Kahlschlag in München: Baum-Schwund in Bogenhausen

Die Stadt verliert eine grüne Lunge: Im Herzogpark werden immer mehr Bäume durch luxuriöse Betonbauten ersetzt. Die Bauherren kostet dieser Kahlschlag fast nichts.
von  Nina Job und Irene Kleber
Kahlschlag hinterm Bauzaun an der Mauerkircherstraße 65: Etwa 20 Bäume sind gefällt worden, sie müssen für einen vierstöckigen Neubau weichen.
Kahlschlag hinterm Bauzaun an der Mauerkircherstraße 65: Etwa 20 Bäume sind gefällt worden, sie müssen für einen vierstöckigen Neubau weichen. © Nina Job

München - Schöne alte freistehende Häuser, herrschaftliche Gärten mit alten Bäumen, Vogelgezwitscher. Wenn Justine Wein durch den Herzogpark in Bogenhausen zwischen Isar und Isarhochufer spazierte, freute sie sich an der üppigen Natur. Das noble Wohnviertel im Herzogpark galt für sie immer als eine ruhige und grüne Wohn-Oase in der Stadt.

Umso größer war ihr Entsetzen, als sie kürzlich mit dem Bus die Mauerkircherstraße entlang fuhr. Wo vorher ein Wäldchen gestanden hatte, war plötzlich nichts mehr. Auf dem Grundstück mit der Hausnummer 65, neben der Villa, in der früher der französische Generalkonsul mit Butler gewohnt hatte, lagen rund 20 Bäume – gefällt und zerstückelt. "Das war mal ein Biotop", sagt die AZ-Leserin, "das macht mich wütend und traurig!"

"Sobald vor einem Haus Pfleger parken, kreisen die Immobiliengeier"

Ein Kahlschlag-Bild, wie es immer mehr Münchnern zu schaffen macht. Weil laufend neue Wohnungen gebaut werden, verliert die Stadt viel jahrzehntelang gewachsenes Grün. Rund 2.500 Fichten, Linden, Kastanien oder Ahornbäume verschwinden jedes Jahr – und werden nicht nachgepflanzt, hat der Bund Naturschutz (BUND) anhand von Baumfällungszahlen aus dem Planungsreferat errechnet.

Innerhalb von fünf Jahren, zum Beispiel, haben Grundstückseigentümer mehr als 29.000 Bäume zur Fällung beantragt. Rund 26.000 hat die Untere Naturschutzbehörde genehmigt. Dafür sollten rund 12.000 junge Bäume nachgepflanzt werden (für den Rest wurden Ausgleichszahlungen verlangt). Nachweisbar ersetzt wurden aber nur rund 3.000, heißt es aus dem Amt. Denn mangels Personal wird kaum kontrolliert.

"Egal ob in Solln, Obersendling, Trudering oder Bogenhausen", sagt BUND-Baumschutz-Expertin Angela Burkhardt-Keller, "überall verschwinden die kleinen alten Einfamilienhäuschen mit den großen Gärten. Dabei brauchen wir die grünen Lungen doch, als Frischluftschneisen und um die Viertel im Sommer zu kühlen."

An der Mauerkircherstraße mussten die Bäume weichen, weil dort ein vierstöckiges Mehrfamilienhaus gebaut werden soll. Die Lokalbaukommission (LBK) hat die Fällungen, abgestimmt mit der Naturschutzbehörde, genehmigt, erklärt LBK-Vize Thomas Rehn. Ein Problem, das auch hier drohen könnte: Selbst wenn die Bauherren gewillt sind, nach Abschluss der Baumaßnahmen neue Bäume zu pflanzen, fehlt dann oft der Platz.

Im Herzogpark gibt es aktuell viele Straßen, in denen Bagger stehen. "Man kann darauf warten. Sobald vor einem alten Haus der ambulante Pflegedienst parkt oder der Rasen nicht mehr gemäht wird, kreisen die Immobiliengeier", erzählt eine Mutter, die dort wohnt. Wenn die alten Eigentümer sterben, verkaufen die Erben meist an Bauträger. Die bieten in der Regel einen höheren Preis, als sich eine einzelne Familie üblicherweise leisten kann.

Die Bauträger oder Immobilienentwickler reißen dann das alte Haus ab, reizen das Baurecht maximal aus, und bauen große Riegel – mit möglichst vielen Eigentumswohnungen. Steht der Neubau, sind von den ehemals großzügigen Gärten oft nur noch vorgartengroße Grünstreifen übrig.


Was sagen Sie?

Gibt es Kahlschlag auch bei Ihnen im Viertel? Was denken Sie über Nachverdichtung? Schreiben Sie uns: leserforum@az-muenchen.de oder Abendzeitung München, Garmischer Straße 35, 81373 München



Noch steht es da, das alte Hause in der Mauerkircherstraße 155. Die Bäume wurden bereits gefällt. Der Abrissbagger ist bestellt. Foto: Nina Job

Rund 2.500 Kastanien, Fichten und Linden verschwinden jedes Jahr für Baumaßnahmen aus der Stadt. Wie gerade in Bogenhausen.

Mauerkircherstraße 155 – Wie Luxus die Bäume vernichtet


Bis 2019 soll hier ein dreigeschossiger Neubau mit sechs Eigentumswohnungen entstehen. Die Abbildung der Tiefgarage zeigt: Reichlich Platz für die Luxuskarossen der künftigen Bewohner wird ebenfalls geschaffen. Foto: Nina Job

Das geplante Projekt in der Mauerkircherstraße 155 zeigt, wie sich der Herzogpark verändert. Noch steht ein altes Haus auf dem 1.249 Quadratmeter großen Eckgrundstück. Doch die Abrissbirne naht.

