Interview

Justizminister Georg Eisenreich (CSU) in der AZ: "Hubert Aiwanger im Amt zu belassen, war richtig"

Bayerns Justizminister Georg Eisenreich über die Reue Hubert Aiwangers, Klimakleber und wie die CSU die Grünen bei der Landtagswahl schlagen will.
von  Heidi Geyer, Christina Hertel, John Schneider
Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (r.) fordert einen "sachlich-differenzierten Blick" auf die Flugblatt-Affäre um Hubert Aiwanger (l.).
Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (r.) fordert einen "sachlich-differenzierten Blick" auf die Flugblatt-Affäre um Hubert Aiwanger (l.). © dpa/Sebastian Kahnert

München - Der Wahlkampf in Bayern ist in vollem Gange. Die CSU schickt sich wieder an, mit Abstand stärkste Kraft zu werden, hechelt in den Umfragen aber den eigenen Ansprüchen hinterher. Kein Grund zur Sorge, findet Justizminister Georg Eisenreich, der optimistisch bleibt, mit seiner Partei mehr Wahlkreise zu gewinnen als noch 2018.

Woher die Zuversicht kommt, wie er die Konkurrenz durch die Grünen sieht und wie er die Flugblatt-Affäre um Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger bewertet, verrät Georg Eisenreich im AZ-Interview.

AZ: Herr Eisenreich, wie schwer hat es die CSU im rot-grünen München bei der Landtagswahl? Die Grünen haben ihr ja 2018 einige Direktmandate abgenommen.
GEORG EISENREICH: Vier Stimmkreise hat die CSU damals gewonnen, fünf die Grünen. Seitdem haben sich die Grünen aber entzaubert. Die AZ hat mal getitelt "Die grüne Party ist vorbei".

Justizminister Georg Eisenreich (CSU): Die Grünen werden deutlich schwächer abschneiden"

Mit Fragezeichen!
Das Fragezeichen habe ich überlesen (lacht). Nein, im Ernst. Das letzte Jahr war für die Grünen kein gutes: Dieses Übermaß an Ideologie, Verboten und mangelndem Pragmatismus hat viele gestört. Die Grünen werden daher deutlich schwächer abschneiden als beim letzten Mal. Unser Ziel ist es, dass wir wieder stärkste Kraft in München werden und dass wir mehr Stimmkreise gewinnen als 2018. Da bin ich sehr zuversichtlich.

Georg Eisenreich im Gespräch mit den AZ-Redakteuren Heidi Geyer, Christina Hertel und John Schneider (von rechts).
Georg Eisenreich im Gespräch mit den AZ-Redakteuren Heidi Geyer, Christina Hertel und John Schneider (von rechts). © Sigi Müller

Es gibt ja Stimmen, die sagen, der Freistaat würde sich nicht für die Landeshauptstadt interessieren. Mit welchen Themen will die CSU in der Stadt punkten?
Der Freistaat interessiert sich nicht nur sehr für die Landeshauptstadt, sondern investiert auch Milliarden. Da denke ich beispielsweise an die Universitäten, Infrastruktur und Kultureinrichtungen. Der Freistaat ist Großinvestor in München!

Zugleich verkauft der Freistaat an Apple Grundstücke, wo Wohnungen fehlen.
Ich habe mich auch für Apple eingesetzt, ich halte das für eine richtige Entscheidung. Auch wenn die Grundstücke knapp sind, ist es gut für München, wenn weltweit gefragte Unternehmen hier investieren. Das ist ein Qualitätsmerkmal für den Standort.

Zweite Stammstrecke in München: "Ich bin sehr froh, dass wir dieses Projekt angegangen sind"

Zugleich kommen jetzt wieder Menschen nach München, die viel verdienen. Drohen da die Mieten nicht noch mehr zu steigen?
Erst einmal muss man die Relation sehen: Es geht um 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einer Stadt mit 1,5 Millionen Einwohnern. Mir ist aber der Gesamtzusammenhang wichtig: Die Berliner Ampel betreibt eine Politik gegen die Wirtschaft. Mit dem Ergebnis, dass viele Unternehmen mehr Investitionen im Ausland – und weniger in Deutschland – planen. Umso wichtiger ist es, dass wir in München und Bayern die Wirtschaft stärken. Auch in der Automobilindustrie wird sich viel verändern. Ob dort alle Arbeitsplätze erhalten bleiben, ist offen.

