Juden in Bayern sollen besser geschützt werden – Holetschek: "Ich will eine Verfassungsänderung nicht ausschließen"

München - Klaus Holetschek (CSU) übernahm auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie das bayerische Gesundheitsministerium. Nach der Landtagswahl wurde der 59-Jährige aus Memmingen Chef der christsozialen Fraktion im Maximilianeum.
Florian Streibl ist bereits seit 2018 Vorsitzender der Landtagsfraktion der Freien Wähler. Vorher war er deren Parlamentarischer Geschäftsführer. Der 60-Jährige aus Oberammergau ist der Sohn des früheren Ministerpräsidenten Max Streibl (CSU). Die AZ hat die beiden zum Doppel-Interview getroffen.

AZ: Herr Streibl, Sie haben während der Koalitionsverhandlungen die Regierung von CSU und Freien Wählern mit einer mittelalterlichen Zweck-Ehe verglichen und gesagt: "Liebe ist das, was später kommt." Wie ist die aktuelle Gefühlslage?
FLORIAN STREIBL: Man könnte sagen, die Liebe wächst so langsam. Aber im Ernst: Die Zusammenarbeit ist von großem gegenseitigen Respekt geprägt. Das war schon mit Klaus' Vorgänger Thomas Kreuzer so. Auf der parlamentarischen Ebene geht es viel um tägliche Sacharbeit, manchmal kommt man zusammen, manchmal nicht. Meist ist das keine Sache großer Emotionen – aber wenn die Chemie stimmt, macht es das natürlich einfacher.
Holetschek (CSU): "Die Koalition sehe ich nach wie vor als Vernunftehe"
Und was sagen Ihre Gefühle, Herr Holetschek?
KLAUS HOLETSCHEK: Die Koalition sehe ich nach wie vor als Vernunftehe, zu der uns die Bürgerinnen und Bürger einen klaren Auftrag gegeben haben. Dass wir weiterhin unterschiedliche Positionen vertreten, gehört dazu. Persönlich verstehen wir beide uns gut und ich kenne auch die Familie Streibl von früher. Als ich noch Bürgermeister von Bad Wörishofen war, kam Florians Mutter oft zur Kur. Das ist mir in guter Erinnerung geblieben.
STREIBL: Wenn man so einen gemeinsamen Bezugspunkt hat, tut man sich leichter. Wir sind auf jeden Fall immer fair miteinander umgegangen.
Sie, Herr Streibl, sind schon ein paar Jahre länger Fraktionsvorsitzender als Herr Holetschek. Haben Sie ihm Tipps gegeben?
STREIBL: Ein paar schon.

Welche denn?
HOLETSCHEK: Jetzt wird's interessant...
STREIBL: Tipps in dem Sinn, dass ein Fraktionsvorsitzender im Gefüge der Regierung eine andere Position hat als ein Minister, dass er die Legislative und in erster Linie die Fraktion vertritt. Das muss man gegenüber der Staatsregierung mit dem entsprechenden Selbstbewusstsein machen.
HOLETSCHEK: Das war mir durchaus klar, als ich diese Aufgabe übernommen habe: dass eine Fraktion ein Taktgeber mit eigenen Ideen und Impulsen sein muss. Wir haben neben unseren bewährten und erfahrenen Kräften 29 neue Kolleginnen und Kollegen, die für ihre Aufgabe brennen und etwas bewegen möchten. Insofern: Wir wollen nicht nur hinter der Staatsregierung herrennen, sondern Akzente setzen.
CSU und Freie Wähler: "Es gab eine Aussprache, bei der es richtig zur Sache ging"
Wie sehr hat es Sie geschmerzt, dass Sie für diese Aufgabe das Gesundheitsministerium verlassen mussten?
HOLETSCHEK: Das fragen Sie mich just an dem Tag, an dem ich dort verabschiedet wurde und an dem ich tatsächlich die eine oder andere Träne verdrückt habe, weil es eine sehr intensive Zeit war und mir die Menschen dort sehr am Herzen liegen. Auch die Themen – Pflege und Gesundheit – waren und bleiben mir wichtig. Aber die Mitarbeiter sind in der Pandemie über sich hinausgewachsen – und das vergesse ich nicht. Deshalb war heute ein sehr bewegender Tag für mich.

Kurz nach der Wahl fielen zwischen Ihren Parteien Worte wie "mädchenhaft" und "pubertär". Wie schwierig war es, die Gemüter zu beruhigen und konstruktive Verhandlungen zu führen?
