Justizopfer Gustl Mollath: Wie hoch wird er entschädigt?

Verhandlung im Landgericht München: Gustl Mollath saß siebeneinhalb Jahre in der Psychiatrie – nach diesem Justizirrtum steht ihm wohl eine Entschädigung zu. 
von  Sophie Anfang
Wilhelm Schlötterer unterstützt Gustl Mollath bei der Klage.
Wilhelm Schlötterer unterstützt Gustl Mollath bei der Klage. © Peter Kneffel/dpa

München – Es gibt diesen einen Moment nach der Verhandlung, da steht Gustl Mollath einfach nur da, etwas abseits und allein. Die meisten Beobachter haben da schon den Gerichtssaal verlassen, die Kameras sind auf seinen Anwalt gerichtet. Der Trubel um Deutschlands wohl bekanntestes Justizopfer ist zumindest vorübergehend wieder vorbei.

Da steht Mollath nun, mit Aktentasche, Schnurrbart, Anzug und roter Krawatte. Wenn er sich freut, tut er es sehr still. Keine Siegerposen, vielleicht ist dafür auch keine Kraft mehr da. Mollath hat viele Gerichtssäle von innen gesehen und meistens verließ er sie als Verlierer. Nicht heute.

Das Landgericht München unter dem Vorsitz des Vorsitzenden Richters Frank Tholl hat angedeutet, dass dem 62-Jährigen wohl eine Entschädigung zusteht – für die 2.747 verlorenen Tage und Nächte, die er zu Unrecht in der Psychiatrie verbracht hat.

Gustl Mollath fordert 1,8 Millionen Euro Schadenersatz

Im August 2006 hatte das Landgericht Nürnberg-Fürth Mollath eine Psychose attestiert und eine Unterbringung angeordnet. Nur einen Tag hatte die Verhandlung damals gedauert – und sei voller Verfahrensfehler gewesen, wie der Vorsitzende Tholl betont: "Derzeit tendieren wir dazu, das Urteil als rechtswidrig im Sinne der Menschenrechtskonvention anzusehen." Der damalige Vorsitzende in Nürnberg "war bemüht, das Verfahren schnell zu Ende zu bringen. Darunter hat wohl die Sorgfalt gelitten", so Tholl.

1,8 Millionen Schadenersatz und Schmerzensgeld fordert Mollath vom Freistaat. Darunter etwa 800.000 Euro Schmerzensgeld, 288.000 Euro Verdienstausfall und 90.000 Euro Anwaltskosten. Ob die Zahlung an ihn auch wirklich so hoch ausfällt, ist noch nicht absehbar. Vor allem was den Verdienstausfall betrifft – Mollath war vor seiner Einweisung selbstständig und reparierte Oldtimer – möchte das Gericht mehr Details. Die sollen nun in einem schriftlichen Verfahren geklärt werden.

Vor der Verhandlung hatte das Gericht den Parteien einen Vergleich über 600.000 Euro angeboten – wegen der "außergewöhnlich langen Dauer der Unterbringung" und "öffentlichen Stigmatisierung" Mollaths, wie es dessen Unterstützer, der ehemalige Ministerialrat und CSU-Kritiker Wilhelm Schlötterer betont.

Wilhelm Schlötterer unterstützt Gustl Mollath bei der Klage.
Wilhelm Schlötterer unterstützt Gustl Mollath bei der Klage. © Peter Kneffel/dpa

Mollaths Liste der Vorwürfe ist lang

Der Freistaat hingegen hat im Vorfeld angeboten, 170.000 Euro zu zahlen, zusätzlich zu den 70.000 Euro, die der 62-Jährige bereits erhalten hat. 70.000 Euro, die der Freistaat auf der Grundlage der 25 Euro pro Tag berechnet hat, die einem Justizopfer laut Bundesgesetz für jeden Tag zustehen, die der Betroffene zu Unrecht weggesperrt ist.

Auch in der Sache liegen die Meinungen am Verhandlungstag auseinander. Die Liste der Vorwürfe, die Mollath gegen den Freistaat vorbringt, ist lang. Die Richter, die ihn in die Psychiatrie gebracht haben, sollen Rechtsbeugung begangen, die Staatsanwälte die Schwarzgeldvorwürfe bei der Hypovereinsbank, die Mollath zur Anzeige gebracht hatte, gedeckt haben. "Ein Mensch wurde kaputtgemacht", sagt Mollaths Anwalt Hildebrecht Braun mit Nachdruck in der Stimme: "Herr Mollath kommt hier nicht als Bittsteller, Herr Mollath will sein Recht!"

Der Freistaat weist Mollaths Anschuldigungen zurück

Ganz anders tritt Michael Then auf, der den Freistaat vertritt. Er spricht so leise, dass aus dem Zuschauerraum von hinten "Lauter"-Rufe zu hören sind: "Wir sind noch weit auseinander, aber wir sind offen, zu einer gütlichen Einigung zu gelangen." Mollaths Vorwürfe weist Then trotzdem zurück. Da wird es hinten im Saal, wo viele Unterstützer Mollaths sitzen, kurz unruhig.

Der Vorsitzende Richter Frank Tholl (M.) ermahnt die Zuschauer im Vorfeld, ruhig zu sein: "Das ist keine Theaterveranstaltung."
Der Vorsitzende Richter Frank Tholl (M.) ermahnt die Zuschauer im Vorfeld, ruhig zu sein: "Das ist keine Theaterveranstaltung." © Peter Kneffel/dpa

Wann im Verfahren ein nächster Schritt erfolgt, bleibt am Mittwoch offen. Das Gericht setzt keinen weiteren Verhandlungstermin fest. Mollaths Anwalt Braun ist zuversichtlich, das Gericht habe anerkannt, dass die Ansprüche gerechtfertigt sind. "Es geht jetzt nur noch um die Höhe", sagt er nach der Verhandlung.

Und Mollath? Der sagt nach der Verhandlung, er sei "positiv überrascht". Die Richter hätten "sich wirklich bemüht die Akten zu durchforsten". Insofern sei das "ein großes Glück" für ihn. "Wie es ausgeht, kann man nicht absehen."

Und auch nicht, wie es für ihn weitergeht. Er repariere noch manchmal etwas, sagt Mollath. Doch wohin es geht, perspektivisch? "Ich frage mich, ob es Sinn ergibt, sich in Deutschland anzusiedeln", sagt der 62-Jährige. In Bayern sei er ohnehin nur noch "sehr selten."

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