20 Bäume müssen für den Neubau gefällt werden, nur 15 müssen nachgepflanzt werden. Für fünf weitere Bäume muss der Bauherr 3.750 Euro Ausgleich zahlen. Eine riesige Tafel mit Hochglanz-Visualisierung zeigt, was bis Frühjahr 2019 bezugsfertig sein soll: ein Neubau mit "sechs eleganten Eigentumswohnungen" und ausreichend Platz für die Luxuskarossen.

Projektentwickler M-Concept, der im Herzogpark mehrere Bauvorhaben realisiert, arbeitet eng zusammen mit dem Immobilienmakler Duken & v. Wangenheim. Der Verkauf der geplanten Immobilie in einer der "Prachtstraßen in absoluter Bestlage des Herzogparks" hat bereits begonnen. Eine Drei-Zimmer-Wohnung (130 qm) wird für 2,35 Millionen angeboten. Weitere Beispiele? Lesen Sie selbst!

Grüntal im Herzogpark – Wohnungen statt Wirtshaus


Das "Wirtshaus im Grüntal" war über 100 Jahre ein Idyll nahe des Oberföhringer Isar-Stauwehrs. Nun steht dort ein Gebäuderiegel mit schicken Garten-, Bel-Étage- und Dachterrassen-Eigentumswohnungen. Foto: Nina Job

Noch ein Stück München, das verschwunden ist: Wo im Herzogpark bis 2012 noch das "Wirtshaus im Grüntal" unter alten Kastanien stand, hat Projektentwickler M-Concept elf "elegante Eigentumswohnungen" mit Tiefgaragen gebaut. Statt Park und Bäumen auf 3.350 Quadratmetern steht dort nun ein dreigeschossiger Riegel. Sieben Bäume sollen nachgepflanzt werden.

Das Traditionswirtshaus nahe des Oberföhringer Stauwehrs stand über 100 Jahre dort. Ab 1990 führten es das Gastro-Unternehmen Kuffler und die Paulaner-Brauerei; 2010 war Schluss. Freunde des Grüntal versuchten, es mit Spenden für acht Millionen Euro zu kaufen. Es kam nicht genug zusammen.

Walmdachvilla an der Kolbergerstraße 5 – "Kein Denkmal!" - vom Ende eines Lieblingshauses


1923 ist dieses Haus gebaut worden, beim Umbau wurde es 1985 verändert. Weil es damit nicht...


... mehr als Denkmal galt, haben Bagger es samt Bäumen und Sträuchern plattgemacht. Foto: Nina Job

Die Anwohner waren erbost, als 2013 durchsickerte, dass die Walmdach-Villa von 1923 vor dem Abriss stand. Das Schmuckstück mit Erkern und Kalk-Sand-Mörtel im großen Garten an der Kolbergerstraße 5 plattmachen – wieder mal für dichter gebaute Neubauten in Bogenhausen? Nicht mit uns!

Am Ende ging der Protest ins Leere. Ein Gericht befand im Sommer 2015, dass die Villa "kein Denkmal" mehr sei – auch wenn das 1973 auf der Denkmalliste mal so notiert worden war. Denn Mitte der 80er Jahre war das Haus umgebaut worden: Wände und Holzfußboden kamen raus, der Wintergarten wurde vergrößert, die Fenster erneuert. Nach diversen Gutachten verzichtete die Stadt München auf eine Berufung gegen das Urteil – die Abrissbirne kam.

Der Eigentümer (ein Immobilienunternehmen) plant mit Architekt David Chipperfield eine fünfstöckige Wohnanlage mit neun Eigentumswohnungen auf 1.600 Quadratmetern. Geplant war mal, dass in eine der Wohnungen der hochbetagte ehemalige Besitzer der Villa einzieht.

Ehemalige "Flick-Villa" an der Pienzenauerstrasse 111 – Aus einer Milliardärs-Trutzburg werden zehn Luxuswohnungen


Unscheinbar von der Seite – umso trutziger von innen: die ehemalige "Flick-Villa" an der Pienzenauerstraße. Foto: ho


Heute steht hier dieser Bau mit zehn Eigentumswohnungen, die zu den teuersten in München gehören. Foto: Nina Job

Im Sommer 2014 verschwand an der Pienzenauerstraße 111 im Herzogpark eine der merkwürdigsten Luxus-Immobilien Münchens: die Bogenhauser Villa des 2006 verstorbenen Multimilliardärs Friedrich Karl Flick (153 Zimmer auf 2.100 Quadratmetern Wohnfläche), die seit 1979 am Isarhochufer auf einem riesigen Gartengrundstück stand. Es war eine Trutzburg mit Panzerglas-Fenstern, Atombunker im Keller, Tiefgarage mit bombensicherer Betondecke und vergoldeten Armaturen in den Toiletten. Baukosten damals: 28 Millionen Mark.

Zur Abrissparty im Herbst 2013 kamen 300 Promis, darunter Schauspieler, Sportler, Wirte, Unternehmer, Adel und Medienleute. Schon damals waren die Nachbarn wenig begeistert – weder vom Verkauf noch vom Abriss, und schon gar nicht davon, dass das grüne Grundstück großzügig zugebaut werden sollte. Passiert ist es trotzdem: Nun steht ein moderner Riegel da mit zehn Luxus-Eigentumswohnungen – jede 100 bis 400 Quadratmeter groß. Bei der Planung war noch von Spitzen-Kaufpreisen von rund 19.000 Euro pro Quadratmeter die Rede gewesen – das kommt natürlich längst nicht mehr hin. Verkauft waren die Edelwohnungen trotzdem ruckzuck – noch bevor das Haus fertig war.

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