Jubel und Zorn: Warum sich mehr Menschen mit den Bauernprotesten als mit der "Letzten Generation" solidarisieren

München - Sie blockieren Straßen, sorgen für kilometerlange Staus und strapazieren die Nerven vieler Autofahrer. Die Protestformen von Klimaaktivisten der "Letzten Generation" und demonstrierenden Bauern weisen Gemeinsamkeiten auf. Doch die Reaktionen aus der Bevölkerung auf die Blockaden unterscheiden sich massiv. Wie stark, zeigt eine zum Auftakt der Bauernproteste im Auftrag der "Bild" durchgeführten Umfrage des Markt- und Sozialforschungsinstituts Insa. Der zufolge befürworten 69 Prozent der Befragten die Demonstrationen der Landwirte. Auf der anderen Seite haben nur elf Prozent Verständnis für die Aktionen der Klimaaktivisten. 20 Prozent stehen hinter beiden Gruppen.
Wie viel Rückendeckung Bauern im Vergleich zur "Letzten Generation" bekommen, hat sich auch vergangene Woche in vielen Großstädten Deutschlands gezeigt, als Bilder von aufgebrachten, teilweise sogar aggressiven Autofahrern - wie man es bei Klebeaktionen schon gewöhnt war - ausblieben. Größtenteils zumindest, denn in einigen Städten gingen zeitgleich Klimaaktivisten auf die Straße. Mit deren Aktionen sorgten sie für manches Hupkonzert. Ihr Protest fiel allerdings nicht wie sonst aus. Das verrät ein Blick auf die Transparente. "Hört auf uns, wir haben Traktoren", stand auf einem Banner in Passau. "Stellt euch vor, hier wären Traktoren", hieß es auf einem Schild in Berlin. In Leipzig klebte sich ein Umweltschützer sogar auf einem Spielzeug-Schlepper an. Polizisten trugen den Mann samt "Mini-Traktor" von der Straße.
Soziologe Vincent August: "Bauern sind als politische Gruppierung sehr viel etablierter"
Für den Soziologen Vincent August von der Humboldt-Universität zu Berlin ist das möglicherweise eine "ironische Reaktion" auf die Bauernproteste. Der Wissenschaftler ist Leiter der Forschungsgruppe "Ökologische Konflikte" und untersucht das Echo in der Gesellschaft, das durch Aktionen von Klimaaktivisten entsteht. August zufolge haben die unterschiedlichen Reaktionen auf Proteste der Bauern auch einen geschichtlichen Hintergrund. "Im Unterschied zur ,Letzten Generation', die jung ist, sind Bauern natürlich auch als politische Gruppierung sehr viel etablierter", sagt der Forscher zur AZ.
"Es gibt typische Konfliktfelder für moderne Demokratien und da spielt die Landwirtschaft schon immer eine zentrale Rolle." Dadurch haben Bauernverbände im Gegensatz zu Klimaaktivisten hohe finanzielle Ressourcen und bewährte Allianzen innerhalb des "Politikbetriebs" bilden können. Gleichzeitig seien Bauern innerhalb der lokalen Gemeinschaften verwurzelter, "weil sie dort bekannt und in der Dorfgemeinschaft integriert sind."
Proteste der "Letzten Generation": Bilder von festgeklebten Klimaaktivisten lösen "Unwohlsein" aus
An diesen Gedanken knüpft auch Günter W. Weber vom Institut für Konfliktforschung und Krisenberatung München an. "Gerade in ländlichen Gegenden kennt man jemanden aus dieser Berufsgruppe. Da ist also eine große emotionale Nähe da", erklärt der Forscher der AZ. "Wenn man genauer in die Protestgruppen schaut - Bauern, Spediteure, Handwerker - da hat fast jeder Bürger einen Bezug dazu." Das sei nicht bei jedem Klimaaktivisten so. Ein festgeklebter Aktivist verursache "viel aggressivere und kontroverse" Assoziationen als eine Traktorkolonne.