HOLETSCHEK: Ich habe die Gespräche von Anfang an als sehr konstruktiv empfunden. Das lag auch daran, dass es vorher eine Aussprache gegeben hat, bei der es richtig zur Sache ging und alle Dinge auf den Tisch gelegt wurden. Da könnte man noch einmal auf das Thema Ehe zurückkommen: Wenn man die Verhältnisse vorher klärt, tut man sich in der Beziehung nachher womöglich leichter.
STREIBL: Ein Wahlkampf hat stets seine eigenen Dynamiken. Aber wenn sich der Pulverdampf verzogen hat, geht es wieder an die Sacharbeit.
HOLETSCHEK: Der Wählerauftrag war ja immer klar: Die Menschen in Bayern wollen eine bürgerliche Koalition, dessen waren wir uns bei allen Schritten bewusst, die wir gemeinsam gegangen sind.
STREIBL: Wir sind zwei verschiedene Parteien, das muss immer klar sein – und jeder kämpft erstmal für sich. Trotzdem haben wir eine Regierung gebildet, um gemeinsam für Bayern da zu sein und diesen Willen im Koalitionsvertrag und bei der Kabinettsbildung bekundet.
HOLETSCHEK: Jetzt muss man das, was auf dem Papier steht, natürlich auch leben.
Was heißt das?
HOLETSCHEK: Der Florian verzeiht mir das jetzt mal, aber: Als ich noch im Kabinett war, hatte ich manchmal das Gefühl, dass wir im Ministerrat Dinge beschlossen haben, die dann nach außen so kommuniziert wurden, als sei man nicht dabei gewesen. Ich hoffe, dass wir in Zukunft als Staatsregierung tatsächlich eine gemeinsame Linie vertreten.
STREIBL: Da kann ich jetzt umgekehrt sagen: Wenn wir eine Staatsregierung sind, muss man den Partner mitnehmen, wenn man zum Beispiel einen Waldpakt schließt.
HOLETSCHEK: Deshalb sind die Staatsforsten als Unternehmen und die Jagd ja jetzt beim Hubert Aiwanger im Wirtschaftsministerium.
Bleibt die Frage: Was hat die Jagd mit Wirtschaft zu tun?
STREIBL: Die Jagd ist ein Recht, sich Wild anzueignen und zu vermarkten – ein hochwirtschaftlicher Prozess.
FW-Mann Streibl: "Wir werben immer wieder dafür, dass sich Frauen für politische Ämter zur Verfügung stellen"
Hubert Aiwanger ist wieder stellvertretender Ministerpräsident, wogegen sich einige in der CSU nach der Flugblatt-Affäre gesträubt hatten. Haben sich die Wogen also geglättet?
HOLETSCHEK: Das war eins der Themen, über die wir am Anfang offen gesprochen haben. Es gab unterschiedliche Positionen dazu. Aber wir sind Kompromisse eingegangen und haben in einem Gesamtkonzept zueinandergefunden.
Zu einem extrem männerdominierten Gesamtkonzept: Von 18 Kabinettsmitgliedern sind nur vier weiblich. Das ist die schlechteste Quote aller Bundesländer.
HOLETSCHEK: Dieses Problem darf man nicht nur am Kabinett festmachen. Es muss in den Stimmkreisen gelöst werden. Dort muss man sich fragen: Wer kandidiert – und warum wird diejenige nicht gewählt?
STREIBL: Wir werben immer wieder dafür, dass sich Frauen für politische Ämter zur Verfügung stellen. Die müssen dann in den Stimmkreisen aber auch für Wahlen nominiert werden. Hinzukommt: Wenn die Frauen auf der Liste sind, hat der Wähler das Wort. Das hat man als Partei nicht mehr in der Hand. Würden Frauen mehr Frauen wählen, hätten wir auch mehr Frauen im Parlament.
Also sind die Wählerinnen schuld?
STREIBL: Nein. Aber man sieht halt schon, dass Frauen oft weniger Stimmen erhalten.
Sowohl mit Blick auf den Koalitionsvertrag als auch auf das nur leicht veränderte Kabinett wird Ihnen vorgeworfen, einfach ein "Weiter so" zu betreiben. Was sagen Sie dazu?
STREIBL: Ich finde ein "Weiter so" nicht schändlich. Die Vorgängerregierung hat sich in den schwersten Krisen – gerade bei Corona und gerade Klaus im Gesundheitsministerium – bestens bewährt. Warum soll sich diese Regierung also nicht weiter gut bewähren? Insofern ist "Weiter so" kein Makel, sondern ein Qualitätskennzeichen.
