später bot der private Rettungsdienstleister seinen Mitarbeitern Selbstverteidigungskurse an. Die Teilnahme ist freiwillig, die Kosten für das Training übernimmt Arbeitgeber Aicher.
Während andere Rettungsdienstleister wie der Malteser Hilfsdienst oder der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) ausschließlich auf Deeskalation setzen, lernen die Aicher-Mitarbeiter, sich für den Fall, in dem gute Worte nicht mehr helfen, zu schützen und zu verteidigen. Dafür bekommen Sie Unterricht in einer Kontaktkampf-Methode, die auch beim israelischen Militär gelehrt wird: Krav Maga (hebräisch: Kontaktkampf)
"Er hat mir Selbstsicherheit und Vertrauen gegeben"
"Ich weiß jetzt, wie ich mich wehren kann", sagt die Sanitäterin Das Angebot kommt an. "Mittlerweile haben fast 200 von 500 Mitarbeitern, die im Kranken- und Rettungsdienst tätig sind, teilgenommen", sagt Aicher-Ambulanz-Sprecherin Ulrike Krivec. 57 Prozent der Teilnehmer sind Männer.
Petra L. sagt, sie habe viel gelernt in dem Kurs. "Er hat mir Selbstsicherheit und Vertrauen gegeben." Sie bleibt insgesamt gesehen mehr auf Distanz. "Und ich weiß jetzt: Ich kann mich wehren." Ihre Finger hat sie seitdem nie wieder unter die Gurte ihres Rettungsrucksacks geschoben. Jetzt behält sie ihre Hände immer oben: "Um gegebenenfalls Schläge abwehren zu können." Aber die Notfallsanitäterin macht sich nichts vor: "Wenn das Gegenüber 20 Kilo schwerer ist als du, hast du keine Chance!" Das Risiko, angegriffen und verletzt zu werden, wenn sie helfen will, bleibt.
Harte Strafe für Täter
Am 22. Juni 2018 sorgte eine brutale Attacke in Ottobrunn für Entsetzen: Ein betrunkener Eritreer (20) warf nach einem Streit in seiner Unterkunft eine volle Whiskyflasche auf einen Notarztwagen der Feuerwehr. Das Auto stand vor einem Seniorenwohnheim. Die Flasche durchschlug die Seitenscheibe und traf eine Notärztin (46) am Kopf. Sie erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma, einen Kieferbruch und zahlreiche Schnittverletzungen. Außerdem verlor sie mehrere Zähne. Der Rettungssanitäter, der auf dem Fahrersitz gesessen hatte, wurde durch Splitter am Auge verletzt.
Innenminister Joachim Herrmann (CSU) verurteilte den Angriff damals scharf und forderte eine rasche Abschiebung des 20-Jährigen. Der Angreifer musste sie am 13. Februar 2019 vor Gericht verantworten. Er wurde wegen gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt.
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