Kabarettist Christian Springer: „Es ist eine Katastrophe“

Christian Springer, Kabarettist und Orienthelfer, spricht im AZ-Interview über den Vormarsch der Dschihadisten in Syrien und das Elend der Flüchtlinge im Libanon
von  Natalie Kettinger
Lichtblick: 400 Flüchtlingskinder können jetzt im Libanon zur Schule gehen – manche zum ersten Mal.
Lichtblick: 400 Flüchtlingskinder können jetzt im Libanon zur Schule gehen – manche zum ersten Mal. © Orienthelfer e.V.

AZ: Herr Springer, Sie sind seit Jahren in Syrien aktiv. Was halten Sie von den US-Angriffen auf die Stellungen der Al-Nusra-Front?

CHRISTIAN SPRINGER: Wenn eine zielgerichtete Politik dahinterstünde, würde sogar ich, als kompletter Nichtmilitarist eingestehen: Bevor noch mehr unschuldige Menschen vergewaltigt werden und durch Mörder ihre Köpfe verlieren, muss man leider auch militärisch eingreifen. Aber einer einzelnen Gruppe von Kurden zu helfen, und dem Gemetzel ein paar Kilometer weiter einfach zuzuschauen, das finde ich grauenhaft. Mir fehlt da die politische Linie.

Welche Auswirkungen hat das Vorrücken der Islamisten auf Ihre Projekte?

Wir haben die Feuerwehr in Aleppo mit unseren Feuerwehrautos unterstützt: Die Männer, die Verschüttete ausgraben, die Brände löschen, die Helden von Aleppo. Letzte Woche sind sie in einen Streik getreten, weil dort, wo sie löschen, nun Dschihadisten das Sagen haben und sie nicht mehr bezahlen wollen. Das Kalifat ist zwar woanders, aber es gibt überall im Land Gruppen von Dschihadisten.

Sie helfen auch in einem Flüchtlingscamp unweit der Stadt Arsal, direkt an der syrisch-libanesischen Grenze. Wie ist die Situation dort?

Eine große Katastrophe. Es sind 25 libanesische Polizisten und Soldaten von der Nusra-Front auf die syrische Seite entführt worden. Die wollen so verhaftete Extremisten im Libanon freipressen. Darauf lässt sich der Libanon nicht ein – und die Dschihadisten haben bereits zwei Libanesen geköpft und einen erschossen. Bei Arsal ist mehrere Tage gekämpft worden und 80 Prozent der Flüchtlingszelte sind abgebrannt. Auch unser Containerlager, das zum Glück noch nicht bezogen war, hat Einschusslöcher, Schrapnell- und Granateneinschläge abbekommen. Aber wir konnten es wieder herrichten. Nächste Woche werden 1500 Flüchtlinge einziehen.

Es gibt noch eine gute Nachricht: Sie haben im Libanon eine Schule eröffnet.

Ja, in Sichtweite der Grenze, für 400 syrische Kinder. Im Libanon sind die Klassen komplett überfüllt, es gibt einen Aufnahmestopp für syrische Schüler.

Welche Geschichten haben diese Kinder?

Wir haben einen Bub, vor dessen Augen sieben Familienmitglieder erschossen wurden. Der hat ein Jahr lang nicht geredet. Jetzt plötzlich, nach einer Woche Unterricht, entwickelt er langsam soziales Verhalten. Eine andere Geschichte, die mich sehr bewegt hat, ist die einer Zehnjährigen, die noch nie zuvor eine Schule von innen gesehen hat. Denn genau in der Woche, in der sie in Syrien eingeschult werden sollte, musste sie fliehen. Haus kaputt, die halbe Familie tot. Die Begeisterung, mit der dieses Kind unsere Schule besucht, geht schon sehr ans Herz.

Auf der Warteliste stehen 600 weitere Mädchen und Buben. Was ist mit denen?

Im Moment wäre es unseriös, sie aufzunehmen. Dann säßen da Zwölfjährige neben Achtjährigen und es würde nichts mehr gelernt. Deshalb sammele ich Geld für eine zweite und eine dritte Schule. Schlimm ist: Die Mütter dort hungern, viele haben gar nichts mehr. Aber das Einzige, um was sie betteln, ist: Bringt meine Kinder auf die Schule. Manche hängen stundenlang weinend am Tor und flehen: Bitte, nehmt wenigstens meine Älteste.