HOLETSCHEK: Deshalb haben die Menschen uns mit großer Mehrheit gewählt: eine Regierung, die sie kennen und behalten wollen. Darüber hinaus haben wir gemeinsam eine Idee, wie wir die Gesellschaft weiterentwickeln wollen. Mir ist wichtig, dass wir den Menschen wieder mehr Verantwortung und Freiheit geben und Bürokratie abbauen. Dafür haben wir in der Vergangenheit die Grundsteine gelegt, aber jetzt muss es spürbar werden.
STREIBL: Das heißt auch, dass die Bürgerinnen und Bürger wieder wahrnehmen müssen, dass sie für ihr eigenes Leben Verantwortung tragen und nicht der Staat immer der ist, der alles reguliert und schaut, dass alles schön passt. In einer freiheitlichen Demokratie ist jeder seines eigenen Glückes Schmied – und der Staat springt nur in Notlagen ein. Überbordende Bürokratie hingegen ist das beste System, um Verantwortung zu verstecken oder zu vertuschen.
HOLETSCHEK: Ein Beispiel aus der Pflege: Kurz vor der Wahl sagte mir die Wohnbereichsleiterin eines Pflegeheims, dass sie 75 Prozent ihrer Zeit mit Dokumentation verbringt. Das darf einfach nicht mehr sein! Zumal mir schon vor 30 Jahren eine Pflegekraft in einem Seniorenheim erzählt hat, dass die Bürokratie das ist, was sie am meisten behindert. Diese Dinge müssen wir lösen. Wir müssen denen, die Sachkunde haben, die Chance geben, sie auszuüben. Wenn wir diesen Irrsinn, der sich in allen Bereichen aufgebaut hat, nicht eindämmen, wird dieser Staat in ganz schwierige Situationen kommen.
Holetschek: "Söder hat ganz klar gesagt, dass sein Platz in Bayern ist"
Bei der Europawahl 2024 und der Bundestagswahl 2025 treten CSU und Freie Wähler gegeneinander an. Ist dann Schluss mit der wiedergewonnenen bayerischen Harmonie?
HOLETSCHEK: Wir werden natürlich Wahlkampf führen und deutlich machen, dass die CSU Bayern in Europa gut vertreten hat – genau so wie im Bundestag. Wir werden unsere Positionen klar machen und uns von denen der anderen abgrenzen. Dass wir gemeinsam die Staatsregierung bilden, heißt ja nicht, dass wir nur noch miteinander kuscheln. Wir werden klar machen: Die CSU ist die Partei für Bayern und wenn man bayerische Positionen will, muss man CSU wählen.
STREIBL: Oder die Freien Wähler. Man muss unterscheiden: Im Wahlkampf sind wir natürlich Konkurrenten und jeder wirbt für sich. Das ist in einer Demokratie völlig legitim. Aber hier im Haus sind wir erstmal fünf Jahre zusammen. Diesen Spagat muss man hinbekommen. Es wäre ja völlig unprofessionell, wenn die Arbeit hier darunter leiden würde, dass irgendwo Wahlkampf ist.
HOLETSCHEK: Aber es kann natürlich Sollbruchstellen geben.
STREIBL: So würde ich das nicht nennen. Es wird Reibungen geben.
HOLETSCHEK: Das wird man sehen. Wir haben uns auf jeden Fall vorgenommen, für Bayern gemeinsam gute Arbeit zu leisten. Aber selbstverständlich wollen wir als CSU auch Wahlen gewinnen.
STREIBL: Das möchte jeder, der in den Ring steigt. Das muss man sportlich sehen.
Wenn es den Freien Wählern gelingt, auf Bundesebene über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen, zieht es Hubert Aiwanger offenkundig nach Berlin und im Freistaat steht die nächste Kabinettsumbildung an.
STREIBL: Vielleicht geht ja auch Markus Söder nach Berlin.
HOLETSCHEK: Nein. Er hat ganz klar gesagt, dass sein Platz in Bayern ist.

Das hat er schon oft gesagt und dann doch seine Ambitionen als Kanzlerkandidat der Union sehr deutlich gemacht.
STREIBL: Wenn das Vaterland ruft...