"Erste Gedanken, die zur Landwirtschaft aufkommen, sind die Nähe zur Natur, zur harten Arbeit, zu Traditionen. Das hat wenig Polarisierendes, sondern positive Assoziationen", meint Weber. Bereits im Kindesalter haben einige Berührungspunkte mit Spielzeug-Traktoren. Dadurch verfestige sich ein anderes Bild als zu Klimaaktivisten. Hinzu kommen Bilder von festgeklebten Umweltschützern, die sich mit diesen Aktionen selbst schaden. Diese lösen Weber zufolge bei Beobachtern vorwiegend ein Gefühl des "Unwohlseins" aus. Besonders wenn Aktivisten Hausfassaden mit Farbe beschmieren oder Kunstwerke in Museen beschädigen, "wird es schwierig zu erklären, was dieser Protest, der negative Auswirkungen hat, eigentlich mit dem Erreichen der Klimaziele zu tun hat."
Bei einem Teil der Bauern gibt es eine "Drohkommunikation"
Die Radikalität schätzt der Soziologe August anders ein. Für ihn sind Teile der Proteste der Bauern im Vergleich zur "Letzten Generation" konfrontativer. Dort gebe es die "Drohkommunikation" eines Teils der Bauern (aufgeknüpfte Figuren am Galgen, Androhungen gegen einzelne Politiker) nicht. "Konflikte unterliegen außerdem Zeitdynamiken. Wenn die Bauern das jetzt über Monate machen würden, müssten wir mal gucken, ob die Zustimmung weiterhin so hoch bleibt", sagt August.
Bei der "Letzten Generation" habe es diese Entwicklung gegeben. Dadurch hätte sich im Laufe der Zeit auch die Zustimmung zur Klimabewegung insgesamt verändert. Laut dem Forscher habe die Zustimmung für weitere Maßnahmen für den Klimaschutz allerdings nicht abgenommen. Eine Rolle spiele auch eine "radikale Flanke", die die "Letzte Generation" aufgebaut habe. Mit dieser Gruppierung würden die Aktivisten versuchen, Aufmerksamkeit zu generieren. Doch mittlerweile sei das mediale Echo weitgehend verloren gegangen. Man versuche jetzt auf Massenproteste umzusteigen. "Das hat allerdings bisher erkennbar nicht funktioniert", so August.
"Anders ist das bei den Bauernprotesten", vergleicht August. Auch dort gebe es mit den lauten Blockaden eine Art "radikale Flanke". "Gleichzeitig hat man dort aber eine etablierte Institution wie den Bauernverband", die über starken Einfluss in den politischen Institutionen verfügt. Bei den Klimaschützern gebe es zwar mit "Fridays for Future" eine moderate Organisation. Sie kann bisher aber nicht den gleichen institutionellen Einfluss aufbauen, erklärt der Soziologe.
Gefühl der Ohnmacht: "Bundesregierung fehlt eine Kommunikationsstrategie"
Der Experte Weber bringt noch einen weiteren Punkt ins Spiel. Die Folgen einer schlechten Agrarpolitik seien ihm zufolge greifbarer als die Folgen einer unzureichenden Klimapolitik. "Wenn ich vom Bauer morgen keine Milch mehr kriege, dann ist die Auswirkung morgen da. 20 Jahre sind hingegen noch weit weg." Genau deswegen müssten sich Umweltschutzorganisationen mehr Gedanken darüber machen, wie man für die Bevölkerung in einfacher Sprache die Auswirkungen des Klimawandels begreifbarer macht.
Das sei allerdings auch in der Bundespolitik notwendig: "Durch die Krisen in der Ukraine, in Israel und die Klimakrise, die wiederum weitere Krisen erzeugt, haben wir in der Gesellschaft Schwierigkeiten." Ein Gefühl der Ohnmacht und der Hoffnungslosigkeit käme auf. "Man müsste Menschen verantwortungsvoll Perspektiven aufzeigen und Dinge erklären." Das passiere jedoch zu wenig: "Der aktuellen Regierung fehlt vollkommen eine Kommunikationsstrategie."
Um wieder mehr Zustimmung zu bekommen, bräuchte es deshalb eine verantwortungsvollere Kommunikation und möglicherweise mit Blick auf die "Letzte Generation" auch eine neue Form des Protests, meint Weber.