Der Abschluss, den die Kinder auf der Orienthelfer-Schule machen können, berechtigt sie, eine weiterführende Schule im Libanon zu besuchen. Allerdings sind die Flüchtlinge dort schon jetzt nicht gerne gesehen.

Die Animositäten nehmen zu. Wir haben einer Familie, deren Kind eine schwere Brandverletzung hat, die Wohnung bezahlt, weil das Kind hygienische Verhältnisse braucht. Wir mussten sie dort wieder herausholen. Die Mutter und die Kinder wurden von den Nachbarn geschlagen.

Der Libanon hat 4,5 Millionen Einwohner. Wie viele Syrer sind dorthin geflüchtet?

Sicherlich zwei Millionen. Die genaue Zahl ist nicht nachprüfbar. In Tripolis gibt es einen Stadtteil mit 140 000 Syrern, der heißt jetzt Homs – wie die Stadt, aus der sie geflohen sind. Die umliegenden Länder fürchten, dass sie die Syrer, wie einst die Palästinenser, über Jahrzehnte im Land haben und versorgen müssen. Eine berechtigte Angst, die für viel ungute Stimmung sorgt.

Christian Springer mit zwei jungen Männer, denen er und sein Verein geholfen haben. Quelle: Orienthelfer e.V.

Auf dem Foto oben sind Sie und zwei junge Männer zu sehen. Wer sind sie?

Verletzte junge Männer ab 15 Jahren, die es in den Libanon geschafft haben, stehen unter Generalverdacht, professionelle Kämpfer zu sein. Sie stehen ganz am Schluss der Hilfskette. Im Norden Libanons gibt es ganze Häuserzeilen, in denen hunderte von ihnen liegen. Mit null Versorgung, ohne Medikamente, ohne Essen.

Wie kamen Sie mit diesen beiden in Kontakt?

Ich bin im Libanon sehr gut vernetzt und es passierte Folgendes: Ich stehe in der Früh in Berg am Laim beim Zähneputzen und es ploppt ein Bild auf mit der Nachricht: „Dem Mohammed muss das Bein abgenommen werden. Es ist entzündet. Es sind Schrapnells im Bein. Kannst du was tun?“ Manchmal kann ich das. Dem einen habe ich den Arm gerettet, der nur noch von Haut und Fleisch zusammengehalten wurde, weil die Knochen zerstört waren. Beim anderen konnten wir verhindern, dass er sein Bein verliert, indem wir ihm eine Operation in Beirut bezahlt haben. Aber ganz vielen anderen kann ich nicht helfen. Erst letzten Donnerstag bekam ich einen Anruf, dass einer verstorben ist, weil kein Geld für die OP mehr da war.

Spenden für Syrien zu sammeln ist schwierig. Die Menschen geben lieber Geld für die Flüchtlinge im Irak oder Naturkatastrophen. Warum?

Hat die Natur den Menschen etwas angetan, dann hilft man. Bei kriegerischen Auseinandersetzungen wartet man offenbar, bis klar ist, wer gut und wer böse ist. Das ist im Syrienkonflikt eine sehr verzwickte Geschichte. Die Politik sagt: Wir liefern keine Waffen, weil wir nicht wissen, in wessen Hände sie fallen. Und ich habe den Eindruck, dass das bei der humanitären Hilfe genau so läuft. Nach dem Motto: Wir wissen ja nicht, wem man da hilft. Das ist ein Gedanke, den ich für grundsätzlich falsch halte. Wenn jemand am Boden liegt, muss man helfen. Das ist echte Humanität: dass man nicht auf das Geschlecht achtet, nicht auf die Religion und nicht auf die politische Couleur.

Zurück nach München. Wie kommt’s, dass Ihr Verein den Gebetsraum der Bayernkaserne ausgestattet hat?

Wir lagern in der Bayernkaserne unsere Feuerwehrfahrzeuge und ich hatte angeboten, die Garage wegen der Platznot zu räumen. Allerdings ist sie in einem derartigen Zustand, dass es unmenschlich wäre, dort Menschen unterzubringen. Deshalb durften wir drinbleiben – und haben eine Teppichsammlung für den Gebetsraum gemacht, der jetzt, pünktlich zum großen Opferfest, komplett ausgelegt ist. Darauf bin ich sehr stolz.

Zu Christian Springer: Der Münchner Kabarettist engagiert sich seit 2012 mit seinem Verein „Orienthelfer“ für die Menschen in Syrien und die Flüchtlinge im Libanon. Am 19. Oktober macht er sich wieder auf den Weg dorthin.

Das Interview führte Natalie Kettinger.

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