Kakerlaken und Mäusedreck: Neuanfang für Müller-Brot?

Am Freitag entscheidet sich das Schicksal der nach einem einzigartigen Hygieneskandal geschlossenen Bäckerei Müller-Brot. Auch um die Zukunft von 1100 Beschäftigten geht es, wenn die Lebensmittelbehörden entscheiden, ob der Betrieb wieder starten kann.
Neufahrn – Gespannt werden sich die Blicke an diesem Freitag auf die Produktionshallen der Großbäckerei Müller-Brot in Neufahrn bei Freising richten. Lebensmittelkontrolleure nehmen dann die riesigen Rührbottiche, Backöfen und Förderbänder akribisch unter die Lupe. Mäusekot und Maden dürfen sie dabei nicht finden, denn sonst wäre die heiß ersehnte Genehmigung zur Wiederaufnahme des Betriebes Makulatur.
Nach dem einzigartigen Hygieneskandal um Mäusedreck und Kakerlaken in Backzutaten steht die Produktion bei dem einstigen weiß-blauen Vorzeigeunternehmen seit zweieinhalb Wochen still. Müller-Brot muss Millionenverluste verkraften. Beschäftigte befürchten einen massiven Stellenabbau, sollten die Kunden um die Brezn und Brote aus Neufahrn auch nach dem Generalsaubermachen einen weiten Bogen machen.
Doch nicht nur für die 1100 Mitarbeiter der Brotfabrik, auch für die Lebensmittelbehörden geht es um viel. Sie müssen verloren gegangenes Vertrauen in die strenge Kontrolle des Grundnahrungsmittels Brot und Kulturgutes von biblischer Bedeutung zurückgewinnen.
Jahrelang hatten sich Mäuse, Motten und Schaben in der Fabrik so groß wie sieben Fußballfelder häuslich eingerichtet. Seit Juli 2009 kontrollierten die Lebensmittelbehörden die Produktionsanlagen 21 Mal, ließen Schmuddelware mehrmals vernichten, sprachen Buß- und Zwangsgelder von zusammen fast 70.000 Euro aus. In mindestens drei Fällen waren die Brezn und Brote schon in den Läden – ob auch in den Mägen der Kunden, wollen die Aufsichtsbehörden nicht sagen.
Doch zur Schließung der Fabrik und zaghaften Aufklärung der Verbraucher kam es erst am 30. Januar 2012. „Die rechtlichen Voraussetzungen hierfür waren nicht gegeben“, heißt es lapidar beim Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) auf die Frage, warum der Schritt nicht schon früher erfolgte.
Die Gewerkschaft befürchtet das Schlimmste
Seit die Backöfen in dem 2003 mehrheitlich an den Multimillionär Klaus Ostendorf verkauften früheren Familienunternehmen kalt sind, geht bei den Mitarbeitern die Angst um. Zwar haben Gesellschafter und Geschäftsführung bisher keine Zahlen zum befürchteten Stellenabbau genannt. Doch befürchtet die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) das Schlimmste. Bei der Belegschaft herrsche Verzweiflung, sagt Mustafa Öz, weil die Firmenchefs jede Antwort zur Frage des Personalabbaus schuldig blieben.
Zwar kam Ostendorf vergangenen Freitag zu einem Gespräch mit dem Betriebsrat nach Neufahrn, der Betriebsversammlung mit 500 wütenden Mitarbeitern blieb er aber fern. Wütend sind auch viele Verbraucher. Fahrer von Müller-Brot-Lastern müssen sich beschimpfen lassen, sogar Autoscheiben wurden schon eingeschlagen. Der Discounter Lidl hat seine Aufträge storniert, andere Großkunden wollen angeblich nachziehen. Verzweifelte Pächter von Müller-Brot-Filialen, die nicht einmal mehr die derzeit zugekaufte Fremdware anderer Großbäckereien loswerden, solidarisieren sich und lassen sich anwaltlich beraten.
Da hilft auch nicht, dass der medienscheue Mehrheitseigentümer Ostendorf sich in einem seiner seltenen Interviews für die „groben Fehler“ entschuldigte. Er übernehme persönlich die Verantwortung, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“. Das Vertrauen der Kunden wiederzugewinnen werde „ein verdammt steiniger Weg“.
Landrat zwischen allen Stühlen
Freisings Landrat Michael Schwaiger (Freie Wähler) steht zwischen den Stühlen. Er muss der Kontrollfunktion seiner Behörde nach einwandfreien Lebensmitteln nachkommen, will aber auch die Arbeitsplätze des fleißigen Gewerbesteuerzahlers nicht verlieren. „Wenn es Müller-Brot gelingt, durch offenes und transparentes Vorgehen die Verbraucher zu beruhigen beziehungsweise zurückzugewinnen, hat die Firma aus meiner Sicht gute Chancen für einen Neuanfang“, sagt er im Diplomatendeutsch.
In den vergangenen zwei Wochen haben die Mitarbeiter von Müller-Brot geputzt und geputzt. Sogar Umbauten wurden vorgenommen, um künftig die Maschinen besser reinigen und dem Ungeziefer zu Leibe rücken zu können. Immerhin geht es um 54 000 Quadratmeter Fläche. Mit dem Getreide-„Papst“ und Professor Thomas Becker von der Technischen Universität München hat sich das Unternehmen externen Beistand geholt. „Müller-Brot stellt die Produktion in Neufahrn grundlegend auf den Prüfstand, um am Ende das Vertrauen der Verbraucher wiederzugewinnen“, heißt es auf der Firmen-Homepage.
Am Freitag schlägt der Großbäckerei die Stunde der Wahrheit. Gewerkschafter Öz hofft auf grünes Licht: „Wenn nicht, wäre das eine Katastrophe.“