Junge Siko-Gegner: Kommunistisch, dynamisch und dagegen!

Protestler rüsten sich für die Groß-Demo gegen die Münchner Sicherheitskonferenz – und bedienen sie dabei der Tugenden ihrer großen Feindbilder.
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Protest mit Ironie: Kerem Schamberger (l.) von der Sozialistischen Arbeiterjugend demonstriert für die Rechte der Reichen.
Daniel von Loeper Protest mit Ironie: Kerem Schamberger (l.) von der Sozialistischen Arbeiterjugend demonstriert für die Rechte der Reichen.

Protestler rüsten sich für die Groß-Demo gegen die Münchner Sicherheitskonferenz – und bedienen sie dabei der Tugenden ihrer großen Feindbilder.

Regen peitscht vom Himmel, Kälte kriecht in seinen durchnässten Anzug. Doch den jungen Mann am Megafon stört das nicht, er skandiert weiter markige Parolen: „Wir wollen mehr, Bundeswehr.“ Die zwei Dutzend Demonstranten, die mit Wortführer Kerem Schamberger durch die Münchner Innenstadt ziehen, sind keine Schön-Wetter-Protestler. Das haben sie an diesem unwirtlichen Abend bewiesen.

„Feed the rich“ ist das Motto der Aktion gegen die Münchner Sicherheitskonferenz, die am Freitag im Hotel Bayerischer Hof beginnt. Doch um sich für die große Demo am Samstag gegen die „Kriegstrommler um Siko-Organisator Wolfgang Ischinger“ in Stimmung zu bringen, gehen einige Protestler schon am Mittwoch auf die Straße. Für heute haben sie sogar einen Dresscode vorgeschrieben: Anzug, nobel, schick und reich. Sie haben sich die Uniformen der Wirtschaftselite übergezogen und ihre Botschaft in den Mantel der Ironie gehüllt. Ihr Schelmenstück soll die „wahren Absichten“ der Siko-Teilnehmer entlarven: Mit Krieg sich selbst und ihre Rüstungsunternehmen noch reicher zu machen.

Mit Zigarre und Satire als Waffe

Kerem Schamberger von der Münchner Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) ist der Zeremonienmeister des Abends. In einer Hand hält der 23-Jährige das Megafon, in der anderen eine dicke Zigarre. Heute ist Satire seine Waffe. Wenn er nicht aus Protest-Gründen in die Rolle des raffgierigen Managers schlüpft, trägt er eher T-Shirts, mit Slogans wie „The kids want communism“. Ganz so ernst seien solche Mode- Statements nicht gemeint, sagt er. Dennoch ist ihm die Botschaft an sich schon wichtig. „Ich würde mich als Kommunisten bezeichnen“, erklärt er. Und das ist nun gar nicht mehr ironisch gemeint.

Im Hauptquartier der Arbeiterjugend in der Holzapfelstraße im Münchner Westend herrscht seit Wochen eine geschäftige Unruhe. Hier werden Aktionen wie die „Feed the rich“- Demo organisiert. Plakate werden beklebt, Flyer gedruckt und das Aufbegehren von etwas mehr als 1000 Jugendlichen aus ganz Europa orchestriert. So viele haben zugesagt, am Samstag gegen Krieg, Gewalt, Globalisierung und für eine gerechtere Weltordnung auf Münchens Straßen zu gehen.

Früher waren es Punks - heute Protest-Manager

Niemand trinkt Bier, es kreist kein Joint, und statt auf ranzigen Sofas zu lümmeln, sitzen motivierte junge Menschen aufrecht an einem großen Konferenztisch. Das Weiß der Wände, das helle Parkett, die kühle Einrichtung – hier riecht es mehr nach Kreativ-Agentur als Kommunismus.

„Außenstehende glauben noch die alten Klischees, dass alles politisch Linke siffig und gammelig ist“, grinst Lena und lässt mit der Zunge das Lippenpiercing in ihrem Mundwinkel zucken. „Man muss organisiert und diszipliniert sein, sonst kann man nichts bewegen“, sagt sie. Und die Partys? „Das gehört dann eher ins Privatleben.“

Auch für Kerem Schamberger gilt diese Trennung. „Viele meiner Freunde sind eher unpolitisch – das muss aber auch so sein, sonst bleibt man immer auf der selben Schiene.“

Als „Protest-Manager“ bezeichnet der Soziologe Wilfried Ferchhoff Kerem, Lena und viele andere Aktivisten der neuen Generation. Gute Teamarbeit, straffe Organisation, das Bewusstsein um die Wirkung neuer Medien und nüchterne Risikokalkulation – was die Fähigkeiten angeht, unterscheiden sich Protestler und ihre Feindbilder, die skrupellosen Führungskräfte in der globalisierten Welt, kaum mehr, meint Ferchhoff. Jung, dynamisch und dagegen – die piefigen Aktivisten aus dem Punk-Milieu seien heute nur noch Randerscheinungen.

"Grundsätzlich friedlich"

Immerhin, die Staatsgewalt als Feindbild besteht weiterhin. „Wäre die Polizei nicht da, würde nichts passieren, dann gäbe es keine Bedrohung“, sagt Kerem Schamberger. Und die Aggressoren aus der autonomen Szene? Da gehen auch bei den jungen Genossen die Meinungen auseinander. „Grundsätzlich gilt, dass Protest friedlich sein muss“, meint Schamberger. Doch auch er selbst sei schon mehrmals „niedergeknüppelt“ worden.

Zumindest bei ihrer satirischen Demo ist von Aggressionen nichts zu spüren. Als der Zug der falschen Bonzen durch die Maximilianstraße marschiert, blicken verdutzte Angestellte aus den Boutiquen. „Wir kämpfen für eure Rechte“, ruft Kerem. Zwar dringt sein Gebrüll nicht ins Innere der Luxus-Läden. Doch die Augen hinter den Schaufenstern schauen gütig auf seine Zigarre und den schwarzen Anzug.

Reinhard Keck

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