Interview

Jobsharing in der Führungsposition: Zwei Münchnerinnen zeigen, wie es funktioniert – "Wir haben einen Exotenfaktor"

Gemeinsam ein Team führen? Das ist in Deutschland noch selten. Zwei Münchnerinnen zeigen, wie es funktionieren kann - und was Frauen Männern dabei voraus haben können.
Johanna Schmeller |
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Lydia Leipert (l.) und Rebecca Zöller haben sich gemeinsam auf eine Führungsposition beworben. Seit fünf Jahren zeigen sie, dass man auch gemeinsam an der Spitze eines Teams stehen kann.
Lydia Leipert (l.) und Rebecca Zöller haben sich gemeinsam auf eine Führungsposition beworben. Seit fünf Jahren zeigen sie, dass man auch gemeinsam an der Spitze eines Teams stehen kann. © Julia Bradley

München - Die Münchnerinnen sind Exotinnen in der Arbeitswelt: Laut einer Studie der Unternehmensberatung Roland Berger im Auftrag des Bundesfamilienministeriums wird Jobsharing zwar in einem Drittel der befragten Unternehmen angeboten, aber nur 16 Prozent der Mitarbeiter wissen davon. Und Topsharing - ein geteilter Spitzenjob - ist noch seltener.

Das Team "Film Digital" des Bayerischen Rundfunks hat zehn Mitarbeiter und kümmert sich um die digitalen Ausspielwege der Familienserie "Dahoam is Dahoam" und von Miniserien wie "Servus Baby" oder "Das Institut". Lydia Leipert (41) und Rebecca Zöller (41) leiten das Team seit fünf Jahren gemeinsam. Beide sind Mütter von je zwei Kindern. Jetzt haben sie einen Ratgeber über geteilte Spitzenjobs geschrieben - nicht nur für Frauen.

"Der Kreativität nutzt es, wenn man sich Gutes tut"

AZ: Sie spießen einige hübsche New-Work-Klischees auf. Sind das wirklich nur Klischees? Sind Sie schonmal zu zweit ins Bällebad gehüpft?
LYDIA LEIPERT: Wir gehen nicht zusammen aufs Klo, aber Bällebad, ja, das gab's - auf der Re:publica (eine Digitalkonferenz in Berlin, d. Red.)!
REBECCA ZÖLLER: Mit Laptops auf den Knien im Café: Das haben wir schon gemacht.
LEIPERT: Manchmal suchen wir uns einen schönen Ort und verschanzen uns ein paar Stunden, um Grundsätzliches zu besprechen. Der Kreativität nützt es, wenn man sich Gutes tut.

Eine geteilte Teamleiterposition setzt Vertrauen voraus. Wie lange kennen Sie sich schon?
ZÖLLER: Wir haben vor zwölf Jahren bei einem Jugend-TV-Format zusammengearbeitet, später fast zeitgleich beide Schwangerschaften hinter uns gebracht. Als ich nach der zweiten Elternzeit zurückkam, wurde mir eine interessante 100-Prozent-Stelle angeboten.

"Wenn wir Entscheidungen diskutieren, sind zwei Gehirne beteiligt."

Und da kam Lydia Leipert dazu?
ZÖLLER: Genau. Ich habe sie im Italienurlaub mit einem Anruf überrumpelt. Danach sind wir zu zweit zu unserem Vorgesetzten gegangen - und der war offen für die Idee. Dass das, was wir vorhaben, "Jobsharing" und "New Work" heißt, war uns anfangs nicht klar.
LEIPERT: Und im Januar 2017 ging's los!

Sie haben sich gegen Bewerber durchgesetzt, die einzeln angetreten sind. Was hat Ihnen die Zusage bedeutet?
ZÖLLER: Ich war froh und habe mir weniger Gedanken gemacht als Lydia, wie eigentlich immer (lacht). Sie ist schneller draufgekommen, dass wir uns coachen lassen sollten.
LEIPERT: Erst dachten wir ganz blauäugig, super, wir mögen uns, wird schon gutgehen. Im Coaching haben wir gemerkt, dass klare Verantwortlichkeiten und Vereinbarungen nötig sind.

 

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"Es ist wichtig, vorab eine Vision zu entwickeln"

Wie sieht Ihr Modell aus: Teilen Sie wirklich 50:50, oder läuft es nicht auf zweimal 60 Prozent hinaus?
LEIPERT: Generell arbeiten wir etwas mehr, weil es eben Übergaben gibt. Studien zufolge steigt in dieser Konstellation aber auch die Produktivität. Man schätzt, dass jede 100-Prozent-Stelle idealerweise im Jobsharing mit 120 Prozent besetzt werden sollte. Eine englische Studie spricht von einer erhöhten Produktivität auf 130 Prozent. Wir teilen uns recht flexibel auf, weil es bei allen Projekten Wellen gibt: Bei Projektstart ist's mehr, danach sinkt es ab. Den Aufwand teilen wir fair durch zwei.

Worin sind Sie sich ähnlich, wo unterscheiden Sie sich charakterlich?
ZÖLLER: Wir sind beide gewissenhaft. Lydia ist strukturierter und vorausschauend.
LEIPERT: Ich brauche einen Rahmen und komme nicht klar damit, zu schwimmen. Rebecca ist viel flexibler. Ich konnte von ihr lernen, dass es manchmal besser ist, abzuwarten.

Wie wichtig sind gemeinsame Werte für Ihren Erfolg?
ZÖLLER: Es ist wichtig, vorab eine Vision zu entwickeln: Wo wollen wir in ein, zwei, fünf Jahren stehen? Welche Meilensteine wollen wir mit dem Team umsetzen? Uns hat das Spaß gemacht - aber wenn das schief läuft, kann man daran erkennen, dass der andere nicht der richtige Tandempartner ist. Wir sind zu zweit - aber wir haben ein Ziel.

