Jugendliche und Alkohol: Saufen bis ins Koma
270 Jugendliche landen jedes Jahr auf der Intensivstation. Mädchen haben kräftig aufgeholt. Oft gibt’s Zoff wegen Suff – darum wird auch über die Wiedereinführung der Sperrstunde diskutiert.
MÜNCHEN Die Diskussion ist in vollem Gange: Weil immer mehr Jugendliche nach übermäßigem Alkoholkonsum durch Schlägereien und Sachbeschädigungen auffällig werden, steht eine Wiedereinführung der Sperrstunde im Raum (AZ berichtete). Um welche jungen Leute geht es da – und wie beurteilen Fachleute diese Entwicklung? Die AZ hat sich umgehört.
Von wegen schwaches Geschlecht – Mädchen und junge Frauen in München haben schwer aufgeholt. Bei nächtlichen Saufgelagen mischen sie kräftig mit, haben die Jungs teilweise sogar abgehängt, was den Alkoholkonsum betrifft. Von rund 270 Jugendlichen, die jedes Jahr mit einer akuten Alkoholvergiftung auf der Intensivstation landen, sind inzwischen die Hälfte Mädchen.
„Die wollen zeigen, dass sie bei den Jungs mithalten können“, sagt Georg Hopp vom Stadtjugendamt. Die Mädchen mischen in der Münchner Partyszene kräftig mit. Sie stehen nicht mehr abseits, wenn im Freundeskreis die Flaschen rumgereicht werden. Die 14- und 15-jährigen Mädchen zeigen sich besonders trinkfreudig. „In dieser Altersgruppe haben sie die Jungs sogar bereits überholt“, warnt Siegfried Gift von Condrobs.
Jungs sind allerdings noch immer deutlich jünger, wenn sie das erste Mal zum Alkohol greifen. Sie treffen sich zudem häufiger mit Freunden zu Saufgelagen und sie trinken auch in größeren Mengen. Einige Jugendliche, die in den letzten Jahren im Vollrausch in Kliniken landeten, hatten bis zu 3,2 Promille im Blut – da besteht akute Lebensgefahr.
Georg Hopp: „Komasaufen ist auch kein Phänomen mehr von Randgruppen oder Kindern aus sozial schwachen Familien.“ Professorentöchter sind inzwischen genauso bei den Besäufnissen vertreten wie Architektensöhne.
Galt es früher unter Jugendlichen noch als uncool, mit einer Flasche Bier in der Hand herumzuhängen, treffen sie sich heute immer öfter in Parks oder an zentral gelegenen Plätzen, um dort abzufeiern. Den Alkohol bringen sie mit. Weil die Alkopops inzwischen vielen zu teuer sind, haben sie selbst gemixte Mischgetränke dabei, aber auch harte Schnäpse.
Unter den jungen Kampftrinkern sind auffallend viele Gymnasiasten. Laut Münchner Sozialstudie liegt ihr Anteil inzwischen bei 57 Prozent. Der Rest verteilt sich gleichmäßig auf Real- und Hauptschüler sowie Azubis.
Im Schnitt sind die Jugendlichen, die volltrunken aufgegriffen werden, 15,6 Jahre alt. Gut ein Fünftel ist deutlich jünger, manche sind erst zwölf bis 14 Jahre alt.
Die Gründe, warum sie sich mit Alkohol zuschütten, sind ganz unterschiedlich: Leistungsdruck in der Schule, Stress mit dem Lehrmeister, Frust, Perspektivlosigkeit. Oft ist es aber auch die pure Abenteuerlust. „Der Wunsch nach einer Grenzerfahrung“, sagt Georg Hopp. „Aber auch das Zusammengehörigkeitsgefühl spielt in den Cliquen eine wichtige Rolle.“
Berichte über Jugendliche, die sich verabreden, um sich dann gemeinschaftlich, mit voller Absicht und ganz gezielt ins Koma zu saufen, hält Siegfried Gift schlich für übertrieben. „Das ist ein Mythos“, sagt der Experte von Condrobs.
Die Jugendlichen treffen sich vor allem an Wochenenden oder zu Ferienbeginn, um zu feiern. Das tun sie natürlich mit Alkohol, wie sie es bei Erwachsenen sehen. All zu oft läuft bei solchen Feiern alles aus dem Ruder. „Vor allem Mädchen unterschätzen“, so Siegfried Gift, „dass sie aufgrund ihrer körperlichen Konstitution viel weniger vertragen und den Alkohol auch langsamer abbauen als Jungs“. Dann ist die Gefahr groß, dass die feuchtfröhliche Fete spätabends auf einer Intensivstation endet. Ralph Hub
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