Georg Eisenreich ist Staatsminister für Justiz.
Georg Eisenreich ist Staatsminister für Justiz. © Foto: Sigi Müller

In München wird ein neues Strafjustizzentrum gebaut. Es wird deutlich teurer als geplant und dauert auch länger. Wann wird die Justiz dort einziehen können?
Auch hier sieht man, dass der Freistaat investiert. Das Bauministerium hat vor Kurzem Frühjahr 2025 als voraussichtliches Fertigstellungsdatum mitgeteilt. Der Bayerische Landtag hat zuletzt Gesamtkosten in Höhe von 397 Millionen Euro genehmigt. Bei Bauvorhaben dieser Größe und Komplexität sind Bauzeitverzögerungen und Kostensteigerungen nie ganz auszuschließen. Angesichts der großen Krisen wie der Pandemie und dem Ukrainekrieg ist das noch im Rahmen. Es gab auch keine Stillstandzeiten. Wir sind schon in der Vorbereitung für den aufwendigen Umzug von circa 1.300 Bediensteten.

Auch bei der Zweiten Stammstrecke ist alles teurer geworden und dauert länger. Was hätte der Freistaat besser machen können?
Die Stammstrecke ist ein sehr wichtiges Zukunftsprojekt, das ich absolut unterstütze. Ich bin – im Unterschied zu Vertretern anderer Parteien – sehr froh, dass wir dieses Projekt angegangen sind. Bei solchen Großprojekten ist immer Raum für Unvorhergesehenes. Man hätte auch die Begleitung und Aufsicht noch straffer organisieren können. Entscheidend ist, dass die Stammstrecke kommt.

Markus Söder im Schwulen-Lokal: "Das Leitmotiv der CSU ist 'leben und leben lassen'"

München wünscht sich mehr Geld für Verkehrsprojekte – unterstützen Sie das?
Das ist eine Forderung, die sich vor allem an den Bund richtet. Wir haben deutschlandweit großen Investitionsbedarf im Bereich der Infrastruktur und der Mobilität. Es ist Aufgabe des Bundes, die Ballungsräume finanziell besser auszustatten.

Warum haben das die CSU-Bundesverkehrsminister in den vergangenen Jahren nicht umgesetzt?
Ich bin selbst Ressortminister. Es ist ja nicht so, dass jeder Ressortminister über seinen eigenen Haushalt entscheidet. Im Bund entscheiden Bundesregierung und letztendlich der Bundestag und setzen Schwerpunkte. Finanzminister in der Großen Koalition war viele Jahre der jetzige Bundeskanzler Olaf Scholz. Die SPD hat auch höhere Investitionen in die Verteidigung blockiert.

Markus Söder hat eine neue Zielgruppe entdeckt und macht Wahlkampf in dem Schwulen-Lokal Deutsche Eiche. Vergrätzt sich die CSU damit nicht ihre Stammwählerschaft?
Nein, ganz im Gegenteil. Das Leitmotiv der CSU ist "leben und leben lassen". Es ist richtig, dieses "leben und leben lassen" auch zu zeigen. Ich sehe da überhaupt keinen Konflikt.

Nur nicht bei der Automobilausstellung IAA – die Klimakleber lassen auch in Bayern nicht locker, obwohl sie hier sogar in Präventivhaft geraten können, die ja äußerst umstritten ist. Was kann die Justiz tun, wenn sich Aktivisten sogar durch drastische Maßnahmen nicht abbringen lassen?
Klimaschutz ist eine Existenzfrage für die Menschheit. Jeder kann sich für dieses wichtige Thema einsetzen. Die Grenze ist aber das Strafrecht. Klimaschutz ja, Straftaten nein. Die Justiz in Bayern handelt da konsequent. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger hätte kein Verständnis, wenn jemand eine Straftat begeht und schon die nächste ankündigt, ohne dass Konsequenzen folgen.

Georg Eisenreich über Klimaaktivisten: "Es ist gut, dass es Präventivgewahrsam in Bayern gibt"

Nur schrecken die Maßnahmen offensichtlich ja nicht ab.
Bei der IAA waren 39 Klimaaktivisten im Präventivgewahrsam. Es ist gut, dass es dieses Mittel in Bayern gibt. Dazu kommen dann zahlreiche Strafverfahren. Polizei und Justiz handeln hier konsequent.

Ist das nicht ein Widerspruch zu Ihrer These, dass Klimaschutz sehr wichtig ist?
Hier geht es um Straftaten. Wenn wir in die Situation kommen, dass jeder für seine Überzeugung Straftaten begehen kann, dann haben wir ein Problem.

Es fehlen auch in München viele Fachkräfte, die grüne KVR-Chefin plädiert daher für Zuwanderung. Sie nicht?
Ich habe dazu eine sehr differenzierte Meinung. Wir sind sehr solidarisch mit Menschen, die Schutz brauchen, etwa mit den Menschen aus der Ukraine. Und ja, wir haben einen Fachkräftemangel. Aber: Dann braucht es auch einen Zuzug an Fachkräften. Wir sind in einer Situation, in der viele Menschen ohne Schutzgrund kommen, kein Aufenthaltsrecht haben und trotzdem nicht zurückgeführt werden. Deshalb brauchen wir eine Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung. Es wäre sinnvoll, bereits an den EU-Außengrenzen zu prüfen, ob ein Schutzgrund vorliegt.