Jobsharing: "Kollegen müssen das Gefühl haben, dass sie nichts wiederholen müssen"

Was können Männer von Ihnen lernen?
ZÖLLER: Es gibt bei diesem Konstrukt nur ein "Wir": Wir sind erfolgreich oder nicht. Wenn es einer von beiden nicht schafft, zurückzutreten und anzuerkennen, wenn die Idee des anderen besser ist, funktioniert es nicht. Wenn einer nicht für ein "Wir" kämpft, entwickelt sich nie die Loyalität, die beide weiterbringt. In Coachings wurde uns gespiegelt, dass sich Männer mit der Minimierung ihrer Egos schwerer tun. Aber es gibt auch erfolgreiche Männertandems.

Was sind die wichtigsten Top-3, damit Jobsharing in einer Leitungsposition klappen kann?
LEIPERT: Vertrauen, die Bereitschaft, Zeit in Kommunikation zu investieren und Flexibilität. Wenn der Klempner kommt, das Kind krank ist oder eine sich das Bein bricht - die andere kann sofort einspringen. Es gibt eine geräuschlose Übergabe. Das ist der große Gewinn.

"Geräuschlos" heißt, Mitarbeiter bekommen nichts mit. Wie sichern Sie gute Übergaben?
ZÖLLER: Wir haben eine cc-Kultur entwickelt, die für alle Seiten angenehm und ausreichend ist. Sitzungen nehmen wir abwechselnd wahr, protokollieren und tauschen uns mündlich dazu aus.
LEIPERT: Wir wählen für jede Botschaft das passende Tool, ob Anruf, Trello-Vermerk oder Whatsapp. Als Tandem sind wir nur glaubwürdig, wenn beide auf demselben Stand sind. Kollegen müssen das Gefühl haben, dass sie nichts wiederholen müssen.

"Be a player, not a victim"

Eines Ihrer Kapitel ist überschrieben mit: "Be a player, not a victim".
ZÖLLER: Das ist ein Zitat des Bestseller-Autors Fred Kofmann. Gemeint ist, den Mut zu haben, äußere Umstände nicht hinzunehmen, sondern zu gestalten. Nicht zu dankbar sein, dass man überhaupt wieder arbeiten "darf". Selbst in unseren Freundeskreisen ist es verbreitet, dass Frauen nach einer Geburt die Care-Arbeit übernehmen und in Teilzeitstellen unter ihrer Qualifikation wechseln. So ähnlich war es bei uns nach den ersten Kindern auch.

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Wie reagieren männliche Kollegen in ähnlichen Funktionen auf Sie?
ZÖLLER: Nicht negativ. Die Erwartungen sind nicht höher. Uns hat niemand absichtlich auf die Probe gestellt.
LEIPERT: Wir haben einen Exotenfaktor. Manche Leute reagieren anfangs gehemmt und müssen sich umgewöhnen. Das ist auch ein Vorteil: Es trägt zur Flexibilität des Unternehmens bei.

Welche Vorteile hat Ihr Modell ansonsten für das Unternehmen?
LEIPERT: Der offensichtlichste Vorteil ist, dass Fehlzeiten wie Urlaub oder Krankheit wegfallen. Es rollt immer weiter, es gibt 24/7 einen Ansprechpartner, und gerade im digitalen Bereich können auch nachts und am Wochenende Dinge passieren. Wenn Sitzungen zeitgleich liegen, können wir beide wahrnehmen. Die Arbeitgeberattraktivität für Eltern steigt. Frauen werden gehalten, sogar gezielt in Leitungspositionen gebracht. Und die Loyalität des Arbeitnehmers steigt auch.
ZÖLLER: Wenn wir Entscheidungen diskutieren, sind zwei Gehirne beteiligt. Es macht das Ergebnis meistens besser, wenn weniger Bauchgefühl und mehr Hirn regiert.


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3 Kommentare
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  • tutnixzursache am 07.04.2022 09:15 Uhr / Bewertung:

    "...und was Frauen Männern dabei voraus haben können." und "Was können Männer von Ihnen lernen?" Auch eine Art von Sexismus und sexistischer Diskriminierung. Aber so herum ist das ja politisch völlig Korrekt. Dabei sind die größten Zickereien und Hackereien in der weiblichen Belegschaft untereinander zu finden.

    "Dass das, was wir vorhaben, "Jobsharing" und "New Work" heißt, war uns anfangs nicht klar." Nannte man ja bis vor Kurzem auch noch Teilzeit, und so neu ist das auch nicht. Diese Art von "Job Sharing" gibt es übrigens auch bei Vollzeit-Jobs z.B bei Schichtarbeit. Auch hier teilen sich zwei Vorgesetzte den Bereich und tauschen sich täglich aus.

    "Whatsapp" für Unternehmens-Kommunikation? Ein Unternehmen, das wert auf seine Daten und Interna achtet würde die Damen sofort hinaus befördern.

  • am 07.04.2022 08:05 Uhr / Bewertung:

    Funktioniert mit dieser Wortschöpfung halt nur ab einem bestimmten Einkommen.

    Für niedrigere Einkommen ist es schlicht und ergreifend: Teilzeit!

  • Rudi 678 am 06.04.2022 22:06 Uhr / Bewertung:

    Wenn man die Stelle teilt gibt es halt nur noch die Hälfte des Gehaltes und damit ist dann auch klar, dass man für so ein Modell noch einen weiteren Verdiener in der Familie braucht. Ansonsten wird es halt schwer in einer teuren Stadt wie München.

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