Kampagne "Mietenstopp!": Warum die Mieten in München Pause brauchen

Münchner Wohnungen werden immer teurer. Doch muss das wirklich immer so weitergehen? Ein Bündnis fordert für sechs Jahre einen Mietenstopp. Was dahinter steckt und was das bringen soll.
von  Christina Hertel
Die Miete von Frau C. könnte ständig steigen, ohne Grenze.
Die Miete von Frau C. könnte ständig steigen, ohne Grenze. © Bernd Wackerbauer

München - Die Mieten steigen. Dieser Satz erscheine in München wie ein Naturgesetz, sagt Simone Burger. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des Münchner Mietervereins - und der will das nicht mehr hinnehmen. Deshalb hat sich der Verein so wie 160 andere Initiativen und Organisationen aus ganz Deutschland der Kampagne "Mietenstopp!" angeschlossen. Die Forderung: Sechs Jahre lang sollen die Mieterhöhungen extrem begrenzt werden. In angespannten Regionen wie in München sollen die Mieten gar nicht mehr steigen.

Vor allem erhofft sich das Bündnis davon Zeit. "Wir brauchen eine Atempause", sagt Burger. In diesen sechs Jahren müsse die Politik jedoch handeln - und viele Gesetze ändern. Zum Beispiel, erklärt Burger, fallen Sozialwohnungen nach einer bestimmten Zeit aus ihrer Bindung. Dieses "Verfallsdatum" müsste aus ihrer Sicht weg. Auch, dass Kommunen nur noch in großen Ausnahmen ein Vorkaufsrecht ausüben können, findet Burger nicht richtig.

Die Miete von Frau C. könnte ständig steigen, ohne Grenze.
Die Miete von Frau C. könnte ständig steigen, ohne Grenze. © Bernd Wackerbauer

Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, hat die Kampagne schon im vergangenen Jahr einen Aktionstag gestartet. Diesen Samstag wiederholt sie diesen. In ganz Deutschland gibt es Aktionen und Demos. In München baut der Mieterverein in der Rosenstraße einen Infostand auf. Am Samstag von 10 bis 17 Uhr können sich Mieter dort über ihre Rechte informieren.

Außerdem zieht am Samstag, 15. Oktober, ab 15 Uhr ein lauter Demozug durch die Münchner Innenstadt. Die Initiativen #ausspekuliert und "Mehr Lärm für München" haben sich dafür zusammengetan. Außerdem hat der Mieterverein am Freitag die AZ zu Münchner Mietengeschichten geführt, die beispielhaft für die Probleme vieler in dieser teuren Stadt stehen.

Wenn mit den Preisen auch die Miete steigt

Frau C., 70 Jahre alt, seit 50 Jahren in München zuhause, müsste eigentlich keine Angst haben. Ihre Rente sei ausreichend, selbst im teuren München. Sie habe früher in einem technischen Beruf gearbeitet, gut verdient und immer etwas gespart, so erzählt sie es. Doch für die jüngste Mieterhöhung fällt auch ihr nur ein Wort ein: "Puh." Frau C. will zwar mit der Presse sprechen, weil sie glaubt, dass es vielen so geht wie ihr. Ihren Namen will sie jedoch nicht in der Zeitung lesen.

Vor acht Jahren zog sie in ein großes Mietshaus am Haderner Stern, ein Bauwerk aus Zeiten, in denen es eher um das Praktische als das Schöne ging. Frau C. schloss damals einen Index-Mietvertrag ab. Das heißt, Der Vermieter darf die Miete im gleichen Rahmen erhöhen wie der Verbraucherpreisindex, also die Inflation, steigt. Frau C. muss seit Oktober etwa 1.260 Euro warm für ihre 70 Quadratmeter große Wohnung im fünften Stock zahlen. Es gibt einen Balkon, das Wohnzimmer ist hell, ein Luxus ist es nicht.

Trotzdem zahlt Frau C. etwa 200 Euro im Monat mehr als die ortsübliche Vergleichsmiete. Grund dafür ist die hohe Inflation. Gleichzeitig gibt es bei Indexmieten keine Begrenzung nach oben. Früher, so schildert es Volker Rastätter vom Mieterverein, hätten Eigentümer nur selten solche Verträge ausgestellt. Inzwischen seien die meisten neuen Mietverträge solche Index-Verträge. Und immer häufiger haben die Mieter Schwierigkeiten, die Kosten zu bezahlen. Etwa 80 Prozent ihrer neuen Klienten, so Rastätter, habe ein Problem mit der Index-Miete. Der Mieterverein fordert deshalb: Auch für Index-Mieten muss es einen Deckel geben.

Hätte die Stadt diese Wohnanlage in Schwabing noch kaufen können, hätte diese Familie nicht so viel Angst.
Hätte die Stadt diese Wohnanlage in Schwabing noch kaufen können, hätte diese Familie nicht so viel Angst. © Bernd Wackerbauer

Wenn die Unsicherheit wächst

Clara und Peter nennen sich "zwei Münchner Kindl". "Wir haben erlebt, wie schön es ist, in München aufzuwachsen und das wollen wir für unsere Kinder auch", sagt sie, eine 34 Jahre alte Arzthelferin, Mutter von zwei kleinen Töchtern. Doch nun muss sie zuschauen, wie sich ihr Freundeskreis langsam auflöst. Praktisch alle Paare ziehen raus aus München, sobald sie Kinder haben, und zwar selbst dorthin, wo keine S-Bahn mehr hält.