Die Gerichte sind ja ohnehin schon überlastet. Ist es dann richtig, dass Schwarzfahren als Straftat verfolgt wird?
Unsere Gerichte haben viel zu tun, sind aber sehr leistungsfähig. Ein Großteil der Zusatzbelastungen kommt über Bundesgesetze. Es gäbe viele Möglichkeiten für den Bund, die Justiz zu entlasten, zum Beispiel eine Modernisierung des Zivilprozesses. Zum Schwarzfahren: Ich möchte nicht, dass Bürger, die einmal schwarz fahren, kriminalisiert werden. Notorische Schwarzfahrer müssen aber weiter angemessen sanktioniert werden können. Denn die Strafbarkeit dient auch dem Schutz der großen Mehrheit der ehrlichen Fahrgäste.

Flugblatt-Affäre von Hubert Aiwanger: "Das sah nach Einmischung in den Wahlkampf aus"

Zugleich ist es so, dass Menschen ins Gefängnis müssen, weil sie die Tagessätze nicht bezahlen können.
Die Tagessätze orientieren sich an der finanziellen Leistungsfähigkeit. Wir wollen nicht, dass Menschen für Geldstrafen ins Gefängnis kommen, sondern dass sie die Geldstrafen bezahlen. Es gibt in Bayern auch Möglichkeiten, Haft zu vermeiden. Zum Beispiel gibt es Programme wie "Schwitzen statt Sitzen", die es ermöglichen, die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe durch die Ableistung von gemeinnütziger Arbeit abzuwenden. Wir brauchen die Möglichkeit der Ersatzfreiheitsstrafe aber, weil viele Verurteilte erst nach Androhung einer Ersatzfreiheitsstrafe zahlen.

FW-Chef Hubert Aiwanger hat uns die vergangenen Wochen sehr beschäftigt. Ist er als lupenreiner Demokrat Opfer einer Medienkampagne geworden oder war es richtig, die problematische Vergangenheit von jemandem, der in Erding die Demokratie zurückholen will, ans Licht zu bringen?
Nach den ganzen Emotionen ist es an der Zeit, auf das Ganze einen sachlich-differenzierten Blick zu werfen. Das Flugblatt war widerlich und menschenverachtend. Da gibt es nichts zu beschönigen oder zu relativieren. Auf der anderen Seite konnte Aiwanger nicht nachgewiesen werden, dass er es geschrieben hat. Die "SZ" hat am Anfang der Berichterstattung auch Fehler gemacht. Es war eine sehr komplizierte Situation. Die Entscheidung von Markus Söder, Hubert Aiwanger im Amt zu belassen, war unter Abwägung aller Gesichtspunkte richtig.

Was war der Fehler der "SZ"? War der justiziabel?
Nein, justiziabel war das vermutlich nicht. Aber das ist auch nicht der einzige Maßstab für guten Journalismus. Aus meiner Sicht war die Beweislage im ersten "SZ"-Text sehr dünn. Außerdem wurde eine Linie vom damaligen Flugblatt zu heutigen Äußerungen von Hubert Aiwanger gezogen – das war in meinen Augen zum Teil unangemessen, das sah eher nach Einmischung in den Wahlkampf aus. Die Menschen haben ein gutes Gespür dafür, was angemessen und was unangemessen ist.

Justizminister Eisenreich: "Ich sehe bei Hubert Aiwanger großes Potenzial für mehr Einsicht"

Herr Söder hat ihn aufgefordert, Demut und Reue zu zeigen. Tut Herr Aiwanger denn nun genug, um Vertrauen zurückzugewinnen?
Der Umgang von Hubert Aiwanger mit diesem Thema war irritierend und unpassend. Auch jetzt sehe ich bei ihm noch großes Potenzial für mehr Einsicht.

Die Schule hat damals die Strafjustizbehörden nicht informiert. Wenn das heute passieren würde – wäre das rechtens? Was hätte ein 17-jähriger Schüler heute zu befürchten, der heute so ein Flugblatt schreiben würde oder es zumindest in seiner Schultasche hätte?
Ich gehe davon aus, dass die Schulleitung einen solchen Vorfall heute zur Anzeige bringen würde. Hierfür bestehen genaue Regelungen. Für die strafrechtliche Bewertung käme es zunächst darauf an, warum das Flugblatt in der Schultasche war und was der Schüler damit vorhatte. Fest steht: Die Strafverfolgungsbehörden in Bayern würden auch bei einem 17-jährigen Schüler entschieden einschreiten, wenn er antisemitische Hetzschriften verbreitet oder verbreiten will.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, welches Gesetz würden Sie zuerst ändern?
Beim Steuerrecht gäbe es noch einiges zu tun! Was der Bundesgesetzgeber den Bürgerinnen und Bürgern bei der Steuererklärung zumutet, finde ich echt schwierig.

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