HOLETSCHEK: Ich habe dem, was der Ministerpräsident zu diesem Thema gesagt hat, nichts hinzuzufügen. Aber was in der aktuellen Berliner Regierung passiert, ist mit Sicherheit nicht die Politik, die für Deutschland, seine Wirtschaft und seine Menschen förderlich ist. Das bewegt mich schon, weil die Leute sich fragen, ob der Staat noch handlungsfähig ist. Das führt zum Aufwachsen der Radikalen.
STREIBL: Stimmt. Politik, die Ängste auslöst, ist der Nährboden für Radikalismus. Mit einer vernünftigen, berechenbaren Politik, die Existenzängste nimmt, Sicherheit und Vertrauen bietet, gräbt man den Radikalen hingegen das Wasser ab. Das ist aktuell die Herausforderung für jede Regierung in der Bundesrepublik.
"Die AfD sind zwar demokratisch gewählt, aber keine Demokraten"
Die AfD ist im Bayerischen Landtag so stark wie nie. Welche Strategie verfolgen Sie: ignorieren oder konfrontieren?
HOLETSCHEK: Wir werden uns inhaltlich mit dieser radikaler gewordenen, vom Höcke-Flügel dominierten AfD auseinandersetzen und sie stellen. Wir werden ihnen aber auch keine Täter-Opfer-Umkehr durchgehen lassen oder dass man von Repressionen spricht und den Rechtsstaat ignoriert. Und mich würde in der Tat interessieren, wie sich die Fraktionsvorsitzende dazu verhält, dass einer der Abgeordneten offenbar mit "Sieg Heil" unterschrieben hat und ob das Konsequenzen hat. Da höre ich im Moment gar nichts.
STREIBL: Man hat schon bei der Vorgänger-Fraktion gemerkt, dass ihre Mitglieder nicht an konstruktiver Arbeit interessiert waren, sondern eher daran, dieses Haus und die parlamentarische Demokratie ad absurdum zu führen. Sie sind zwar demokratisch gewählt, aber keine Demokraten. Da muss man harte Kante zeigen und ihnen die bürgerliche Larve vom Gesicht reißen. Sonst schaffen wir uns selber ab.
Die Zahl der antisemitischen Anfeindungen ist seit Beginn des Krieges in Nahost auf einem traurigen Höchststand. Der Antisemitismusbeauftragte der Staatsregierung, Ludwig Spaenle, wirbt seit geraumer Zeit dafür, den Schutz jüdischen Lebens in die Bayerische Verfassung aufzunehmen. Wäre jetzt nicht der Moment dafür?
STREIBL: Für eine Verfassungsänderung reicht ein Beschluss des Landtags alleine nicht. Das Volk als Souverän muss mit darüber abstimmen. Und eine solche Wahl setzt man normalerweise nicht wegen eines einzigen Punktes an, den man ändern möchte, sondern gebündelt wegen mehreren. Zudem bedarf es eines breiten Konsenses – hier im Haus wie in der Bevölkerung. Aber grundsätzlich sinnvoll wäre es. Wobei man Antisemitismus nicht allein dadurch bekämpft, dass es auf dem Papier steht. Sinnvoller wäre ein größer angelegter Schüleraustausch zwischen Bayern und Israel. Wenn man sich kennt, ist kein Raum mehr für Antisemitismus.
HOLETSCHEK: Beides ist ein Thema, da hast Du völlig recht. Entscheidend ist aber auch, dass unsere Verfassung gelebt wird. Deswegen soll es die "Verfassungsviertelstunde" an den Schulen geben. Wir sehen ja im Moment, wie viel Hass auf die Straßen getragen wird, schon von Kindern. Da stellen sich Fragen der Integration und der Leitkultur. Ich will eine Verfassungsänderung nicht ausschließen, aber es bedarf vieler Bausteine, um unsere Grundwerte wieder zu vermitteln – und null Toleranz gegenüber denen, die sie jetzt mit Füßen treten.
Lassen Sie uns das Gespräch versöhnlich beenden. Was schätzen Sie besonders aneinander?
STREIBL: Fang Du an, dann weiß ich, was ich antworte.
HOLETSCHEK: Ich schätze an Florian seine Fähigkeit, Kompromisse zu finden und Themen sehr sachlich zu bewerten. Und dass man eigentlich immer einen Weg findet, miteinander im Gespräch zu bleiben.
STREIBL: Wie gesagt: Mit Klaus stimmt die Chemie – und der Humor. Deshalb haben wir es auch bei schwierigen Sachen geschafft, gut voranzukommen. Insofern freue ich mich auf die fünf Jahre der Zusammenarbeit.