Dass es in München kein Häuschen mit Garten wird, war Clara und Peter, die eigentlich anders heißen, immer bewusst. Auch, dass sie Claras komplettes Arzthelferinnen-Gehalt für die Miete ausgeben müssen, weil es in München nicht geht, dass einer zu Hause bei den Kindern bleibt. Sogar mit einer moderaten Mieterhöhung alle paar Jahre hätten sie sich abgefunden. Solange sie Gewissheit gehabt hätten, dass sie ihr Zuhause an der Karl-Theodor-Straße 106, das sie sich vor vier Jahren eingerichtet haben, nicht so schnell verlassen müssen.

Doch diese Sicherheit hat die Familie seit diesem Sommer nicht mehr. Eine Immobilienholding kaufte den Wohnblock. Und seitdem fürchtet sich die Familie vor: Sanierung, Mieterhöhung, Vertreibung. Hätte der frühere Eigentümer ein Jahr zuvor verkauft, hätte die Stadt vielleicht selbst zugeschlagen. Denn der Wohnblock liegt in einem Erhaltungssatzungsgebiet. In diesen Bereichen gilt das Milieu als so schützenswert, dass die Stadt mehr Rechte hat als anderswo.

Doch seit gut einem Jahr hat die Stadt das bis dahin schärfste Mittel in diesen Gebieten nicht mehr: das Vorkaufsrecht. Bei Immobiliendeals konnte die Stadt eingrätschen. Und das tat sie bis vor einem Jahr immer häufiger. Alleine 2020 gab die Stadt für 21 Immobilien 147 Millionen Euro aus. Das Gericht kippte diese Praxis jedoch vergangenen Herbst. Jetzt dürfen Kommunen nur noch kaufen, wenn das Gebäude leer oder verfallen ist. 556 Wohneinheiten sind der Stadt laut Simone Burger vom Mieterverein seitdem entgangen, bis jetzt.

Clara, Peter und ihre zwei Töchter können nicht auf den Schutz der Stadt hoffen. Um ihre Rechte trotzdem rechtzeitig einzufordern, hat sich die Familie der Mietergemeinschaft angeschlossen. Für alle anderen Mieter hofft Burger, dass das Vorkaufsrecht bald zurückkommt. Einen Gesetzesentwurf hat die Bauministerin in Berlin bereits ausgearbeitet. Doch noch scheitert der Beschluss am Widerstand der FDP.

Wenn am Ende doch alles gut ausgeht

Dass es manchmal mit einem langen Atem doch gut ausgehen kann, zeigt die Geschichte von Jens van Rooij. Er ist 46, ein freiberuflicher Lektor. Seit 2013 lebt er in einer Wohnanlage am Luitpoldpark in Schwabing – und in den vergangenen vier Jahren kämpfte er, sein Zuhause an der Schleißheimer, Ecke Bamberger Straße nicht zu verlieren. "Bis 2013 war es hier total friedlich", sagt er. "Wir waren eine gemischte Mieterschaft." Altenpfleger, Kreative, Beamte, Bankangestellte, zählt er auf. Im Innenhof wuchsen so viele alte Bäume, dass van Rooij das Grün einen "kleinen Regenwald" nennt.

Die Geschichten vom rauen Münchner Mietmarkt seien für die Bewohner bloß ein leises Rauschen gewesen, ganz weit weg, so erzählt es der 46-Jährige. Dann kam plötzlich der Knall, das heftige Erwachen: Eine luxemburgische Fondsgesellschaft kaufte die Anlage mit ihren 89 Parteien. "Die erste Mieterhöhung kam prompt und schöpfte das Maximale aus", sagt Jens van Rooij. Der kleine Regenwald im Innenhof wurde platt gemacht, eine Aufstockung des Daches vorbereitet. Alles schockierend, doch so richtig hätten sich die Mieter erst Sorgen gemacht, als die Fondsgesellschaft beim Grundbuchamt das Haus aufteilen ließ. Das Ziel: Jede Wohnung einzeln zu verkaufen, um den Gewinn zu maximieren.

Ständig war die Mietergemeinschaft, die Jens van Rooij gegründet hatte, damals in der Presse. "Es waren lauter kleine Nadelstiche", sagt er heute rückblickend. Und die lohnten sich: Die Immobiliengesellschaft bot die Anlage der Stadt diesen Sommer zum Kauf an – für 83,4 Millionen Euro. Vier Jahre zuvor hatte das Unternehmen 41,5 Millionen bezahlt. Ein saftiger Gewinn. Die Stadt schlug trotzdem zu. Der Kampf, die vielen Interviews und Fotos, die Empörung – all das habe sich am Ende ausgezahlt, da ist sich Jens van Rooji sicher.

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